Bosnien-Herzegowina: CSU-Politiker Schmidt sieht keinen „signifikanten Einfluss Russlands“
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Christian Schmidt (CSU) ist seit August 2021 Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina.
© Quelle: dpa
Berlin. Nach dem Ende des Krieges in Bosnien 1995 wurde von der internationalen Gemeinschaft ein Posten geschaffen, um die fragile Nachkriegsordnung zu sichern. Seit anderthalb Jahren bekleidet der Deutsche Christian Schmidt das Amt des „Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina“. In dieser Funktion überwacht er die friedliche Entwicklung des durch blutige Kriege zwischen Bosniern, Serben und Kroaten erschütterten Landes mit 3,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, das seit 15. Dezember 2022 EU‑Beitrittskandidat ist. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sprach mit Schmidt über die Situation auf dem Westbalkan.
Herr Schmidt, Bosnien-Herzegowina ist nun EU-Beitrittskandidat – wie schnell wird es zur Mitgliedschaft kommen?
Das hängt im Wesentlichen von Bosnien-Herzegowina selbst ab. Die Kriterien für einen Beitritt sind klar formuliert, die verantwortlichen Politiker wissen also, was zu tun ist. Die Voraussetzungen sind keineswegs schlecht, das Land war einmal der Musterknabe der Region, was die Integrationsbemühungen betrifft. Man kann also, wenn man will, schnell EU‑Standards erreichen.
Es ist notwendig diesen Prozess zügig anzugehen, denn das größte Problem ist die massive Abwanderung junger und gut ausgebildeter Menschen. Die wollen nicht hören, dass man vielleicht in einem Vierteljahrhundert zur EU gehört. Wenn diese Menschen keine absehbare Perspektive sehen, dass die EU nach Bosnien-Herzegowina kommt, dann besteht die Gefahr, dass sie aus Bosnien-Herzegowina in die EU gehen. Wir sprechen hier von ein bis 2 Prozent der Bevölkerung, die das Land jedes Jahr verlässt. Das Land droht auszubluten.
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Bosnien-Herzegowina hat Potenzial: hier die historische Altstadt von Travnik.
© Quelle: Boris Stroujko
Welchen Reformen müssen denn dringend angeschoben werden?
Auf legislativer Ebene fehlen noch viele Regelungen, um EU‑Rechtsstandards zu erreichen. Das fängt etwa bei der schwer begreiflichen Tatsache an, dass der Status der öffentlichen Liegenschaften des ehemaligen Jugoslawien immer noch nicht gesetzlich geregelt ist, dass also 30 Jahre nach der Unabhängigkeit nicht klar ist, wo Staat, Entität oder Kommune zuständig sind und handeln können. Das blockiert beispielsweise Investitionen aus dem Ausland, weil Rechtsunsicherheit herrscht.
Zudem fehlt Transparenz im Wirtschaftsleben. Im Bankverkehr kann man keine elektronische Signatur verwenden, weil das entsprechende Gesetz fehlt. Auch der öffentliche Sektor ist völlig überdehnt. Hier herrscht dringender Reformbedarf, auch im Sinne der Beschäftigten, die derzeit völlig der herrschenden politischen Klasse ausgeliefert sind. Und für die Gesellschaft ist das beherrschende Thema nach wie vor die Aufarbeitung des Krieges.
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Stumme Mahnung: Die Grabsteine der Gedenkstätte Potocari erinnern an den Genozid an muslimischen Bosniern in Srebrenica im Jahr 1995.
© Quelle: Darko Vojinovic/AP/dpa
Der Präsident der 1,2 Millionen Einwohner großen serbischen Teilrepublik Srpska, Milorad Dodik, hält weniger von Brüssel und mehr von Moskau. Gibt es von seiner Seite Störfeuer?
Da gibt es ein Problem der Dynamik zwischen öffentlicher Aufmerksamkeit und Ego. Dodik genießt den Anschein der Größe, und er weiß, dass er mit immer neuen Provokationen interessant bleibt. Auf der anderen Seite ist die Republik Srpska finanziell schwach, ausländische Investoren sind wegen Dodiks Rhetorik zögerlich, und er selbst hat sich mit seiner unreflektierten Unterstützung für Putin in eine politische Sackgasse manövriert.
Trotz unermüdlicher Propaganda unterstützt eine Mehrheit der Menschen in der Republik Srpska die Orientierung nach Westen und den EU‑Beitritt. Auch in Banja Luka schickt man die Kinder zum Studieren und Arbeiten nach Deutschland, Österreich oder Irland und nicht in den Osten. Also: Störfeuer gibt es. Signifikanten Einfluss Russlands in Bosnien-Herzegowina kann ich derzeit nicht erkennen. Da hat sich Dodik womöglich verhoben. Nicht einmal russisches Gas kriegt er billiger als alle anderen.
Auch in Banja Luka schickt man die Kinder zum Studieren und Arbeiten nach Deutschland, Österreich oder Irland und nicht in den Osten.
Dodik unterstützt zumindest verbal Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine – was verspricht er sich davon?
Da muss ich passen, ich weiß auch nicht. Der politische Profit ist gleich null. Im Gegenteil, er hat viele europäische Partner vor den Kopf gestoßen, und die Kalkulation, dass ihn die Unterstützung eines Angriffskrieges zu Hause irgendwie populärer machen könnte, war offenkundig falsch.
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Kriegsparteien können nicht „an den Verhandlungstisch gezwungen werden“
Der Philosophieprofessor Thomas Kater fordert ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine eine Friedensperspektive. „Wir müssen über diesen konkreten Krieg hinausdenken“, sagt er. Zugleich kritisiert er ein moralisches Schwarz-Weiß-Denken.
Für wie stark halten Sie nach wie vor die Gefahr, dass es zu einer Abspaltung kommt?
Egal, wie sehr Dodik poltert, er steht allein. Nicht einmal Serbien unterstützt ihn bei seiner verbalen Kraftmeierei und dem Kokettieren mit Sezession, sondern betont beständig die Unantastbarkeit der territorialen Integrität Bosnien-Herzegowinas. Was genau Putin und Dodik besprechen, ob sie überhaupt sprechen, das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber klar ist: Die Menschen in Bosnien-Herzegowina, auch in der Republik Srpska haben nicht die geringste Lust in den Ukraine-Krieg hineingezogen zu werden.
Vielleicht muss man an dieser Stelle aber auch sagen, dass die Fixierung der Debatte auf Russlands Einfluss in Bosnien-Herzegowina eindimensional ist. Es gibt noch andere Akteure, die Einfluss haben wollen, China etwa. Man muss sich dieses Land als Drehkreuz zwischen Süd und Nord, Ost und Westen vorstellen. Es hat geostrategisches Potenzial, was andere leider früher erkannt haben als die EU. Aber mit dem Kandidatenstatus für Bosnien-Herzegowina ist ein gutes Momentum entstanden, ich bin zuversichtlich, dass sich die Dinge in die richtige Richtung entwickeln.
Bosnien-Herzegowina profitiert bereits seit 2015 von einem Stabilisierungsabkommen mit der EU und kann dadurch fast alle Waren zollfrei in die EU exportieren. Welchen Waren schaffen es auf den hiesigen Markt?
Metalle und Holz sind wichtige Exportgüter, auch in verarbeiteter Form, etwa als Möbel. Und traditionell spielen Textilien eine große Rolle.
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Die EU-Mitgliedsländer haben bislang über 5,2 Milliarden Euro in Bosnien-Herzegowina investiert – welche Branchen betrifft das besonders?
Ich bin da nicht der Fachmann, das fällt nicht in mein Mandat, aber es wird erkennbar viel dort investiert, was man unter dem Stichwort „Werkbank“ zusammenfassen könnte. Erneuerbare Energien sind ein großes Thema geworden, da gibt es einen regelrechten Wettlauf der Investoren und natürlich Infrastrukturprojekte. Das geschieht nicht ohne Eigennutz: Bosnien-Herzegowinas Verkehrsnetz ist ausbaubar, um es mal so zu sagen.
Da steckt noch viel Potenzial, und das ist wichtig für den Handel. Nicht nur im Land selbst, sondern auch für den Austausch der benachbarten Länder untereinander. Es ist im Sinne des Landes und des gesamten Westbalkans, wenn dort investiert wird. Die EU ist hier außerordentlich aktiv, und das wissen die Menschen auch zu schätzen. Die Botschaft an die EU ist: Es lohnt sich mittel- und langfristig mehr, in Bosnien-Herzegowina zu investieren, als Arbeitskräfte abzuwerben.
Wie wirkt sich der russische Angriffskrieg in der Ukraine generell auf dem Balkan aus?
Paradoxerweise hat er zu einer verbesserten Zusammenarbeit geführt. Kein Land hat auch nur ansatzweise ein Interesse, da mit hineingezogen zu werden, und es hat etwas Bewegung in die Region gebracht. Alle wissen, auch wenn die Rhetorik für das Wahlvolk manchmal anders klingt, dass Stabilität und Frieden Garanten für wirtschaftlichen Fortschritt sind. Man ist deswegen zum vernünftigen Umgang und zur Zusammenarbeit verdammt.
Es wird interessant zu sehen, wie sich das mittelfristig auf die politische Tektonik in der Region auswirkt. Für den Moment bleibt festzustellen: Auch wenn es zu Beginn des Ukraine-Krieges einige erschreckende Szenarien für den Balkanraum gab, ist die Situation ein Jahr später so, dass man aufatmen kann. Man muss hier natürlich immer aufmerksam beobachten, aber die Entwicklung insgesamt gibt Anlass zur Hoffnung.
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Wie Russlands Krieg an der Weltordnung rüttelt
Putins Krieg gegen die Ukraine teilt die ganze Welt neu ein. Die Frontlinie verläuft nicht nur zwischen Russen und Ukrainern, sondern zwischen Demokratien und Diktaturen. Auf bittere Weise muss auch Deutschland wieder aufrüsten, um Kriegsverbrecher auf Abstand zu halten.
Wie sehen Sie die Entwicklungen in Serbien – im Spannungsfeld zwischen Brüssel und Moskau?
Serbien spielt eine wichtige Rolle in der Region und trägt deswegen auch große Verantwortung. Es gibt eine emotionale Verbundenheit zur russischen Kultur und historische Berührungspunkte. Gleichzeitig ist Serbien aber, nicht nur geographisch, ganz klar Teil Europas. Der Blick ging schon zu jugoslawischen Zeiten eher Richtung Westen. Auch wenn der Ukraine-Krieg eine klare Positionierung verlangt – und Serbien hat sich klar gegen die russische Aggression positioniert – sollten wir es vermeiden in Schwarz-Weiß-Mustern zu denken.
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic versucht in der aktuellen Gemengelage das Beste für sein Land zu erreichen, das ist legitim. Allerdings hat sich die Bevölkerung bereits für die EU entschieden, schlichtweg weil sie in Massen dorthin auswandert. Es gibt durch Arbeitsmigranten seit Jahrzehnten engste Beziehungen zu Europa. Niemand schickt seine Kinder zum Studieren oder Arbeiten nach Wladiwostok. In Belgrad weiß man sehr gut, wer mehr für das Land und die Menschen getan hat. Das war die EU, aller russisch-serbischen Freundschaftsfolklore zum Trotz.
Das RND hat Christian Schmidt auch zu den Vorwürfen des Satirikers Jan Böhmermann im „ZDF Magazin Royale“ vom 17. Februar befragt; Schmidt wollte sich dazu nicht äußern.