Auf der Flucht vor Putin – ein Besuch in einer Erstaufnahmeeinrichtung
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Ein Wegweiser am Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin (LAF) in Berlin-Reinickendorf. Durch den Krieg in der Ukraine wird mit zahlreichen Flüchtlingen gerechnet. Erste Flüchtlinge sind bereits eingetroffen.
© Quelle: Joerg Carstensen/dpa
Berlin. „Putin will lieber Krieg als Frieden“, sagt Viktoriia. „Er hat einen eigenen Plan, den niemand kennt.“ Am Abend zuvor ist die 55-Jährige aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit dem Bus in Berlin angekommen – nur einmal umsteigen in Warschau, dann war sie schon da. Jetzt wartet Viktoriia mit ihrem Mann Navid neben dem Ankunftszentrum für Asylsuchende im Stadtteil Reinickendorf. Durch das Eingangstor des parkähnlichen Geländes der ehemaligen Humboldtklinik kommen minütlich voll bepackte Grüppchen. Sie stellen sich in die Schlange am Ankunftszentrum, um Asyl zu beantragen.
Viktoriia und Navid stehen auf dem Gehsteig, um sie herum ihr großer Koffer, zwei Rucksäcke und zwei Plastiktüten mit Verpflegung. Vor ein paar Minuten hat Viktoriia Asyl beantragt. Sie ist Spätaussiedlerin und spricht ein wenig Deutsch. Auf ihre Zukunft angesprochen, reagiert sie mit einem ratlosen Lächeln, bei dem sie die Augenbrauen hochzieht.
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Die nächsten Tage wollen sie und Navid zu einem Freund nach Potsdam, bevor es zu einem Erstaufnahmelager für Spätaussiedler in die Nähe von Göttingen geht. Wie es danach weitergeht, weiß sie nicht. Angesprochen auf eine Rückkehr in die Ukraine, schüttelt Viktoriia heftig den Kopf. Die Lage ist ihr zu unsicher: Sie will nie wieder zurück in die Ukraine.
Dieser Tage fliehen viele Menschen vor dem Krieg aus der Ukraine, und einige kommen nach Deutschland. Im Ankunftszentrum in Berlin-Reinickendorf wurden am Wochenende 40 Anträge auf Asyl gestellt. Am Montag meldeten sich bereits mehr als 300 Menschen beim Ankunftszentrum, so das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF).
Vor dem Ankunftszentrum stehen am Montagvormittag ungefähr 200 Menschen, um einen Antrag auf Asyl zu stellen. Der Andrang ist überschaubar. Anzhela hat den Antrag schon hinter sich. Sie ist Mitte sechzig und steht zusammen mit ihren Freundinnen vor dem Ankunftszentrum. Drei Tage zuvor sind sie mit dem Auto aus der Stadt Kamjanez-Podilskyj in der Westukraine nach Berlin gefahren.
„Ich kenne viele, die sich gerade auf den Weg machen“, sagt sie. „In den nächsten Tagen werden noch mehr Leute hier sein.“ Dann wird die Schlange im Reinickendorfer Ankunftszentrum wohl länger. Laut dem LAF prüft das Land Berlin bereits, welche Gebäude zur Unterbringung genutzt werden könnten, wenn der Andrang auf die Unterkünfte zu groß wird.
Doch nicht nur nach Deutschland oder Berlin, sondern auch nach Polen, Italien oder Bulgarien zieht es die Schutzsuchenden aus der Ukraine. Um den Menschen die Flucht zu vereinfachen, haben die Innenminister der EU-Staaten am Sonntag angeregt, dass Kriegsflüchtlingen wie Viktoriia und Anzhela ein pauschaler Schutz von maximal drei Jahren garantiert werden solle.
Die Geflüchteten könnten sich frei bewegen, arbeiten und erhielten Sozialleistungen – in allen Staaten der EU. Die EU-Kommission will die Regelung bis Donnerstag auf den Weg bringen.
Anzhela will zurückkehren, sobald der Krieg zu Ende ist. Ihr Ehemann und ihr Sohn mussten in der Ukraine bleiben, sie will sie nicht zurücklassen. Doch Anzhela kämpft mit der Ungewissheit, wann eine Rückkehr wieder möglich ist. Ihr Blick ist gefasst, aber nicht zuversichtlich, als sie sagt: „Ich hoffe, dass es nur noch ein paar Tage sind.“