Der Asylkompromiss von Luxemburg: eine Zerreißprobe für die Grünen
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Die Einigung der EU wird zur nächsten Zerreißprobe für die Grünen.
© Quelle: picture alliance/dpa
Wie auch immer man die Einigung der EU-Innenminister auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) bewertet, zweierlei ist gewiss: Für Deutschland bedeutet es eine Abkehr vom im Grundgesetz kodifizierten Asylrecht. Für die Grünen bedeutet es eine Zerreißprobe ungeahnten Ausmaßes.
In Grundgesetzartikel 16 steht: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Mindestens für Antragsteller aus Staaten mit sogenannter geringer Bleibeperspektive gilt dies nicht mehr. Ihre Anträge werden bald aller Voraussicht nach nur noch kursorisch und ohne Chance auf Anerkennung geprüft. Juristischer Beistand dürfte ebenso fehlen wie das Recht auf Widerspruch.
Es geht im Kern um Abschreckung
Es geht im Kern um Abschreckung. Damit fügt sich das GEAS dem Trend. Australien und Großbritannien drängen Flüchtende längst in Camps außer Landes. In der EU sind Pushbacks an der Tagesordnung. Seenotrettung wird bestenfalls geduldet. Mag sein, dass es Schutzsuchende aus Afghanistan oder Syrien bis auf Weiteres leichter haben. Sicher ist auch das nicht.
Was in Luxemburg geschah, spiegelt die Mehrheitsverhältnisse in Europa wider. Es ist Realpolitik. Hier geben besonders belastete Staaten mit EU-Außengrenze, seit jeher flüchtlingsfeindliche Länder oder rechtsgerichtete Regierungen den Ton an, wobei die Schnittmengen zwischen den drei Gruppen groß sind. Gerade mal vier von 27 Staaten – Deutschland, Irland, Luxemburg und Portugal – bleiben bereit, zumindest Ausnahmen für Minderjährige und ihre Familienangehörigen zu machen. Hatte es während der Flüchtlingskrise ab 2015 geheißen, die „jungen Männer“ seien das Problem, kann davon keine Rede mehr sein.
Vor einem politischen Erklärungsproblem steht jetzt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die vermutlich nicht zuletzt vom Kanzler zu diesem Kompromiss gedrängt wurde. Keineswegs zufällig dürfte Olaf Scholz ausgerechnet am Tag des EU-Innenministertreffens die „postfaschistische“ italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Rom besucht haben.
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Noch ärger schaut es bei den Grünen aus. Als bekannt wurde, dass sich der Bundesvorstand in einem Leitantrag für den bevorstehenden Kleinen Parteitag von den Außengrenzverfahren distanzierte, stimmte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock ihnen ohne Gegenleistung zu. Die Parteivorsitzenden sprechen mit gespaltener Zunge, die Fraktionsvorsitzenden ebenfalls. Unterdessen gibt es in der zweiten Reihe Widerspruch wie lange nicht mehr.
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„Scholz ist ein Kontrollfreak“: Experte für Körpersprache erklärt Auftreten des Kanzlers
Bundeskanzler Olaf Scholz ist nicht für ein pompöses Auftreten bekannt. Stattdessen wirkt sein Verhalten oftmals zurückhaltend, vorsichtig und mitunter sogar unsicher. Hat der Kanzler Angst? Oder ist alles Teil einer ausgetüftelten Strategie? Ein Experte für Körpersprache klärt auf.
Die Grünen-Basis hat seit dem Beginn der Ampelkoalition zu viel schlucken müssen: Waffenlieferungen an die Ukraine, längere Laufzeiten für Atomkraft- und Kohlekraftwerke, den Import von LNG-Gas sowie den Bau umweltschädlicher Terminals bei gleichzeitiger FDP-Blockade im Klimaschutz. Jetzt auch noch eine offene Flüchtlingspolitik aufgeben zu müssen, obwohl sie identitätsstiftend wirkt, bringt das Fass zum Überlaufen. Der Streit erinnert an die Konflikte um die deutsche Beteiligung am Kosovo- und am Afghanistan-Krieg vor über 20 Jahren. Es geht ums Ganze. Die Bedenken werden durch den Zusammenhalt der EU, der ein Wert an sich ist, bloß bedingt aufgehoben.
Ob der Kompromiss von Luxemburg Praxis wird, steht auf einem anderen Blatt. Viele Fragen sind offen: Wie sehen die Außengrenzverfahren in Lagern konkret aus? Wie viele nicht anerkannte Flüchtende kann die EU in ihre Herkunftsländer zurückschicken, was ist mit den anderen? In welchem Umfang werden Asylbewerberinnen und -bewerber verteilt? Und leisten jene Staaten, die sich bockbeinig zeigen, wirklich Ausgleichszahlungen?
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem steht zunächst allein auf dem Papier. Und Papier ist gerade in der Flüchtlingspolitik geduldig.
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