Corona-Folge: Regierung will gegen Vereinsamung von Senioren vorgehen
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Einsamkeit begünstigt Depressionen, eine der häufigsten psychischen Erkrankungen im höheren Alter.
© Quelle: imago images/Shotshop
Berlin. Die Corona-Pandemie und die verhängten Schutzmaßnahmen haben zu einer massiv verstärkten Vereinsamung von älteren Menschen in Deutschland geführt. Bei vielen über 85-Jährigen hielt die Einsamkeit zudem länger an. Das geht aus einer Antwort des Bundesfamilienministeriums auf eine Anfrage der Linken hervor, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt. Demnach stieg der Anteil der Menschen ohne ausreichende Sozialbeziehungen zwar im ersten Jahr der Pandemie in allen Altersgruppen an. Besonders stark waren allerdings die über 60-Jährigen betroffen.
So lag in der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen der Anteil derer, die sich im Corona-Sommer 2020 einsam fühlten, mit 13,1 Prozent am höchsten. Vor der Pandemie hatte der Anteil unter ihnen bei 9 Prozent und damit etwa so hoch wie in anderen Altersgruppen gelegen.
Einsamkeit begünstigt zahlreiche Krankheiten
Auch unter den 70- bis 85-Jährigen gaben im Sommer 2020 rund 12,5 Prozent an, einsam zu sein. Auffällig ist zudem, dass diese sogenannte Einsamkeitsquote in allen Altersgruppen nach dem Sommer 2020 wieder fast auf Vor-Corona-Niveau zurückging, allerdings nicht bei den Über-85-Jährigen. Dort ist die Quote ohnehin massiv gestiegen: Noch 2014 lag sie bei 3,51 Prozent und von 7,8 Prozent im Sommer 2020 stieg sie auf mehr als 12,4 Prozent Anfang vorigen Jahres. Laut der Untersuchung, die das Deutsche Zentrum für Altersfragen im Auftrag des Bundesfamilienministerium regelmäßig durchführt, lag der Anteil der Vereinsamten unter Männern zudem minimal über dem Anteil unter Frauen.
Das Ministerium hat Einsamkeit bereits seit Beginn der Legislaturperiode als gesellschaftspolitisches Problem bezeichnet und will nun gezielt dagegen vorgehen. Einsamkeit sei zwar keine Krankheit, schreibt Staatssekretär Sven Lehmann in dem Schreiben. Sie könne aber „als Risikofaktor an der Entwicklung von Erkrankungen wie Depressionen, Demenzerkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen und Substanzmissbrauch beteiligt und andererseits Folge von Erkrankungen wie Depressionen und Demenzerkrankungen sein“.
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„Vereinsamung ist ein riesiges Problem, unabhängig vom Alter“
Handlungsbedarf bestehe aber auch in der Forschung: „Die komplexen Ursachen sowie Auswirkungen von Einsamkeit in Deutschland sind bisher noch nicht ausreichend untersucht“, heißt es weiter. Dazu gehört laut dem Papier auch ein Überblick über Bedarf und Verfügbarkeit an Therapien in Deutschland. Das Familienministerium hatte deshalb ein „Kompetenznetz Einsamkeit“ gegründet, in dem Expertise zum Thema gebündelt und gemeinsam mit dem Ministerium eine „Strategie gegen Einsamkeit“ erarbeitet wird.
Wie aus der Antwort nun hervorgeht, stattet das Ressort von Ministerin Lisa Paus (Grüne) die Projektgruppe dafür mit insgesamt 20 Personalstellen aus. Das „Kompetenznetz Einsamkeit“ weist darauf hin, dass viele der Mitarbeiter in Teilzeit für das Projekt tätig sind. Umgerechnet in Vollzeitstellen entspreche das Personal für 2022 etwas mehr als 7 Vollzeitstellen für alle Arbeitsbereiche von Leitung über wissenschaftliche Mitarbeit bis hin zu Projektabrechnung und -assistenz. Im kommenden Jahr werden es 8,38 Vollzeitäquivalente sein.
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Linken-Bundestagsabgeordnete und Familienpolitikerin Heidi Reichinek
© Quelle: Jannis Hutt
Das begrüßt auch die niedersächsische Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek, die die Anfrage beim Ministerium gestellt hatte. „Vereinsamung ist ein riesiges Problem, unabhängig vom Alter“, sagte die Fraktionssprecherin für Familien- und Seniorenpolitik dem RND. Dass die Einsamkeitsquote gerade bei älteren Menschen in der Pandemie so stark gestiegen sei, führe in der Altersgruppe zu psychischen Belastungen, die viel zu oft unbehandelt bleiben: „Die Bundesregierung weiß derzeit einfach nicht, wie lange Menschen auf einen Therapieplatz warten. Grundsätzlich gibt es zu wenig Therapieangebote“, sagte Reichinnek dem RND.
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Gegen Vereinsamung anzugehen, sei vor allem eine sozialpolitische Aufgabe: „Die Bundesregierung erkennt einen Zusammenhang zwischen Armut und Einsamkeit klar an“, sagte sie mit Blick auf die Ministeriumsantwort.
Armut gehe mit mangelnder sozialer Teilhabe einher und erstrecke sich über viele Bereiche. „Wir müssen für alle Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen – unabhängig vom Einkommen“, so die Linken-Politikerin, „sei es über vergünstigte Tickets für einen flächendeckenden Personennahverkehr, vergünstigte Kulturangebote und Stadtteilarbeit, die ausfinanziert ist.“ Die Bundesregierung habe dabei massiven Nachholbedarf.