Sorge und Solidarität: Wie Scholz mit Netanjahu spricht
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Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz.
© Quelle: IMAGO/Chris Emil Janßen
Berlin. Benjamin Netanjahu spricht in der Pressekonferenz im Kanzleramt jetzt Hebräisch. Bedauerlicherweise gebe es dafür keine Übersetzung, kündigt er noch an. Dass auch Hausherr Olaf Scholz nicht genau mitbekommen dürfte, was er nun erklären wird, kümmert den schwierigen Gast aus Israel nicht. Der 73-Jährige schaut immer wieder auf sein Pult, als müsse er sich auf ein Manuskript stützen. Er gestikuliert, er lacht. Es ist, so viel ist zu schlussfolgern, eine Botschaft von Deutschland aus an sein eigenes Land. Netanjahu will die hochumstrittene Justizreform seiner rechtsreligiösen Regierung, gegen die Bürgerinnen und Bürger seit Wochen protestieren, eisern durchziehen.
Dazu gehört die Möglichkeit, mit einfacher Mehrheit im Parlament Entscheidungen des Obersten Gerichts zu kippen und die Möglichkeiten für eine Amtsenthebung des Regierungschefs – also derzeit von Netanjahu, dem Korruption vorgeworfen wird – weitestgehend einzuschränken. International ist die Kritik ebenfalls groß, auch in Deutschland. Scholz wird dennoch unverbrüchlich zu Netanjahu stehen, wie er wenig später deutlich macht.
Netanjahu und Scholz besuchen Mahnmal Gleis 17
Israels Premier sagte in Berlin, das jüdische Volk müsse in der Lage sein, sich selbst gegen jede Bedrohung zu verteidigen.
© Quelle: Reuters
Netanjahu wischt die Vorwürfe beiseite. Die Übersetzung vom Englischen ins Deutsche ist im Kanzleramt gesichert. Danach sagt Netanjahu, es müsse ein Gleichgewicht zwischen Exekutive, Legislative und Judikative hergestellt werden. Leider habe sich die Opposition Gesprächen darüber verweigert. Gegnerinnen und Gegner wollten eine Krise im Land und Neuwahlen heraufbeschwören. Der Vorwurf des Bruchs mit der Demokratie treffe aber nicht zu: „Wir werden eine liberale Demokratie bleiben.“
„Keinen Zentimeter“
Vielleicht hätten verbale Nebelkerzen in Berlin mehr verfangen, wäre da nicht Israels Staatspräsident Izchak Herzog. Er machte einen Kompromissvorschlag, wonach das Parlament nicht wie von der Regierung geplant in der Lage wäre, Urteile des Obersten Gerichts zu überstimmen. Im Gegenzug könnten jedoch auch Richter bestimmte wichtige Gesetzesvorhaben nicht verwerfen. Die Opposition erklärte sich gesprächsbereit – Netanjahu winkte kurz vor seinem Abflug nach Deutschland ab. In Berlin sagt er, seine Koalition werde „keinen Zentimeter“ von ihren Plänen abweichen. Herzog warnt vor einem Bürgerkrieg.
Scholz, der von vielen Seiten aufgerufen worden war, Netanjahu offen zu hinterfragen, betont zunächst die einzigartige deutsch-israelische Partnerschaft trotz der Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis. Er sei dankbar für das kostbare Geschenk dieser Freundschaft. Die Schoah sei ein Menschheitsverbrechen. Für Deutschland seien daraus immerwährende Verpflichtungen für die Zukunft erwachsen, es werde sich jeder Form von Antisemitismus entgegenstellen. Und er betont: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson.
Aber dann geht er den Modus der Kritik unter Freunden. Als „demokratischer Wertepartner“ und „enger Freund Israels“ verfolge Deutschland die Entwicklung in Israel mit „großer Sorge“. Scholz betont, er hoffe, dass über Herzogs Kompromissvorschlag „das letzte Wort noch nicht gesprochen ist“, und Israel eine liberale Demokratie bleibe. Er kritisiert auch den jüdischen Siedlungsbau in Palästina und nennt eine Zweitstaatenlösung für Israelis und Palästinenser die einzige nachhaltige Lösung des jahrelangen blutigen Konflikts. Sicherheitsexpertinnen und -experten halten dieses Modell hingegen inzwischen für tot.
Für Scholz ist es damit genug der Ansagen an Netanjahu. Es sei nicht Aufgabe eines deutschen Regierungschefs, sich in die israelische Innenpolitik einzumischen. Er versichert Israel die deutsche Unterstützung gegen Bedrohungen aus dem Iran und lobt die Militärgeschäfte mit Tel Aviv. Und als die heikle Frage eines Journalisten kommt, ob die Sicherheit Israels bedingungslos zur deutschen Staatsräson gehört, antwortet der Kanzler: „Die Sicherheit Israels ist Staatsräson. Selbstverständlich.“ Netanjahu reicht ihm die Hand.
Er schildert die dauerhafte Gefahr durch den Iran, der mehrfach damit gedroht hat, Israel auszulöschen. Es müsse verhindert werden, dass das Land Atomwaffen produzieren könne, sagt Netanjahu. Dabei zählt er auf Deutschland und die USA. „Das jüdische Volk wird keinen zweiten Holocaust zulassen“, stellt er klar. Ein militärisches Vorgehen schließt er nicht aus.
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Demonstrierende protestieren vor dem Brandenburger Tor gegen die Politik in Israel anlässlich des Besuches des israelischen Ministerpräsidenten in Berlin.
© Quelle: Carsten Koall/dpa
Während Netanjahu aus dem Kanzleramt zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ins Schloss Bellevue gefahren wird, beginnt am Brandenburger Tor eine Kundgebung gegen Netanjahus Regierung. Zuvor hatten etwa hundert Menschen an einer palästinensischen Kundgebung vor dem Reichstagsgebäude teilgenommen, die sich gegen Israel als Staat richtet.
Unter dem Motto „Save Israeli Democracy“ (Rettet die israelische Demokratie) protestierten jetzt Hunderte Menschen. „Netanjahu sollte wissen, dass sich sein Handeln gegen die Interessen der israelischen Bevölkerung und des israelischen Staates richtet“, sagt Amir Teicher, der die Kundgebung mitorganisiert hat. „Auch die Welt soll das wissen“, mahnt der in Berlin lebende Israeli. Die Regierung repräsentiere nicht die Mehrheit der Israelis, auch wenn sie es geschafft habe, eine Koalition zu bilden. Eine Frau hält ein Transparent hoch: „Mein Herz brennt.“