Es reicht jetzt, Herr Söder!
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
© Quelle: Peter Kneffel/dpa
Dass Markus Söder vielen im politischen Betrieb auf die Nerven geht, ist nichts Neues. Das hat mit der Breitbeinigkeit des bayerischen Ministerpräsidenten ebenso zu tun wie mit seinen ständigen Positionswechseln – und mit der Bereitschaft, Freund und Feind gnadenlos in die Parade zu fahren, wenn es opportun erscheint. Im Sommer 2022 ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man endgültig sagen muss: Es reicht jetzt, Herr Söder!
In der Corona-Krise ist der 55-Jährige dadurch aufgefallen, dass er dem Rest der Republik Lektionen zu erteilen suchte, wie das Virus am besten einzudämmen sei. Dass die Infektionszahlen derweil gerade in Bayern besonders hoch waren, scherte ihn überhaupt nicht.
Gnadenlos gegen Freund und Feind
Vor einem Jahr macht es sich Söder dann zur Aufgabe, dem Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet im Wochentakt Knüppel zwischen die Beine zu werfen, nachdem er ihm im Wettkampf um die Kandidatur unterlegen war. Laschet machte als Kandidat fraglos eine schlechte Figur. Die Folge ist bekannt: Statt seiner wurde der Sozialdemokrat Olaf Scholz Kanzler einer Ampelkoalition, die praktisch niemand für möglich gehalten hatte. Freilich trug Söder zu Laschets Schwäche wesentlich bei. Hätte sich der Mann aus Nürnberg entschlossen an die Seite des Mannes aus Aachen gestellt, dann säße der jetzt vermutlich in der Regierungszentrale.
Zwischenzeitlich war auch noch der doppelte Söder-Rittberger in der Ökofrage zu besichtigen. Es gab da mal diesen Tag, an dem es sich der CSU-Politiker nicht nehmen ließ, einen Baum zu umarmen. Ein Fotograf war einbestellt. Die konservative „Welt“ schrieb damals: „Früher ging es Bayerns Regierungschef vor allem darum, die Anhänger bei der Stange zu halten. Heute will er die Grünen überholen.“ Das war im August 2019. Im Juli 2022 sagte Söder, man dürfe bei der Ernährung „nicht nur auf Gemüse, wie es die Grünen wollen“, setzen, „sondern auch auf Fleisch, Fisch und Milch“. Er fügte hinzu: „Wir sind schließlich keine Brokkolirepublik.“
Das alles hat in den alten Wohlstandszeiten leidlich funktioniert, obwohl die Methode Söder ja stets wahnsinnig leicht zu durchschauen war. Er macht die Überschriften so groß, dass das Kleingedruckte – also die Fakten – darunter verschwinden. Das darf in der Atomfrage nicht mehr funktionieren.
Nach dem Reaktorunfall von Fukushima im Frühjahr 2011 spielte Söder im Team Atomausstieg. Er war seinerzeit bayerischer Umweltminister und stellte seinen Rücktritt für den Fall in Aussicht, dass der Ausstieg erst nach 2022 stattfinden sollte. Nun ist 2022. Russland hat die Ukraine überfallen und eine Energiekrise ausgelöst. Mittlerweile marschiert kein anderer als Söder an vorderster Front der Atombefürworter und will nicht zuletzt den eigenen Meiler Isar 2 bis Mitte 2024 laufen lassen.
Zersetzt die politischen Sitten
Da sich die Lage radikal verändert hat, kann sich auch die Meinung eines Politikers ändern. Bei Söder kommt jedoch der die politischen Sitten zersetzende Schuss Unverfrorenheit hinzu. Dies gilt umso mehr, als er diesmal gravierende bayerische Versäumnisse zu überblenden sucht. Beobachter sind sich nämlich einig, dass gerade Bayern Atomstrom vornehmlich deshalb braucht, weil es mehr als andere Bundesländer auf russisches Gas gesetzt sowie beim Ausbau der Windenergie im eigenen Land geschlampt und den Ausbau neuer Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland gezielt hintertrieben hat.
Für den Regierungschef geht es deshalb längst nicht mehr nur um schicke Schlagzeilen wie sonst. Es geht um die Überlebensfähigkeit der bayerischen Wirtschaft und damit seine eigene. Allein die Verantwortungsbereitschaft anderer kann den Verantwortungslosen heute noch retten.