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75 Jahre Städtepartnerschaften

Die Städteverbindung

Wie eng die Welt zusammengewachsen ist, lässt sich oftmals schon bei der Einfahrt in eine beliebige europäische Stadt beobachten: immer dann, wenn neben den Ortsschildern weitere Hinweistafeln mit den Namen anderer Kommunen hängen – Partnerkommunen des entsprechenden Ortes. Plötzlich wird man in Bad Münstereifel an Ashford in England erinnert, in Dortmund an Amiens in Frankreich oder in München an Cincinnati in den USA. Die Welt? Ein Dorf!

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Kommunen lernen von anderen irgendwo auf der Welt, und das auf ganz unterschiedliche Weise: kulturell, wirtschaftlich, menschlich. Im Kern ist dieser Gedanke wie geschaffen für eine zunehmend globalisierte Welt. Doch der Anlass war ursprünglich noch sehr viel drängender. Viele der kommunalen Partnerschaften entstanden kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, vom Jahr 1947 an – als Europa vielerorts in Trümmern lag.

Schuhe und Süßigkeiten für Hannovers Kinder

Eine der ersten dieser Kooperationen entwickelte sich damals in Hannover. Fünf prominente Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur der südenglischen Hafenstadt Bristol reisten relativ spontan nach Niedersachsen. In Bristol hatte sich herumgesprochen, dass Kinder in Hannover in den Nachkriegswirren nicht mal mehr Schuhe hatten, um zur Schule gehen zu können. Obwohl 1947 auch in Großbritannien viele Lebensmittel rationiert waren, fanden einige Einwohnerinnen und Einwohner: Da muss geholfen werden. „Bürger aus Bristol spendeten Kleidung, Schuhe und Süßigkeiten, um sie nach Hannover zu schicken“, hat Ann Kennard recherchiert, Vorsitzende des Bristol-Hannover-Council, der sich seit 1948 um die Städtepartnerschaft kümmert. Erste Hilfe für die einstigen Kriegsgegner – schnell war klar, dass dies keine einmalige Aktion sein sollte. Und so schlossen Bristol und Hannover eine Städtepartnerschaft.

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Berlin-Wilmersdorf und seine Partnerschaften.

Berlin-Wilmersdorf und seine Partnerschaften.

Ebenfalls 1947 ergriff der britische Colonel Brown als Vertreter der Alliierten in Bonn die Initiative und etablierte eine Verbindung zwischen seiner Heimatstadt Oxford und der späteren Bundeshauptstadt. Mehrere weitere deutsche Städte folgten, nicht nur was den Kontakt nach Großbritannien anging. Auch in Richtung Frankreich entstanden etliche solcher Bindungen.

Das Bild vom Kriegsgegner revidieren

Der Gedanke dahinter war zukunftsweisend: Nach Jahren der Feindschaft wollte man nicht nur Aufbauarbeit in den zerstörten Kommunen in Deutschland leisten – vor allem sollte in den Köpfen der vom Nazi-Regime geprägten Generationen das Bild vom Kriegsgegner revidiert werden. Zehn Jahre vor Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gaben Teile der Alliierten damals gewissermaßen den Anstoß für ein neues europäisches Miteinander.

In diesen Tagen drängen sich gewisse Parallelen auf: Könnte dies auch ein Weg sein, um die Ukraine nach einem Ende des Krieges stärker im friedlichen Miteinander Europas zu verankern? Irgendwann womöglich ebenso Kommunen in Russland?

Ich rate dringend davon ab, Städtepartnerschaften zu russischen Städten jetzt zu beenden.

Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages und Münsters Oberbürgermeister

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Der Präsident des Deutschen Städtetages, Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe, positionierte sich kürzlich zumindest deutlich zu Rufen nach Sanktionen gegenüber russischen Kommunen: „Ich rate dringend davon ab, Städtepartnerschaften zu russischen Städten jetzt zu beenden“, erklärte er gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Hier laufen die Verbindungen von Mensch zu Mensch, eben nicht auf staatlicher Ebene. In diesem Sinne können Städtepartnerschaften Friedenssignale senden und deeskalierend wirken.“

Im Zuge der ersten deutsch deutschen Städtepartnerschaft zwischen Saarlouis (BRD) und Eisenhüttenstadt (DDR) kommt es 1988 zu einem gemeinsamen Schachturnier.

Im Zuge der ersten deutsch deutschen Städtepartnerschaft zwischen Saarlouis (BRD) und Eisenhüttenstadt (DDR) kommt es 1988 zu einem gemeinsamen Schachturnier.

Diese Grundüberlegung aus der Nachkriegszeit flackerte in den vergangenen 75 Jahren immer mal wieder auf: Ganz bewusst schlossen etwa in den Achtzigerjahren west- und ostdeutsche Kommunen Partnerschaften, allen voran 1986 Saarlouis und Eisenhüttenstadt. Ziel sei es gewesen, die „Kunst der unbefangenen Begegnung“ zu üben, wie es der damalige Oberbürgermeister von Saarlouis, Manfred Henrich, später gegenüber dem „Spiegel“ ausdrückte. Kein leichtes Unterfangen, wie er erinnerte: „Die Verhandlungen waren so, als hätten wir mit Nordkorea verhandelt.“

Erste Freundschaftsvereinbarung mit Israel

Doch gerade das bewusste Überwinden von Grenzen und politischen Systemen hat sich als eines der Kernziele kommunaler Partnerschaften herausgestellt. Als erste deutsche Großstadt etwa schloss Wuppertal 1977 eine Freundschaftsvereinbarung mit einer israelischen Großstadt, Be‘er Scheva. Andere Städte, wie Berlin, arbeiten mit chinesischen Kommunen zusammen. Und auch 1947 blieb es nicht bei der Annäherung von Briten, Franzosen und Deutschen – in den USA gingen Städte und Gemeinden ebenfalls auf Partnerkommunen zu.

„Krisen haben immer schon die Gründung von Städtepartnerschaften befördert“, erklärt Kai Pfundheller, Leiter der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften sowie des Instituts für politische Bildung der Auslandsgesellschaft. Die Netzwerkstelle Städtepartnerschaften wurde 2021 gegründet, sie wird gefördert von der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei und gibt Hilfestellung bei Städtepartnerschaften in NRW.

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Krisen haben immer schon die Gründung von Städtepartnerschaften befördert.

Kai Pfundheller, Leiter der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften sowie des Instituts für politische Bildung der Auslandsgesellschaft

Derzeit unterhalten rund 75 deutsche Kommunen Partnerschaften in die Ukraine – unter anderem Leipzig und München mit ­Kiew, Freiburg mit Lwiw oder Bochum mit Donezk. Nach Russland gibt es knapp 130 Verbindungen. Vor allem sie stehen seit dem Angriffskrieg Moskaus auf die Ukraine vielerorts in der Diskussion. „Viele dieser Partnerschaften wurden auf Eis gelegt, angeblich sogar jede vierte“, hat Pfundheller recherchiert. „Aber es gibt auch sehr viele Städte, die gerade jetzt den Austausch mit ihrer russischen Partnerstadt suchen und versuchen, ins Gespräch zu kommen.“

Viel Engagement für internationale Kontakte

Die deutsche Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) betreibt eine Art Partnerbörse für kommunale Partnerschaften. Rund drei Dutzend Gesuche ausländischer Orte listet das Gremium derzeit, ein gutes Drittel davon allein aus der Ukraine.

„Städtepartnerschaften sind kein Auslaufmodell“, betont Städtetag-Referent Tobias Fricke, „sondern beispielhaft für internationalen Austausch auf Ebene der Zivilgesellschaft.“ Viele Städte steckten sehr viel Engagement in ihre internationalen Kontakte.

„Städtepartnerschaften konzentrieren sich, jeweils von Stadt zu Stadt unterschiedlich, derzeit insbesondere auf die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Jugend- und Schülerinnenaustausch sowie Justiz“, erläutert Florian Schmidt vom Presse- und Informationsamt der Berliner Senatskanzlei. Es bestünden dadurch auch Verbindungen zu unabhängigen zivilgesellschaftlichen Institutionen. „Städtepartnerschaften dienen daher auch der Verständigung und Kooperation vor dem Hintergrund unterschiedlicher Staatsformen.“

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Nachkriegsdeutschland 1947: In der Schlossgasse in Leipzig werden Trümmer abtransportiert.

Nachkriegsdeutschland 1947: In der Schlossgasse in Leipzig werden Trümmer abtransportiert.

Billigflüge statt Städtepartnerschaft

Aber inwieweit lassen sich Bürgerinnen und Bürger davon mitreißen? Billigflüge und Auslandsaufenthalte für Schulklassen und Studierende gehören heute – anders als 1947 – beinahe zum Alltag. Das Internet hat die Welt zudem in einer Weise vernetzt, die nach dem Zweiten Weltkrieg unvorstellbar war. Wozu braucht man da im Alltag eine Städtepartnerschaft?

„Die Konkurrenz ist größer geworden“, räumt Experte Kai Pfundheller ein. „Städtepartnerschaften haben eines ihrer ursprünglichen Alleinstellungsmerkmale verloren, nämlich Anbieter von organisierten Reisen ins Ausland mit Kontakt zur dortigen Bevölkerung zu sein.“ Dennoch sieht er auch weiterhin eine Zukunft für eine solche Zusammenarbeit. „Städtepartnerschaften beziehen Menschen mit Erasmus-Erfahrungen im Studium ebenso mit ein wie Menschen ohne Auslandserfahrung“, sagt Pfundheller. „Dadurch wirken Städtepartnerschaften einer Spaltung der Gesellschaft in akademisch-internationale und nicht akademische und nicht internationale Bevölkerungsgruppen entgegen.“

Die Art der Partnerschaft habe sich über die Jahrzehnte verändert, sagt Ann Kennard, die von Bristol aus gerade die Feierlichkeiten für das 75-jährige Bestehen der „Twin Cities“ Hannover und Bristol vorbereitet. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren sei es etwas Besonderes gewesen, einmal auf die andere Seite des Ärmelkanals zu reisen. „Heute reisen die Menschen sowieso überall hin“, betont Kennard im Zoom-Gespräch. „Das Wichtigste ist derzeit“, betont sie, „dass wir mehr junge Leute involvieren.“ Sonst drohten Städtepartnerschaften ein Anliegen der älteren Generationen zu werden.

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