Was Richter 2022 entscheiden mussten

Von Cannabis und Brustoperationen: die kuriosesten Fälle vor dem Bundessozialgericht

Eine Cannabispflanze blüht.

Eine Cannabispflanze blüht.

Berlin. Im Jahr 2022 hat sich das Bundessozialgericht mit Sitz in Kassel wieder mit zahlreichen besonderen Fällen beschäftigt. Es ist eines der fünf obersten Gerichtshöfe und unter anderem zuständig für die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung. Ein Blick in die Jahresbilanz 2022:

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1. Wenn ein rauchender Schüler vom Ast getroffen wird

Das Gericht hat im vergangenen Jahr entschieden, dass ein Schüler, der in der Nähe seiner Schule rauchte und einen Unfall erlitt, keinen Anspruch auf Unfallversicherungsschutz hat. Im konkreten Fall hielt sich der Volljährige mit zwei Mitschülern zum Rauchen im Stadtpark nahe der Schule auf.

Dort sei er von einem herabstürzenden Ast verletzt worden. Nach Entscheidung des Gerichts handelt es sich aber nicht um einen versicherten Schülerunfall, weil der Aufenthalt im Park nicht im Verantwortungsbereich der Schule lag. Dies sei auf das Schulgelände beschränkt, heißt es. Wenn der Schüler aber etwa zum Bäcker gegangen wäre, um sich etwas zu essen zu holen, wäre die Situation eine andere. Doch die „Einnahme von Genussmitteln“ stehe mit der Schule in keinem sachlichen Zusammenhang, so die Richter.

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2. Als das Jobcenter Trinkgeld von Aufstockern anrechnen wollte

Eine Kellnerin, die mit Hartz IV aufstockt, darf ihr Trinkgeld von 25 Euro behalten. Das entschied das Bundessozialgericht im Juli 2022. So klagte die Frau dagegen, dass das Jobcenter ihr Trinkgeld als sonstiges Einkommen angerechnet hatte. Die Richterinnen und Richter aber unterstrichen, dass das Trinkgeld bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II in dieser Höhe nicht berücksichtigt werden dürfe. Trinkgelder könnten Hartz IV nur dann mindern, wenn sie monatlich 10 Prozent des Regelbedarfs übersteigen, heißt es.

3. Wann Frauen Anspruch auf Brustangleichungen haben

Bislang hatten Patienten und Patientinnen grundsätzlich Anspruch auf eine Behandlung, wenn ein Körperteil bei flüchtigen Begegnungen „entstellend“ wirkt und sich quasi „im Vorbeigehen“ bemerkbar macht. Vergangenes Jahr entwickelte das Bundessozialgericht die bisherige Rechtsprechung anhand der Klage einer Frau weiter. Die Betroffene wollte eine Rückerstattung für eine Brust-Operation von ihrer Kasse einklagen. Das Gericht entschied, dass eine Entstellung in Ausnahmefällen zudem bei Körperteilen möglich ist, „die üblicherweise von Kleidung bedeckt sind“, beispielsweise Brüste.

Es gibt jedoch Voraussetzungen: Die Auffälligkeiten müssten besonders schwerwiegend sein und abstoßend wirken, heißt es. Dabei ist laut Rechtsprechung nicht das Empfinden der Betroffenen maßgeblich, sondern die objektive Reaktion. Die Entstellung muss so gravierend sein, dass selbst Sexualität im Privatleben fast nicht möglich ist. Die Betroffene bekam nicht Recht, weil das bei ihr den Richtern zufolge nicht gegeben war.

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Mit dem Bild vom „faulen Kiffer“ möchte sie nicht identifiziert werden. „Das bin nicht ich“, sagt Schmerzpatientin Klaudia Schmidt (Name geändert).

Kiffen auf Rezept: Eine Schmerzpatientin berichtet vom Alltag mit Cannabis

Seit 2017 erlaubt ein Gesetz in Deutschland, Cannabis als Medizin zu verwenden. Eine Patientin aus Hannover leidet unter starken chronischen Schmerzen. Sie kifft täglich, mehrfach, auf Rezept. Wie sieht das eigentlich im Alltag aus?

4. Wenn eine Klinik einen falschen Arzt beschäftigt

Das Bundessozialgericht hat 2022 klargestellt, dass eine Klinik keinen Anspruch auf Vergütung von Krankenhausbehandlungen hat, an denen ein falscher Arzt mitgewirkt hat. Voraussetzung ist demnach nicht nur die Berufserlaubnis, sondern auch die fachliche Qualifikation, heißt es. Ein Mediziner, der sich die Approbationsurkunde mit gefälschten Zeugnissen erschlichen hat, zählt nicht dazu. Es gibt aber eine Ausnahme für die Vergütung: Wenn die Klinik bestimmte Behandlungsschritte abgrenzen kann, an denen der falsche Arzt nicht mitgearbeitet hat, darf sie dafür Geld bekommen. In dem speziellen Fall hatte eine Krankenkasse die Rückerstattung von einer Klinik gefordert, weil diese einen falschen Arzt beschäftigt hatte, ohne das zu wissen.

5. Welche Schwerkranken Cannabis erhalten dürfen

Für Schwerkranke gibt es hohe Hürden, wenn sie ein Kassenrezept für Cannabis bekommen möchten. Zwar darf den Richtern zufolge Cannabis bei schweren Erkrankungen auch dann verordnet werden, wenn noch andere Therapien zur Verfügung stehen. Die Krankenkassen dürften Cannabis aber nur genehmigen, wenn der behandelnde Arzt eine „besonders sorgfältige und umfassende Einschätzung“ abgegeben habe.

Dazu zählt eine Dokumentation des Krankheitszustandes des Versicherten, eine Analyse der Therapiealternativen und die Abwägung der Erfolgschancen sowie der Risiken. Eine Drogenabhängigkeit ist danach nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium. Hier müsse der Arzt abwägen, entschieden die Richterinnen und Richter. Die Kasse darf dann aber nur noch prüfen, ob die ärztliche Einschätzung „völlig unplausibel“ ist und nicht andere Kriterien heranziehen.

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