„Wir rasen weiter auf den Abgrund zu“: Lob und Kritik für Beschlüsse des Naturschutzgipfels
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Das Versammlungszentrum der UN-Umweltkonferenz COP15 in Montreal in Kanada.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Press
Berlin/Montreal. Die Beschlüsse der Weltgemeinschaft für einen besseren Artenschutz waren pünktlicher und ehrgeiziger als erwartet, sie lösen aber dennoch ein geteiltes Echo aus. Während Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) von einem „guten Tag für den Naturschutz“ sprach, bezeichneten Umweltverbände das Abkommen als unzureichend.
In Deutschland wird für die Umsetzung der Beschlüsse von Montreal auch Agrarminister Cem Özdemir verantwortlich sein. Der Grünen-Politiker verteidigte die Gipfelergebnisse am Montag gegen Kritik: „Die Staatengemeinschaft rückt die Bekämpfung des Artensterbens endlich da hin, wo sie hingehört: nach oben auf die politische Agenda“, sagte Özdemir dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Dafür sei er auch seiner Kabinettskollegin Lemke dankbar.
Özdemir erwartet Rückenwind für EU-Verhandlungen
Der Grünen-Politiker fügte hinzu: „Das Signal aus Montreal ist auch für die Landwirtschaft und unsere Ernährung wichtig. Schließlich sind wir für stabile Ernten auch auf stabile Ökosysteme angewiesen.“ Zudem sei eine große genetische Vielfalt wichtig, damit sich Landwirte auf dem Acker und in der Tierhaltung auf veränderte Temperaturen und Niederschläge einstellen können, betonte er. „Artenvielfalt schützen, das heißt immer auch Ernährung sichern.“
Die von der UN-Konferenz vereinbarten Schutzziele würden ihm Rückenwind bei seinen weiteren Verhandlungen geben, sagte Özdemir dem RND: „Wir arbeiten bei uns und in Brüssel bereits daran, den Pestizideinsatz und auch Nitratüberschüsse zu verringern“, sagte der Minister. Gerade weil Artenschutz nicht an Grenzen haltmachen dürfe, begrüße er die neuen Zielvorgaben auch für Europa.
Tatsächlich war die Weltnaturschutzkonferenz in Kanada an diesem Montagvormittag mit einigen handfesten Vereinbarungen zu Ende, die sich selbst die ehrgeizigeren Staaten wie Deutschland erhofft hatten: Allen voran einigte sich die Weltgemeinschaft darauf, bis zum Jahr 2030 tatsächlich 30 Prozent der Landflächen und Meere unter Schutz zu stellen – ein Vielfaches der heute vor Bewirtschaftung und Verschmutzung geschützten Fläche.
UN-Umweltkonferenz in Montreal fokussiert sich auf bedrohte Artenvielfalt
Bis zum 19. Dezember beraten die Vertragsstaaten des internationalen Umweltabkommens über die biologische Vielfalt (CBD), unter anderem über Artenschutz.
© Quelle: Reuters
Zudem stärkt das Abkommen die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinden, die als wichtigste Verbündete im Natur- und Artenschutz zählen. Und schließlich haben sich die Industrieländer – inklusive der Europäischen Union – verpflichtet, in den nächsten drei Jahren jeweils 20 Milliarden US-Dollar für die Finanzierung des Naturschutzes aufzubringen. Bis 2030 soll die Summe dann auf 30 Milliarden US-Dollar erhöht werden.
Nach knapp zwei Wochen Verhandlungen hatten sich Vertreter aus knapp 200 Staaten auf das Abkommen zum Schutz der Biodiversität geeinigt, das insgesamt 23 Vorhaben, die bis 2030 erreicht werden sollen, beschreibt. Kritiker vermissen allerdings konkret nachprüfbare Maßnahmen zu deren Umsetzung.
Holzindustrie warnt vor Nutzungsverboten für Wälder
Doch es gibt auch Warnungen aus entgegengesetzter Perspektive: So warnt etwa die deutsche Holzindustrie die Bundesregierung davor, in Naturschutzgebieten künftig den Holzeinschlag zu verbieten. Man begrüße die Beschlüsse des Gipfels, künftig 30 Prozent der Land- und Wasserflächen unter Naturschutz zu stellen, sofern „man sie mit einer aktiven Bewirtschaftung verbindet“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Holzindustrie (HDH), Denny Ohnesorge, dem RND. „Bewirtschaftungsmodelle unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung sind viel erfolgreicher im Artenschutz als der Schutz großer Flächen mit restriktiven Nutzungsverboten.“
Der Verbandschef fügte hinzu: „Unsere bewirtschafteten Wälder weisen seit Jahrzehnten eine positive Entwicklung der Biodiversität auf und schneiden im Vergleich zu den anderen Landnutzungsformen am besten ab“, so Ohnesorge. „Wir fordern daher ein stärkeres Engagement der Bundesregierung bei der Förderung von Projekten zur Entwicklung nachhaltiger Bewirtschaftungsformen.“
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Hillscheid in Rheinland-Pfalz: Waldarbeiter sind im Westerwald mit Holzfällarbeiten beschäftigt.
© Quelle: Thomas Frey/dpa
Ohnesorge verwies auf aktuelle Studien der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, wonach die Waldfläche in Europa „im Einklang mit nachhaltiger Bewirtschaftung“ in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich ausgeweitet wurde: „Die aktive Bewirtschaftung des Waldes auf Basis definierter Nachhaltigkeitsstandards steigert die Akzeptanz für den Artenschutz und sichert die Biodiversität“, sagte er dem RND.
In Montreal hatte sich die Weltgemeinschaft unter anderem dazu verpflichtet, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Meeres- und Landfläche unter Naturschutz zu stellen. Umweltverbände wie Greenpeace und Nabu hatten die Beschlüsse unter anderem wegen fehlender Überprüfbarkeit als unzureichend kritisiert.
Der Beschluss von Montreal spannt einen Schutzschirm für unsere Lebensgrundlagen auf.
Steffi Lemke (Grüne),
Bundesumweltministerin
Dennoch: Gerade verglichen mit dem Abschlusspapier, das die Weltklimakonferenz COP27 vor vier Wochen in Ägypten verabschiedet hatte, gilt der Artenschutzgipfel den meisten Teilnehmern als Erfolg. „Der Beschluss von Montreal spannt einen Schutzschirm für unsere Lebensgrundlagen auf“, erklärte etwa die deutsche Chefverhandlerin in Kanada, Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), am Montagvormittag. „Die Staatengemeinschaft hat sich dafür entschieden, das Artenaussterben endlich zu stoppen.“
Die Verhandlungen seien lang und anstrengend gewesen, verriet Lemke, doch die Vereinbarung strahle für sie Entschlossenheit aus. Neben den genannten Beschlüssen lobte sie, dass der Pestizideinsatz bis 2030 halbiert und umweltschädliche Subventionen von 500 Millliarden Dollar pro Jahr abgebaut werden sollen. „Ein guter Tag für den weltweiten Natur- und Umweltschutz“, findet Lemke.
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Ihr selbst ist klar, dass damit auch Deutschland in die Pflicht genommen wird. Denn auch Deutschland zahlt Jahr für Jahr 65 Milliarden Euro an Subventionen für Bereiche, die Umwelt und Klima schaden. Und auch hierzulande stehen nur 4 Prozent der Landflächen unter strengem Naturschutz.
Kritik: Finanzielle Mittel nicht ausreichend
Entsprechend skeptisch reagierten Natur- und Umweltschutzverbände auf die Einigung von Montreal. „Insgesamt reicht das Abkommen nicht aus, um das Massensterben der Arten aufzuhalten“, kritisierte etwa Greenpeace-Politikexperte Jannes Stoppel. Weder untersage es industrielle Fischerei noch Holzeinschläge in Schutzgebieten, rügt er. „Damit existiert der Schutz zunächst nur auf dem Papier.“ Auch die zugesagten Milliardensummen des globalen Nordens für die Finanzierung von Naturschutzprojekten reichten bei Weitem nicht aus: Laut Greenpeace fehlen damit immer noch 700 Milliarden Dollar, um das Artensterben bei Pflanzen und Tieren aufzuhalten.
Die Welt rast in der Natur- und Klimakrise auf einen Abgrund zu. Doch statt entschieden zu bremsen, geht sie lediglich etwas vom Gas.
Jörg-Andreas Krüger,
Nabu-Präsident
Deutschlands ältester und mitgliederstärkster Umweltverband, der Nabu, lobte zwar die vereinbarten Ziele zu Flächenschutz und Pestizidreduktion, „doch es gibt keine messbaren Ziele, die den Biodiversitätsverlust durch die Land- und Forstwirtschaft, die Fischerei, den Handel sowie den Finanzsektor aufhalten könnten“, erklärte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Die Welt rast in der Natur- und Klimakrise auf einen Abgrund zu. Doch statt entschieden zu bremsen, geht sie lediglich etwas vom Gas.“
Naturwissenschaftlern und ‑wissenschaftlerinnen zufolge sind derzeit von rund acht Millionen bekannten Tier- und Pflanzenarten mindestens eine Million vom Aussterben bedroht – darunter auch verschiedene Insektenarten in Deutschland. Damit stehen ganze Ökosysteme vor der Vernichtung, was wiederum den Klimawandel zu verstärken droht – etwa durch fehlende CO₂-Speicher in Mooren und Wäldern.