Kommentar

Das Ende des Bolsonarismus

Der abgewählte Ex-Präsident von Brasilien, Jair Bolsonaro.

Der abgewählte Ex-Präsident von Brasilien, Jair Bolsonaro.

Auch Unterlassung ist ein Strafstandbestand: Mit seinem Schweigen hat der abgewählte Ex-Präsident Jair Bolsonaro seinen Teil der Schuld für die Vorfälle rund um die versuchte Erstürmung der Regierungsgebäude in Brasilien auf sich geladen. Sie mag juristisch vielleicht schwerer nachweisbar sein, doch politisch ist er eindeutig mitverantwortlich für die dunklen Stunden von Brasília.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Während in der brasilianischen Hauptstadt Tausende Bolsonaro-Anhänger, darunter auch ein gewalttätiger Mob, versuchten, das Parlament, den Präsidentenpalast und das Oberste Gericht zu erstürmen, schwieg Bolsonaro in seinem selbst gewählten „Exil“ in Florida. Dieses eiskalte Schweigen wird Konsequenzen haben – egal, ob Bolsonaro nun direkt in die Vorfälle von Brasilia eingebunden war oder nicht. Er wird sich nun nicht nur mit der brasilianischen Justiz, sondern auch mit der US-amerikanischen Justiz auseinandersetzen müssen. Und die ist insbesondere bei Abschiebungen knallhart.

Fünf Stunden lang schwieg Bolsonaro

Bolsonaro hätte seine Anhänger stattdessen aufrufen können – nein, er hätte sie aufrufen müssen, die Übergriffe sofort zu beenden und die Verfassung zu respektieren. Doch als die ersten Bilder über die Bildschirme flimmerten, legte Bolsonaro sein Machtinstrument – das Smartphone – beiseite. Fünf Stunden lang twitterte und kommentierte Bolsonaro die dramatischen Ereignisse nicht. Fünf Stunden langen warteten seine rund 35 Millionen Follower bei Twitter und Instagram auf sein Signal und eine Stellungnahme.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Stattdessen wartete Bolsonaro ab, hoffte insgeheim offenbar, dass sich aus dem Sturm ein Flächenbrand entwickelt. Im entscheidenden Moment geschwiegen zu haben, wenn die Demokratie auf dem Spiel steht, war deshalb sein historisches Versagen. Aus dieser Nummer wird Bolsonaro deshalb auch nicht mehr herauskommen, egal, was da in den nächsten Wochen noch so alles über Querverbindungen ans Tageslicht kommen wird. Der Versuch, die Vorfälle schließlich mit kleineren Ausschreitungen linker Demonstranten 2013 und 2017 gleichzusetzen, war ein billiges, feiges Ablenkungsmanöver.

What’s up, America?

Der wöchentliche USA-Newsletter liefert Hintergründe zu den amerikanischen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Kultur - immer dienstags.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Doch die Militärs blieben in den Kasernen, die Armee machte bei diesem Anschlag auf die Demokratie nicht mit. Die dubiose Rolle der Polizei gilt es noch zu untersuchen. Damit hat sich Bolsonaro für jede weitere politische Karriere disqualifiziert, ein Comeback auf demokratische Weise ist nun undenkbar.

Unverhoffte Chance für Lula

Für den linken Wahlgewinner Lula da Silva, dem von einer Hälfte des Wahlvolkes bislang eisige Ablehnung entgegenschlägt, bietet sich nun eine unverhoffte Chance. Er wird nun endgültig wissen, wie polarisiert und gespalten sein Land ist. So etwas schärft die Sinne. Er kann mit besonnener, aber auch entschlossener Reaktion jene moderaten Teile in der brasilianischen Gesellschaft auf seine Seite ziehen, die sich geschockt vom Bolsonaro-Lager zurückziehen. Mit einem derart schlechten Wahlverlierer werden sie sich nicht mehr identifizieren können und wollen. Allerdings muss sich Lula dabei selbst an die Rechtsstaatlichkeit halten und Rachegelüsten widerstehen. Die sind menschlich verständlich, in der Politik aber brandgefährlich.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auch dem von Bolsonaro gekaperten konservativen Lager bietet sich die Chance, sich neu und vor allem endlich wieder seriös aufzustellen. Die holprige erste Woche bis zum Eklat von Brasilia zeigte bereits: Lula wird Angriffsflächen bieten, denn er muss ein großes politisches Anti-Bolsonaro-Bündnis durch lange und schwierige vier Jahre führen. Das bietet der Opposition die Chance, vom Vulgärpopulismus des Bolsonaro-Clans zur seriösen Sacharbeit mit charismatischem Personal zurückzukehren. Mit dem Sturm auf Brasília ist das Ende des Bolsonarismus eingeleitet. Was danach kommt, kann eigentlich nur besser werden.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken