Wer soll das noch bezahlen?

Brot und Butter: Warum wir jetzt eine Preisbremse für Lebensmittel brauchen

Es geht nicht um Räucherlachs und Rinderfilet – es geht um Brot und Butter: Die Lebensmittelpreise sind in Deutschland in einem Jahr um 21 Prozent gestiegen.

Es geht nicht um Räucherlachs und Rinderfilet – es geht um Brot und Butter: Die Lebensmittelpreise sind in Deutschland in einem Jahr um 21 Prozent gestiegen.

Möglich, dass das nicht für jedes Kind eine schlechte Nachricht ist: Brokkoli ist 41 Prozent teurer geworden als vor einem Jahr. Der Preis für Blumenkohl erhöhte sich sogar um 61 Prozent. Doch es sind eben nicht nur die klassischen Quengelgemüse, die für viele Menschen kaum noch zu bezahlen sind: Lebensmittel insgesamt verteuerten sich innerhalb eines Jahres um 21,8 Prozent.

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Mehr als ein Fünftel. Deutschland, das viertreichste Land der Welt, hat eine massive, ganz reale Ernährungskrise.

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Es geht nicht um Räucherlachs und Rinderfilet – es geht um Brot und Butter

Denn besonders heftig stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel. Zucker ist fast 70 Prozent teurer, Brot 24,3 Prozent und Eier 35,3 Prozent im Vergleich zum Februar 2022. Es trifft besonders diejenigen, die ohnehin schon an der Armutsgrenze oder darunter leben.

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Und wie groß die Not ist, ist überall zu besichtigen: Lebensmitteltafeln, Schuldnerberatungsstellen und Pfandleihhäuser verzeichnen einen enormen Andrang. Es sind die Seismographen der Krise. Und gespendete Lebensmittel werden knapp. „Ich habe so etwas in 20 Jahren Arche noch nie erlebt“, sagt Wolfgang Büscher, Sprecher des christlichen Kinder- und Jugendwerks Die Arche. Familien wüssten schlicht nicht, wie sie ihre Kühlschränke füllen sollen. Es geht nicht um Räucherlachs und Rinderfilet. Es geht um Brot und Butter, um das Käsebrot im Schulranzen.

Es ist nicht so, dass der Staat untätig bliebe in Sachen Inflation:

Im Sommer 2022 griff der Tankrabatt.

  • Seit ein paar Tagen sind Gaspreisbremse und Strompreisbremse in Kraft.
  • Über eine (leicht abgewandelte) Heizöl- und Holzpelletpreisbremse verhandeln Bund und Länder aktuell.
  • Auch das bundesweite 49-Euro-Ticket wird faktisch eine Nachverkehrspreisbremse sein.

Überall hier greift der Staat direkt in den Markt ein, um die Folgen von Krieg und Inflation abzumildern. Nur in Sachen Lebensmittel hält sich die Politik zurück. Warum?

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In Frankreich sind die Preise eingefroren

Anderswo ist man offensiver: In Frankreich haben die Supermärkte auf Druck der Regierung die Preise für mehrere Hundert Produkte des täglichen Bedarfs bis Juni eingefroren. Solche Waren werden mit einem Sticker gekennzeichnet: „Anti-Inflation“. Besonders einkommensschwache Haushalte erhalten zusätzlich Lebensmittelschecks. Und das, obwohl die Lebensmittelpreise in Frankreich im Vergleich zu Deutschland (21,8 Prozent) „nur“ um 14,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sind. Die Kosten von mehreren Hundert Millionen Euro tragen die großen Supermarktketten.


In Kroatien sanken die Preise für Grundprodukte wie Sonnenblumenöl, Milch, Zucker, Hühner- und Schweinefleisch als Folge staatlicher Schritte um 30 Prozent. In Deutschland spielte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir kurz mit dem Gedanken an eine Mehrwertsteuersenkung für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Dann tat sich: nichts. In Sachen Cannabislegalisierung dagegen geht es voran.

Gewiss: Die Preise bestimmt der Markt, dieses angeblich so sensible, sich selbst korrigierende System aus Angebot und Nachfrage. Das ist im Kern ein heiliger Grundsatz der Marktwirtschaft. Alles andere, heißt es schnell, sei Sozialismus. Ökonomen hassen staatliche Eingriffe und Preiskontrollen. Doch es waren auch Ökonomen, die lange die Gaspreisbremse verteufelten – und nun kam sie doch. Und der Zusammenbruch der Erdölindustrie ist trotzdem nicht zu erwarten.

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Die Sorgen der Menschen interessieren Märkte nicht

Wer staatliche Eingriffe ablehnt, blendet zweierlei gern aus: Erstens ist Not zu lindern bedauerlicherweise nicht die Hauptfunktion der freien Marktwirtschaft. Die Sorgen der Menschen interessieren Märkte nicht. Und zweitens greift die Politik bereits seit Jahrzehnten heftig in Marktmechanismen ein, nicht nur mit EU-Subventionen für die Landwirtschaft. Volkswagen allein verkaufte zum Beispiel wegen der politisch motivierten Abwrackprämie 700.000 Autos mehr – es war ein reines Konjunkturprogramm für die wichtigste deutsche Industrie.

Noch ein Beispiel: Seit 2010 wird auf Hotelübernachtungen nur noch der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent fällig – dank CSU und FDP. Profiteure waren und sind die Hotelbetriebe. Die Mövenpick-Gruppe spendete der FDP im Jahr 2009 gut eine Million Euro – mutmaßlich aus Dankbarkeit für das anstehende Steuergeschenk, wie viele munkelten. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft urteilte damals, es gebe „keinerlei ökonomische Rechtfertigung“ für das Steuergeschenk an die Hoteliers. Es handele sich um „reine Klientelpolitik“. Und wer kann ehrlichen Herzens erklären, warum die Verluste von Großbanken jeweils munter vergemeinschaftet werden, die Gewinne aber privatisiert?

Die Regale sind voll, die Geldbeutel leer

Das Argument also, staatliche Eingriffe in Preisentwicklungen seien der erste Schritt in Richtung Planwirtschaft, ist bigott. Allein der deutsche Staat zahlte 2022 rund 47 Milliarden Euro für Finanzhilfen und Steuervergünstigungen, vor allem für den Umbau der Klima- und Umweltpolitik. Das ist alles sehr wichtig und richtig. Aber es macht Milch und Butter aktuell nicht bezahlbarer. Und da geht es um die Substanz. Um das Grundvertrauen der Menschen darauf, dass ihre Alltagsnöte Leitschnur der Politik sind. Es geht nicht um Luxus, sondern um die Basis von allem: Essen und Trinken. Die Regale sind voll, die Geldbeutel leer.

Wenn es sich immer mehr Menschen in Deutschland nicht leisten können, im Discounter oder Supermarkt einzukaufen, muss der Staat reagieren. Der Verzicht auf einen solchen politischen Eingriff ist sachlich kaum zu begründen. Ihn zu verteufeln, ist nichts anderes als politische Ideologie.

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Soll der Staat also auch in Sachen Lebensmittelpreise eingreifen? Er soll nicht nur. Er muss. Die Gegner der Idee argumentieren, Preisbremsen würden das Angebot verknappen, weil Hersteller ihre Ware anderswo anböten, wo sie mehr Umsatz erzielten. Sie seien außerdem „ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit“, schreibt Wolfgang Puff, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Bayern, in der „Bayerischen Staatszeitung“. Das trifft zu. Aber manchmal steht Versorgungssicherheit über der unternehmerischen Freiheit.

Mehr als 90 Prozent sind für die Preisbremse

Mehr als 90 Prozent der Befragten befürworten laut einer Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman staatliche Eingriffe bei Lebensmittelpreisen. Nur 9 Prozent meinen, der Staat solle sich heraushalten. Doch noch hofft man in der Bundesregierung, dass bei sinkenden Energiepreisen auch die Preise anderer Produkte wieder nachgeben werden, weil ihre Herstellung günstiger wird. Aber das ist Augenwischerei.

Es geht auch um das Vertrauen in den Staat: Ein Kind isst Nudeln von einem Teller.

Es geht auch um das Vertrauen in den Staat: Ein Kind isst Nudeln von einem Teller.

Möglich, dass die Gaspreisbremse einzelne überteuerte Artikel wieder ein paar Cent günstiger macht. Aber wer glaubt zum Beispiel ernsthaft daran, dass die Diesel- und Benzinpreise an den Tankstellen jemals wieder auf das Niveau vor dem Krieg gegen die Ukraine absinken werden? Wer hat das jemals erlebt, dass eine Industrie, die sich an höhere Umsätze gewöhnt hat, sinkende Weltmarktpreise und Mehreinnahmen durch verbesserte Rahmenbedingungen eins zu eins an ihre Kunden weitergibt?

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Das Vertrauen der Deutschen in ihre eigene Grundversorgung ist massiv gestört. Im Corona-Jahr 2020 empfanden noch 79 Prozent aller Konsumentinnen und Konsumenten die Leistung des Einzelhandels insgesamt als „gut“ oder „sehr gut“. Dieser Zufriedenheitswert rauschte innerhalb von nur zwei Jahren auf 36 Prozent ab. „Anders als in der Corona-Krise, als Verbraucher ihren Händlern und deren Schutzkonzepten ein gutes Zeugnis ausgestellt haben, fühlen sie sich in Zeiten der Inflation alleingelassen“, sagt Handelsexpertin Vanessa Seip, Mitautorin der Studie zur Akzeptanz von Lebensmittelpreisbremsen.

Wenn es sich immer mehr Menschen in Deutschland nicht leisten können, im Discounter oder Supermarkt einzukaufen, muss der Staat reagieren. Der Verzicht auf einen solchen politischen Eingriff ist sachlich kaum zu begründen. Ihn zu verteufeln, ist nichts anderes als politische Ideologie. Und für Ideologie haben Menschen, die am Monatsende vor einem leeren Kühlschrank hocken, in diesen Zeiten kein Verständnis.


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