Neue linke Turbulenzen: mit Sahra Wagenknecht ins Fiasko
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Sahra Wagenknecht (Die Linke) bei ihrer umstrittenen Rede im Bundestag am 8. September.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
Sahra Wagenknecht ist in der Linken umstritten, seit es die Linke gibt. Früher, als die Linke noch PDS hieß, sorgte die heute 53-Jährige für Aufsehen, weil sie der „Kommunistischen Plattform“ angehörte. Später lag Wagenknecht mit größeren Teilen der Partei in der Eurokrise ebenso über Kreuz wie in der Flüchtlings- und anschließend der Corona-Krise. Ihre größte Provokation bestand aber fraglos in der Gründung einer angeblichen Sammlungsbewegung namens „Aufstehen“, die, so schien es, zu einer Konkurrenzveranstaltung hatte werden sollen.
In jeder anderen Partei hätte das vermutlich Konsequenzen gehabt. Nicht in der Linken. Eine bedeutende Minderheit wollte nicht ohne die damalige Fraktionsvorsitzende. Viele andere glaubten, nicht ohne die Frau mit der großen Fernsehpräsenz zu können. So blieb alles unter Spannung.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ist der Rubikon für Wagenknechts Gegner freilich endgültig überschritten. Dass sie am Donnerstag im Bundestag von einem Wirtschaftskrieg gegen Russland sprach und bald darauf in einer Videobotschaft auch noch die tschechische Hauptstadt Prag als Vorbild pries, wo 70.000 Russland-nahe Links- und Rechtsextremisten gemeinsam Wladimir Putins Politik guthießen, wollen viele nicht mehr mittragen. Sie solle aus der Fraktion ausgeschlossen werden oder zumindest nicht mehr für diese sprechen, heißt es. Drei linke Landespolitikerinnen forderten gar den Rücktritt der Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, weil sie Wagenknecht in der Debatte über die Energiepolitik als Hauptrednerin aufgeboten hatten und ihr zu allem Überfluss auch noch applaudierten.
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Bei Amira Mohamed Ali ist die Überraschung weniger groß. Sie kommt aus dem Wagenknecht-Lager. Zwar hat es die Oldenburgerin lange Zeit vermocht, durch verbindliches Auftreten Gräben zuzuschütten. Doch im Zuge des Krieges in der Ukraine ist der Graben in der Fraktion inzwischen so groß geworden, dass ihn niemand mehr zuschütten kann.
Unterdessen haben sich auch Wagenknecht-Unterstützer zu Wort gemeldet. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Klimaschutz und Energie, Ex-Parteichef Klaus Ernst, teilte im Verein mit dem Fraktionskollegen Alexander Ulrich angesichts der Kritik an Wagenknechts jüngstem Parlamentsauftritt mit: „Es ist völlig unverständlich, wie eine inhaltlich korrekte Rede aus den eigenen Reihen der Partei wieder einmal diskreditiert wird.“ Dabei ist der Bayer längst selbst hochgradig umstritten – spätestens seitdem er im Sommer 2020 Altkanzler Gerhard Schröder als Sachverständigen in den Wirtschaftsausschuss lud. Das Thema seinerzeit: die Ostseepipeline Nord Stream 2.
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Ist selbst hochgradig umstritten: der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Klimaschutz und Energie, Ex-Parteichef Klaus Ernst.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Die zentrale Figur ist jedoch Co-Fraktionschef Bartsch. Der 64-Jährige hat es nach außen stets verstanden, moderat zu wirken. Seine Parlamentsreden erregen selten Anstoß. Auch legt Bartsch Wert auf die Feststellung, dass er überparteilich Kontakte pflegt: zum FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, zum ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU – oder dem Boss eines seiner Lieblingsfußballklubs Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke, Spitzname: Aki. Bartsch, so lautet die subkutane Botschaft, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Mit Wagenknecht und Ihresgleichen, so scheint es, hat er wenig zu tun.
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Intern hat Bartsch indes meist nach dem Motto gehandelt: „Teile und herrsche“. So opponierte er aus dem Hintergrund gegen die einstigen Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst und versteckte sich später hinter seiner Co-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, als diese sich mit den neuen Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger anlegte. In den Clinch mit Wagenknecht ging Bartsch ebenso wenig wie mit deren Nachfolgerin Mohamed Ali. Das hätte seine Macht gefährdet. Stattdessen taucht Bartsch in entscheidenden Augenblicken unter und tut so, als habe er mit all dem nichts zu tun. Das entfacht wiederum den Zorn seiner Gegner.
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Taucht in entscheidenden Momenten unter: Linken-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Zurück bleibt eine Partei, die Wagenknecht weder los wird noch sie einbinden kann, weil Wagenknecht sich nicht einbinden lässt – und die im Zuge dessen immer schwächer wird. Ja, die Linke ähnelt Buridans Esel. Er konnte sich zwischen zwei Heuhaufen nicht entscheiden und verhungerte.
Bittere Wahrheit
Wir müssen realistisch sein: Wir können nicht alles abwenden, was an Herausforderungen auf unser Land zukommt. Ein Versprechen kann diese Bundesregierung aber geben: Aufgrund von finanziellen Sorgen wird in diesem Land in diesem Winter niemand hungern und niemand frieren.
Christian Lindner,
FDP-Vorsitzender und Bundesfinanzminister
Es ist noch gar nicht so lange her, dass in der Bundesrepublik Deutschland alle materiellen Probleme gelöst schienen. Schon 1953, acht Jahre nach Kriegsende, verbreitete der Soziologe Helmut Schelsky seine berühmte These von der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“. Gewiss, es gab Ungleichheit. Zuletzt setzte sich auch mehr und mehr der Eindruck durch, dass der Aufstieg aus den unteren Etagen der Gesellschaft in die oberen immer schwieriger, wenn nicht gar unmöglich werde – anders als zu Schelskys Zeiten. Doch hungern oder frieren? Nein. Eine entsprechende Zusicherung der Regierung hätte wie ein schlechter Scherz angemutet.
Heute hingegen – bei Energieknappheit und Inflation – wirkt dieselbe Zusicherung aus dem Munde des liberalen Bundesfinanzministers Christian Lindner fast schon wie eine Verheißung. Auch daran lässt sich die „Zeitenwende“, von der Kanzler Olaf Scholz drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sprach, erkennen.
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Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
© Quelle: Fabian Sommer/dpa
Wie das Ausland auf die Lage schaut
Den Vorschlag des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck, zwei deutsche Atomkraftwerke für den Fall von Energieengpässen bis Mitte April in Reserve zu halten, kommentiert die US-Zeitung „Wall Street Journal“ wie folgt:
„Angesichts in die Höhe schießender Preise für fossile Brennstoffe und schwindender Erdgaslieferungen aus Russland inmitten Wladimir Putins Krieg in der Ukraine – und weil Wind sowie Sonne eine Industriemacht nicht antreiben können – scheint Kernkraft die offenkundige Lösung zu sein. Aber nicht in Deutschland, wo die kulturelle und politische Atomkraftfeindlichkeit tief sitzt. Das Thema ist eine besondere Herausforderung für Habeck, dessen Grüne Partei aus der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er-Jahre hervorgegangen ist.
Selbst jetzt dürfte grüne Politik eine Erklärung dafür sein, warum Habeck sich für einen schlechten Kompromiss entschieden hat, nur zwei der drei (verbliebenen) Reaktoren weiterlaufen zu lassen. In diesem Jahr hat sich in Deutschland die öffentliche Meinung zur Kernenergie schnell gewandelt. Ein Großteil der Wähler erkennt nun, dass sie eine unverzichtbare und kohlenstoffarme Alternative ist und befürwortet ihre potenzielle Nutzung in den kommenden Jahren. Vielleicht erlangen die Politiker eines Tages endlich die Weisheit der Öffentlichkeit.“
Robert Habeck will zwei AKW als Notreserve behalten
Der Bundeswirtschaftsminister öffnet die Tür für einen zeitweisen Weiterbetrieb von zwei Atomkraftwerken – im Notfall.
© Quelle: dpa
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hat die Angehörigen der Opfer des Olympia-Attentats im Namen der Bundesrepublik um Vergebung gebeten. Dazu schreibt der Schweizer „Tages-Anzeiger“:
„Das Versagen des deutschen Staates von 1972 wiegt auch deshalb so schwer, weil es ein doppeltes war: Erst scheiterte der Staat beim Schutz der Sportler vor den Terroristen, danach bei der Aufarbeitung und beim Umgang mit den Opfern.
Statt sich zu entschuldigen, sich um die Opferfamilien zu kümmern und das Versagen aufzuarbeiten, vertuschten die Bundesregierung von Kanzler Willy Brandt und Bayerns Landesregierung die Fehler. Die drei überlebenden Attentäter ließ Deutschland nach der Entführung einer Lufthansa-Maschine schon wenige Wochen später frei. Akten zum Anschlag wurden manipuliert oder vernichtet, den Angehörigen der Opfer Auskünfte über Jahrzehnte vorenthalten. Bis im Münchner Olympiapark eine kleine Gedenkstätte namentlich an die Opfer erinnerte, dauerte es beschämende 45 Jahre.“
Bundespräsident Steinmeier zeigt sich „beschämt“ über späte Olympia-Entschädigung
Bundespräsident Steinmeier und der israelische Präsident Izchak Herzog haben die Einigung mit den Opferfamilien des Olympia-Attentats vor 50 Jahren gewürdigt.
© Quelle: Reuters
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Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Donnerstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Eva Quadbeck. Bis dahin!
Herzlich
Ihr Markus Decker
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