Boris Pistorius: ein Verteidigungsminister, der „Bock“ hat
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Boris Pistorius auf einem Puma-Schützenpanzer beim ersten Truppenbesuch des Bundesministers der Verteidigung auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow.
© Quelle: IMAGO/Future Image
Liebe Leserin, liebe Leser,
im E‑Mail-Postfach des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) befinden sich jetzt öfter Einladungen mit der Betreffzeile „Presseterminhinweis des Bundesministeriums der Verteidigung“. Am Freitag zum Beispiel empfing der besagte Boris Pistorius in Berlin seinen rumänischen Amtskollegen Angel Tilvar. Tags zuvor besuchte er Panzergrenadiere in Altengrabow (Sachsen-Anhalt). Am Montag stand eine Visite beim Einsatzführungskommando in Schwielowsee bei Potsdam auf dem Programm; das koordiniert die Auslandseinsätze der Truppe. Unterdessen ließ der SPD-Politiker in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ wissen, dass er trotz der enormen Herausforderung „richtig Bock auf den Job“ habe.
Der Hinweis war gar nicht mehr nötig. Denn dass er „Bock“ hat, springt Pistorius aus jedem Knopfloch. Der Kontrast zur bisweilen lustlosen Vorgängerin könnte kaum größer sein.
Nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht vor zwei Wochen wurde ja schnell ruchbar, dass sie schon viel eher hatte gehen wollen. Vertraute sagen, die Sozialdemokratin habe im Spätherbst erstmals signalisiert, dass sie im ersten Halbjahr 2023 aufhören wolle – nur dass Kanzler Olaf Scholz sie offenbar nicht ließ. Lambrecht habe den öffentlichen Aufruhr über die Mitnahme ihres Sohnes in einem Bundeswehr-Hubschrauber als „extrem verletzend“ empfunden, heißt es, und sich auch später „nicht sehr fair behandelt“ gefühlt. Tatsächlich war sie meilenweit davon entfernt, die Rolle im Bendlerblock auszufüllen. Das wird erst richtig klar, wenn man ihren Nachfolger beobachtet.
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Bundesverteigigungsminister Boris Pistorius (SPD) beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Schwielowsee im Gespräch mit Oberst Markus Beck.
© Quelle: Soeren Stache/dpa
So tat Pistorius, der fast zehn Jahre lang für die immerhin 24.000 Polizisten und Polizsitinnen im schönen Niedersachsen verantwortlich war, in Altengrabow seine Freude kund, bei der Truppe zu sein, schlüpfte in eine Uniformjacke und setzte sich in den Schützenpanzer Puma. Das machte weniger einen ranschmeißerischen als einen glaubwürdigen Eindruck. Dem 62‑Jährigen kommt dabei zugute, dass er selbst Wehrdienst geleistet hat, wenn auch vor über 40 Jahren. So entsteht von allein jener berühmte Stallgeruch, den eine Frau von 57 Jahren schlechterdings nicht haben kann.
Überhaupt scheint im nach wie vor männlich dominierten Wehrressort eine gewisse Genugtuung darüber vorzuherrschen, dass der neue Amtsinhaber nach (der ziemlich unbeliebten) Ursula von der Leyen, (der durchaus beliebten) Annegret Kramp-Karrenbauer und Christine Lambrecht mal wieder ein Mann ist.
Zudem behauptet Pistorius seine Fachkenntnisse nicht nur; er hat sie. Nach der Sitzung des Verteidigungsausschusses am vorigen Mittwoch konnte der Verteidigungsminister zum Beispiel relativ mühelos referieren, wo die Unterschiede zwischen den Leopard-Panzern 1, 2A6 und 2A4 liegen. Bei Lambrecht hatte man stets den Eindruck, ihr Wissen reiche über die vorgefertigten Sprechzettel aus der Pressestelle des Ministeriums kaum hinaus.
Die Reaktionen sind entsprechend. So macht sich etwa auf dem Blog „Augen geradeaus“ des Bundeswehrexperten Thomas Wiegold Erleichterung breit. „Ich freue mich über einen Verteidigungsminister, der über ein gutes Englisch verfügt, sich nicht scheut, es auch zu benutzen, und dabei auch noch seine Herkunft wegen eines schönen deutschen Akzents nicht verheimlicht“, schreibt da einer. Ein anderer lässt wissen: „Er spricht Klartext, und sein Auftritt gefällt mir.“ Ein Dritter findet: „Der erste Truppenbesuch hat einen guten Eindruck hinterlassen.“ Und ein Vierter: „Ich finde beeindruckend, wie sattelfest der Minister schon wirkt, auch in Bezug auf Begrifflichkeiten und Sachstände. Das, obwohl er keine Woche im Amt ist.“
Kein Zweifel: Boris Pistorius füllt das Vakuum aus, das Christine Lambrecht hinterlassen hat.
Sollte er ein Problem haben, dann bestenfalls jenes, dass es von diesem Popularitätslevel aus gesehen kaum mehr aufwärts gehen kann. Angesichts der vielfach schwankenden öffentlichen Stimmungen geht es von der Höhe vielmehr nicht selten abwärts – und im besten Fall geradeaus.
Bittere Wahrheit
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Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz
© Quelle: Jörg Carstensen/dpa
Ich glaube, dass die Lieferung von Kampfjets adäquat ist, um die Ukraine besser zu schützen gegen die Angriffe der Russen.
Christoph Heusgen,
Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz
Nachdem Kanzler Olaf Scholz angekündigt hatte, Schützenpanzer vom Typ Marder in die Ukraine zu schicken, wurden Forderungen laut, nun auch Kampfpanzer vom Typ Leopard zu entsenden. Jetzt sollen die Leoparden kommen. Und siehe da: Die Debatte über die Lieferung von Kampfjets folgt auf dem Fuße.
Zwar warnt der SPD-Kanzler vor einem „Überbietungswettbewerb“. Doch dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz imponiert das anscheinend wenig. Das hat seinen Grund: Christoph Heusgen war jahrelang außenpolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel, die auf Verständigung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin setzte. Er hat gelernt, dass das keinen Sinn hat.
Wie das Ausland auf die Lage schaut
Die spanische Zeitung „El País“ kommentiert, das sich unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ändernde deutsche Selbstverständnis:
„Deutschland galt lange als ein unfreiwilliger Hegemon, der seine wirtschaftliche Macht nicht gerne ausspielt, vor allem, wenn es um militärische Verpflichtungen geht. Es war bestimmt von der Idee eines europäischen Deutschlands statt eines deutschen Europas, das so sehr an das Reich erinnert. Vor diesem Hintergrund stellen der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Unterstützungsforderungen einen drastischen Bruch dar. Jetzt wird von Deutschland verlangt, zu einer echten Militärmacht zu mutieren. Und die Hoffnung, Frieden durch Handel zu bewahren, hat Schiffbruch erlitten.
Die Person, die diesen Wandel vollziehen soll, ist Olaf Scholz. Es überrascht deshalb nicht, dass er wie der unentschlossene Hamlet im Schloss Kronborg durch das Kanzleramt tigert. So viele Zweifel können aber auch ein Zeichen von Größe sein. Dieser verdammte Putin-Krieg hat uns alle aus der historischen Spur geworfen und in einen Konflikt gestürzt, dem wir nicht ausweichen können, der uns aber auch in eine seltsame Form der Selbstentfremdung führt, so wie Gregor Samsa in Kafkas ‚Die Verwandlung‘.“
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Kerzen vor den Schoah-Namensmauern am Holocaust-Gedenktag in Wien
© Quelle: IMAGO/Alex Halada
Die rechtsliberale dänische Tageszeitung „Jyllands-Posten“ (Aarhus) schreibt anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktages:
„Es muss über den Holocaust informiert, gelehrt und gesprochen werden. Vieles deutet darauf hin, dass nicht genug getan wird. Bald sind die letzten Augenzeugen verschwunden, und es bleibt nur noch die Geschichte, die von anderen erzählt wird. Gleichzeitig nimmt der Antisemitismus zu. Es ist eine gemeinsame europäische Pflicht, eine Wiederholung des Geschehenen wo auch immer zu verhindern. Und es ist ganz einfach: Es erfordert, dass wir uns weiter informieren und darüber reden. Oft ist versucht worden, den Holocaust als etwas spezifisch Deutsches zu erklären, einen mit dem Nazi-Regime und dem Zweiten Weltkrieg verbundenen Kurzschluss. Aber im Gegenteil ist es unbestreitbar, dass der moralische Zusammenbruch der europäischen Zivilisation und Geschichte, den der Holocaust als Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt, unser aller ist. Daher ist es auch unsere gemeinsame Verantwortung.“
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Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Donnerstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Eva Quadbeck. Bis dahin!
Herzlich
Ihr Markus Decker
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