Die Wut der Klimaaktivisten wächst: Wer, bitte, soll die Welt retten?
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Der Protest erreicht die Straße: Klimaaktivisten der Aktion „Aufstand der letzten Generation“ blockieren eine Kreuzung zur Köhlbrandbrücke und zur Autobahn A7 in Hamburg.
© Quelle: Christian Charisius/dpa
Die Reisekonzerne frohlocken. Die Aussichten auf die nächste Urlaubssaison sind glänzend – und die Bundesbürger geradezu begierig auf Ferien nach der Pandemie. Für einige Länder gibt es jetzt schon mehr Buchungen als vor der Pandemie. Allein die Sehnsucht nach Mallorcas Sonne: Die Lufthansa will im Sommer Jumbos mit 350 Plätzen auf die Mittelmeerinsel schicken. Die Tui hat all ihre 1000 Partnerhotels wieder ins Programm genommen.
Der Nachholbedarf ist gewaltig. Das gilt genauso für die Kauflust. Das Geld, das die Besserverdienenden während der Lockdowns auf ihren Konten horteten, soll endlich unter die Leute. Sogenannte Finanzexperten sagen, dass die unfreiwillig gesparten Corona-Milliarden den so sehr herbeigesehnten Aufschwung anschieben könnten. Das könnte klappen – sofern sich genug Container finden, mit denen all die Güter rund um den Globus geschippert werden können. Denn die sind gerade knapp.
Die Zeichen stehen auf Wachstum
Mobilität und Konsum scheinen die geboosterte westliche Welt im Innersten schon wieder anzutreiben, kaum dass sie aus der Corona-Starre erwacht. Die Zeichen stehen auf Wachstum. Möglichst grenzenlos.
Aber Moment, war da nicht was? Gab es nicht die Hoffnung, dass die zwangsverordneten Lockdown-Pausen erst das Denken und dann auch das Verhalten verändern könnten? Gerade jetzt, 50 Jahre nach Erscheinen des Berichts über „Die Grenzen des Wachstums“, den die Wissenschaftler des Club of Rome verfasst hatten?
Anfang des Jahres 1972 legte eine Gruppe um den US-Ökonom Dennis L. Meadows eine rechnergestützte Analyse vor. Die Forscher prognostizierten, wie die Erde überbeansprucht wird, wenn die Menschen so weitermachen wir bisher. Sollten Wachstum und Expansion ungebremst forciert werden, würden Grenzen überschritten. Im 21. Jahrhundert werde dies zu einem „plötzlichen und unkontrollierbaren Niedergang“ der Lebensbedingungen führen. Mit anderen Worten: zum globalen Kollaps. Wir sind schon ziemlich nahe dran.
Respekt fürs globale Gleichgewicht
Meadows und seine Mitstreiter wollten keinesfalls die Angst vor dem Weltuntergang schüren. Ganz im Gegenteil: Sie forderten dazu auf, das globale Gleichgewicht zu respektieren. Damals tauchte erstmals ein Begriff auf, der heute in aller Munde ist, sogar dann, wenn es um die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken geht: Sustainability, Nachhaltigkeit.
Leider ging die Entwicklung seit 1972 in die Gegenrichtung, jedenfalls bei denen, die nicht vollauf damit beschäftigt sind, ihr tägliches Essen zu ergattern. Milliarden Menschen haben gar keine Zeit, um sich um den Zustand des Planeten zu sorgen. Allerdings tragen sie auch am wenigsten dazu bei, die Erde zu ruinieren.
Bei allen anderen sind die Wohnungen immer größer geworden, die Autos ebenso, und die Urlaubsreisen führen immer weiter in die Ferne. Wie schwer eine grundlegende Veränderung des Verhaltens zu erzielen ist, weiß Meadows am besten, der selbst gern zum Segeln um die halbe Welt fliegt, wie der inzwischen 79-Jährige jüngst der „Süddeutschen Zeitung“ bereitwillig erzählte.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier
Bei Umweltkonferenzen fordert er gern mal zu einem Experiment auf: Jeder solle die Arme verschränken und darauf achten, welcher Arm oben liegt. Dann bittet er seine Zuhörerinnen und Zuhörer um einen zweiten Durchgang. Und siehe da: Bei fast allen liegt wieder derselbe Arm oben. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Meadows schaut heute so auf unsere Erde: „Ich vermute, dass es den Homo sapiens auch in einigen Tausend Jahren noch geben wird. Aber was diejenigen von uns angeht, die in den westlichen, nördlichen weißen, reichen Ländern leben: Dieser derzeitige Lebensstandard wird nicht mehr sehr lange fortbestehen. Er ist also dem Untergang geweiht.“
Kann es also wirklich sein, dass die Menschen sehenden Auges ins Verderben rennen? So wie die Bewohner der Osterinseln, die einst kolossale Steinfiguren errichteten und dabei ihre Lebensgrundlage, die Palmwälder, abholzten? Jedenfalls lautet so eine Theorie, warum die Kultur auf den abgelegenen Pazifikinseln unterging.
Derweil überhitzt sich die Erde. Artenvielfalt und Süßwasserreserven schrumpfen. Wüsten breiten sich aus. Plastik findet sich in entlegensten arktischen Regionen. Die industrielle Landwirtschaft belastet Böden mit Nitrat und Pestiziden. Die grüne Amazonas-Lunge wird verhackstückt.
Die Zukunft nach Corona
Es gibt Optimisten wie den Zukunftsforscher Matthias Horx: „Wenn wir nach der Krise glauben, genau an dem Punkt weitermachen zu können, an dem wir aufgehört haben, dann war es keine Krise“, hat Horx in einem hoffnungsvollen Aufsatz in der Corona-Zeit geschrieben und dann ein Buch mit dem Titel „Die Zukunft nach Corona“ nachgelegt.
Da führt er aus, dass sich nach der tief in die Lebensverhältnisse jedes Einzelnen eingreifenden Pandemie nun etwas ändern werde: Horx hält den Homo sapiens für ein lernfähiges Wesen, wenn es darum geht, das Überleben der eigenen Spezies zu sichern.
Der Zukunftsforscher warnt davor, kurzfristigen Reflexe wie etwa die Urlaubs-Aufholjagd mit langfristigen Trends zu verwechseln. Corona sei eine Art heilsamer Schock gewesen, um die Prioritäten im eigenen Leben neu zu sortieren. Es habe eine Werteverschiebung hin zu mehr Ökologie und Solidarität stattgefunden. Corona sei bei genauerer Betrachtung so etwas wie ein „ethisches Upgrade“ gewesen.
Riesenstau am Suezkanal
Belege? Sogar in der Finanzindustrie seien plötzlich grüne Technologien gefragt. Internationale Konzerne würden sich eine radikale Kohlendioxidreduktion verordnen. Die Welt setze verstärkt auf Kooperation.
Allerdings hat Horx auch prophezeit, dass sich die „riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, bei denen Millionen Einzelteile über den Planeten gekarrt werden“, nach Corona überlebt hätten. Das sah am Suezkanal Ende März vorigen Jahres anders aus: Da hatte sich ein Riesenfrachter in der Passage festgefahren. In kürzester Zeit bildete sich ein Riesenstau von anderen Containerschiffen. Die Autoindustrie würde gern noch viel größere Rekordgewinne vermelden, ließen sich nur irgendwo genügend Mikrochips auftreiben.
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Das Frachtschiff MV Ever Given ist im Suezkanal auf Grund gelaufen ist und blockiert die wichtige Schifffahrtsstraße zwischen Asien und Europa.
© Quelle: European Space Imaging/dpa
Aufstand der jungen Leute
Wie steht es also um die Lernbereitschaft? Schlagzeilen machen gerade Aktivisten der Klimaschutzinitiative „Aufstand der letzten Generation“. Die jungen Leute besetzen Autobahnen, Tunnel und Zufahrten zu Hafenanlagen. Die Gruppe fordert ein „Essen-Retten-Gesetz“ und eine Agrarwende, um Klimagase aus der Landwirtschaft zu mindern.
Die Demonstranten wollen die viel beschworene Wende in der Klimapolitik. Jetzt. Sie misstrauen dem Greenwashing, das die Marketingexperten von Wirtschaft und Parteien betreiben.
Bei Pendlern im Stau und Politikern bis hin zu den Grünen verursachen die Demonstrierenden vor allem eines: Unmut. Der Ruf nach Sanktionen wird laut. Die Berliner Innensenatorin hat schon mal die Rechnung für die Aktivisten aufgemacht: 241 Euro soll jeder Protestler für den Polizeieinsatz zahlen, 55 Euro Bußgeld für die Ordnungswidrigkeit. Die Säuberungskosten für die Chemikalien, mit dem sich die jungen Menschen an den Asphalt klebten, kommen noch oben drauf.
Von Zukunftsangst gespeiste Wut
Das Argument, das womöglich nur noch wenige Jahre blieben, um die Erde auf Überlebenskurs zu bringen, geht im Empörungssturm unter. Gewiss, eine Regierung kann sich nicht durch kurzfristige Ultimaten erpressen lassen, da offenbart sich politische Naivität.
Aber lässt sich wirklich nicht nachvollziehen, dass die von Zukunftsängsten gespeiste Wut der jungen Menschen wächst? Sie haben keinen Einfluss darauf, was die Wachstumslobbyisten in den Hinterzimmern der Macht aushandeln.
Bislang haben die sich die auf Klimakonferenzen abgegebenen Versprechen nicht erfüllt: Das Wirtschaftswachstum hat sich nicht vom Energie- und Ressourcenverbrauch entkoppelt. Der Soziologe Harald Welzer sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Wachstum ist gesteigerter Verbrauch, und gesteigerter Verbrauch bedeutet mehr Extraktion von Materialien mit mehr Energieaufwand für mehr Produkte, die mehr Aufwand für die Entsorgung benötigen. Und damit kann man nie im Leben ökologische Probleme bekämpfen.“
Wir Otto Normalverbraucher und -verbraucherinnen beruhigen uns mit Alibihandlungen: Der tonnenschwere SUV rollt jetzt mit Elektroantrieb durch die Innenstadt. Im Restaurant bestellen wir einen Glas- und keinen Plastikstrohhalm. Fernflüge kompensieren wir im besten Fall bei Atmosfair. Wir sind sogar bereit, auf Spargel außerhalb der Saison zu verzichten (und kaufen dann den, der unter einer Plastikfolie herangewachsen ist).
So gut gemeint diese Anstrengungen sind: Sie helfen in der Gesamtbilanz bislang kaum weiter. Als Einzelne sind wir in einem System gefangen, das wir nicht allein durch individuelle Veränderung umkehren können. Und dieses System zerstört sich selbst – vor allem deshalb, weil der Wachstumskapitalismus bislang für viele Menschen weltweit den Wohlstand gemehrt hat, wie Welzer sagt.
Durch Werbung werden wir animiert, immer neue Produkte zu ordern. Updates sind in unser Konsumverhalten beinahe so sehr einprogrammiert wie in unseren Handy-Apps. Onlineversandhändler nutzen ihr Datenwissen, um die Lust auf Konsum im individuellen Zuschnitt zu schüren.
Und dann sind da die unausgesprochenen Ängste, was passiert, falls das Wachstum tatsächlich zum Stillstand kommen sollte: Müssen wir uns dann auf Unruhen gefasst machen? Es sind gerade die sozial Schwächeren, die beim grünen Umbau draufzahlen. Als Frankreich den Kohlendioxidausstoß durch Benzinpreiserhöhungen senken wollte, gingen die Gelbwesten auf die Straße. Jetzt spendieren die westlichen Regierungen Milliarden, um gestiegene Strompreise abzufedern.
So bleibt einstweilen bei Älteren Ratlosigkeit – und bei Jüngeren wachsende Verzweiflung. Letztere müssen aber noch auf dieser Erde klarkommen, wenn die älteren Generationen ihre letzten großen Ferien schon längst hinter sich haben.