Drei Gründe, warum die Demokraten verlieren
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/QUADYRF3EFHM3DNII2F3NSVSYI.jpg)
Der amerikanische Präsident muss sich auf einen Denkzettel gefasst machen: Joe Biden am 31. Oktober bei einem Auftritt im Weißen Haus.
© Quelle: IMAGO/MediaPunch
Liebe Leserinnen und Leser,
in einer Woche werden das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. Manche stöhnen: Schon wieder Wahlen, nur zwei Jahre nach der Präsidentschaftswahl? Doch genau so ist es gewollt: Die Väter der amerikanischen Verfassung wollten mehr als nur eine starke politische Figur an der Spitze, sie wollten mehr Demokratie wagen.
Willkommen zur neuen Ausgabe von „What‘s up, America?“. Diesmal stehen die Zwischenwahlen am 8. November im Mittelpunkt.
Schon jetzt lässt sich sagen: Die Demokraten werden ihre jetzige Mehrheit im Repräsentantenhaus mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren. Und es ist gut möglich, dass auch der Senat in Richtung Republikaner kippt.
Zwar sind Umfragen vor den mid term elections mit Vorsicht zu genießen. Viele Rennen um Plätze im Abgeordnetenhaus und im Senat sind geprägt von regionalen Besonderheiten und von den vor Ort agierenden Persönlichkeiten. Unterm Strich aber deuten die jüngsten Umfragen auf einen Trend zu Gunsten der Republikaner.
Die Europäer wundern sich
Viele Europäer, die das Handeln der gegenwärtigen US-Regierung mit Sympathie sehen, wundern sich jetzt. Unter dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden hat der Westen zu neuem Zusammenhalt gefunden. Zugleich ist Washington mit größerer Ernsthaftigkeit denn je auf eine Politik für den Klimaschutz eingeschwenkt.
Wie kann es sein, fragen sich da viele, dass ein Präsident, der einen so segensreichen Einfluss auf den Rest der Welt ausübt, im Inland so wenig Punkte sammelt?
Drei zentrale Faktoren erklären die absehbare Niederlage von Joe Bidens Demokraten.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/JVCQ3JVSP5H65L37BKEGTZ7V2Q.jpg)
What‘s up, America?
Der USA-Newsletter liefert Hintergründe zu den amerikanischen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Kultur - jeden zweiten Dienstag.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
1. „It‘s the economy, stupid“
Inflation und Rezessionsängste verunsichern viele Amerikanerinnen und Amerikaner. Dass Preissteigerungen für Energie derzeit ein weltweites Phänomen sind, hilft Biden nicht. Aktuell erwägt das Weiße Haus, den Ölkonzernen Übergewinnsteuern aufzuerlegen. Doch Initiativen dieser Art kommen zu spät und sind zu wenig. Der Unmut über hohe Benzinpreise geht schon seit vielen Monaten mit dem US-Präsidenten und seiner Partei nach Hause.
Gerecht ist das alles nicht. Gerade Biden hat viel getan, um die Situation von Durchschnittsverdienern und Geringverdienern zu verbessern. Auch steht in den USA der Geldentwertung ein nach wie vor robuster Arbeitsmarkt gegenüber: Lohnsteigerungen liegen durchaus drin.
Dennoch macht es vielen Familien zu schaffen, jetzt mit Grenzen des Wachstums vertraut gemacht zu werden. Beim Einkauf im Supermarkt sind ungeahnte Kaufkraftverluste spürbar. Der Frust wächst noch beim Termin in der Bank, wenn es darum geht, die Konditionen für einen Immobilienkredit ausrechnen zu lassen: Hohe Grundstückspreise und plötzlich wieder stark steigende Zinsen lassen den amerikanischen Traum vom eigenen Haus inzwischen auch für jene Amerikaner platzen, die sich anstrengen und eigentlich ganz gut verdienen.
So simpel läuft der Wahlkampf der Republikaner - zum Beispiel in Arizona: Der um seine Wiederwahl ringende Senator Mark Kelly und sein demokratischer Parteifreund Joe Biden werden auf Plakaten mit der Zeile "Hohe Benzinpreise" in Verbindung gebracht.
© Quelle: Karl Doemens
Wahlentscheidungen werden in den USA, egal wie groß rundum die Themenfülle ist, am Ende oft mit Blick auf den eigenen Geldbeutel getroffen. Dies lehrte schon im Jahr 1992 James Carville, der Wahlkampfberater des gleich zweimal bei Präsidentschaftswahlen erfolgreichen Demokraten Bill Clinton. Von Carville stammt der berühmt gewordene Ausspruch: „It‘s the economy, stupid“ (Es geht um die Wirtschaft, Dummkopf).
Nie ging es bei den wahlentscheidenden Wirtschaftsdebatten allein um reale Zahlen und Daten. Heute wie damals spielen auch bloße Erwartungen eine Rolle, es geht nicht zuletzt um Psychologie. Biden und seine Demokraten jedenfalls müssen sich darauf einrichten, am 8. November einen politischen Preis zu bezahlen für die gewachsenen Unsicherheiten der Amerikaner mit Blick auf die Wirtschaft.
2. Das unterschätzte Thema Kriminalität
Die Demokraten hatten gehofft, gegen das für sie schädliche Thema Inflation das für die Republikaner schädliche Thema Abtreibung setzen zu können. In vielen Bundesstaaten laufen derzeit Aktivitäten mit dem Ziel, allzu strenge Abtreibungsregelungen zu verhindern. Dabei zeigte sich, dass auch in republikanisch dominierten Staaten wie Kansas die Mehrheit zu einer eher liberalen Haltung tendiert.
Inzwischen aber hat sich nach neuen Gallup-Umfragen auf der Prioritätenliste der Amerikanerinnen und Amerikaner ein weiteres Thema weit nach vorn geschoben: Kriminalität. 71% der registrierten Wählerinnen und Wähler sagen, dass dieses Thema „extrem“ oder „sehr wichtig“ für ihre Stimmabgabe sei. Über das Thema Abtreibung sagen das nur 66 Prozent.
Nach Einschätzung des CNN-Analysten Chris Cillizza wurde das Thema Kriminalität von den Wahlkampfplanern der Demokraten in den vergangenen Oktoberwochen vernachlässigt. Die Republikaner hätten mehr in Werbung zum Thema Kriminalität investiert – und lägen damit richtig. 56 Prozent der Amerikaner gaben laut Gallup an, dass es in ihrer Region mehr Kriminalität gab als vor einem Jahr – dies sei, betont Cillizza, „die höchste Prozentzahl, die Gallup in fünf Jahrzehnten zu dieser Frage gemessen hat“.
3. Der ganz normale Pendelschlag
Die Zwischenwahlen sind ein Moment, in dem nach aller historischer Erfahrung das parteipolitische Pendel oft zurückschlägt. Auf das gerade aktuelle Thema kommt es gar nicht so sehr an.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VERAGSZDCFFFNAZBXUD2Y74L3A.jpeg)
Detroit, 29. Oktober 2022: Barack Obama wirbt bei einer Kundgebung für die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer (l.). Obama selbst musste in seiner Amtszeit als Präsident herbe Rückschläge bei Zwischenwahlen einstecken.
© Quelle: Carlos Osorio/AP/dpa
Wurde ein Demokrat zum Präsidenten gewählt, muss seine Partei zwei Jahre später mit einem einem Absturz für die eigenen Leute und einem dicken Plus für die Republikaner rechnen. Unvergessen ist, wie die Demokraten bei den Zwischenwahlen 2010 nach zwei Jahren mit Barack Obama im Weißen Haus gleich 63 Sitze im Repräsentantenhaus verloren. Umgekehrt musste der Republikaner Donald Trump es hinnehmen, dass das Repräsentantenhaus 2018 in Richtung der Demokraten kippte.
Es gibt also wenig Grund, die jeweiligen Niederlagen der Präsidentenpartei zu dramatisieren. Die hier funktionierenden Mechanismen sind Teil der verfassungspolitisch gewollten checks and balances.
FACTS AND FIGURES: Kalifornien überholt Deutschland
Der US-Bundesstaat Kalifornien ist drauf und dran, Deutschland im Jahr 2023 als viertstärksten Wirtschaftsstandort der Welt zu überholen. Das zeigen Daten der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg.
Derzeit rangiert Deutschland hinter den USA, China und Japan. Kalifornien hatte, herausgerechnet als einzelner Bundesstaat, laut „Washington Post“ bereits 2015 Brasilien (Nr. 7) und Frankreich (Nr. 6) überholt und 2017 Großbritannien (Nr. 5) verdrängt.
Kaliforniens Gouverneur, der Demokrat Gavin Newsom, reagiert hoch erfreut auf die neuen Daten: „Der kalifornische Traum lebt noch immer.“ Die kalifornische Wirtschaft habe sich als widerstandsfähig erwiesen, erst während der Pandemie, jetzt während der aktuellen Phase erhöhter Inflation.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/KNA6KXQO7FCHJJIGW4O56R5BZA.jpeg)
Stolzer Gouverneur: Der Kalifornier Gavin Newsom regiert seit 2019 den wirtschaftlich erfolgreichsten US-Bundesstaat.
© Quelle: Santiago Mejia/Pool San Francisc
Dass sich Kalifornien nächstes Jahr an Deutschland vorbei schieben dürfte, liegt nicht allein an Kaliforniens Stärke, sondern auch an Deutschlands Schwächen. Während die Umsätze von Unternehmen in Kalifornien in den letzten drei Jahren um 147 % gestiegen sind, verzeichnete Deutschland gemäß den von Bloomberg zusammengestellten Daten geringere Zuwächse von 41 %. Derzeit wächst Europas größte Volkswirtschaft kaum noch, im Jahr 2023 wird das deutsche Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich schrumpfen.
POPPING UP: Blauer Haken für acht Dollar
Milliardäre, man kennt das von Dagobert Duck, sinnen stets auf Geldvermehrung. Elon Musk, dem viele unterstellten, er habe Twitter vor allem aus politischen Gründen gekauft, macht da offenbar keine Ausnahme: Der Mann will seine Kunden melken und 8 Dollar monatlich bei jenen abkassieren, die ein blaues Häkchen neben ihrem Namen tragen, weil Twitter ihr Konto als authentisch verifiziert hat.
Der Plan erzeugt derzeit millionenfachen Missmut, rund um den Globus. Mit welchem Recht will Musk ausgerechnet den ehrlichen Mitwirkenden in die Tasche fassen, die dem sozialen Netzwerk seriösen Content zur Verfügung stellen? Müsste nicht eher bei jenen kassiert werden, die viel aufsaugen, ohne sich selbst je zu erkennen zu geben?
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Zu einem kuriosen Austausch kam es am Dienstag auf Twitter zwischen Musk und dem weltbekannten Horrorautor Stephen King. „20 Dollar um meinen blauen Haken zu behalten?“, fragte King. „Scheiß drauf – die sollten eher mich bezahlen.“
Musk selbst antwortete, Twitter müsse auch irgendwie seine Rechnungen bezahlen. Das Unternehmen könne sich nicht allein aus Werbung finanzieren. Und dann fügte Musk hinzu: „Wie wäre es mit 8 Dollar?“
Erst sah das aus wie ein öffentliches Feilschen um den Preis, später gab Musk offiziell den Acht-Dollar-Plan bekannt. Abzuwarten bleibt, ob Musk sich als einmal mehr als das geniale Wunderkind beweisen wird – oder ihm die Leute weglaufen.
DEEP DIVE: Atomwarnung im „New Yorker“
Man hat sich schon daran gewöhnt in den acht Kriegsmonaten seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine: Immer wieder kommen aus Moskau Hinweise, Russland werde gegebenenfalls auch zu Atomwaffen greifen. Und immer wieder reagieren Experten im Westen mit der Einschätzung, dies werde Putin aus diesen und jenen Gründen nicht tun: Der Griff zur Atombombe nütze ihm wenig und richte weltpolitisch nichts als Schaden an; den Russen drohe dann endgültig die Isolation.
Aber stimmt das eigentlich? Masha Gessen, eine Russland-Kennerin, die mehr als 20 Jahre als Journalistin in Moskau verbracht hat, setzt im Magazin „The New Yorker“ ein dickes Fragezeichen hinter die bekannten Argumentationsroutinen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/CXOQEPLSLNAXLSFASFVI4FKSRQ.jpg)
„Putin glaubt, er habe das Recht, möglicherweise sogar die moralische Verpflichtung, Hunderttausende oder Millionen von Menschen zu opfern": Masha Gessen, amerikanische Russland-Kennerin.
© Quelle: Kempner
Gessen findet es alarmierend, dass Wladimir Putin der Ukraine dieser Tage öffentlich den Bau einer „schmutzigen Bombe“ unterstellt hat. Sie verweist auf seine jüngsten öffentlichen Auftritte, bei denen er den Westen als Ort der Verderbnis und des Satanismus bezeichnet hatte. Und sie betont, dass in Putins Welt die Nato mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt wird. Dies alles addiere sich zu einem gefährlichen fundamentalistischen Mindset, geprägt von Realitätsverlust und Paranoia.
Das Argument jedenfalls, dass Putin schon deshalb keine Atomwaffen einsetzen werde, weil dies die Russen, einschließlich sich selbst gefährden würde, will Gessen nicht gelten lassen. „Putin glaubt, er habe das Recht, möglicherweise sogar die moralische Verpflichtung, Hunderttausende oder Millionen von Menschen zu opfern.“
WAY OF LIFE: Truthahn? Nein danke!
Thanksgiving steht vor der Tür. Für den 24. November planen amerikanische Familien wie immer ein gemütliches Beisammensein rund um einen reich gedeckten Tisch. Eins aber dürfte diesmal anders sein als sonst: Ob es wirklich wieder Truthahn sein muss – das traditionelle turkey dinner – ist in diesem Jahr eine heiß umstrittene Frage.
Gegen den Truthahn sprechen, abseits des generellen Trends zum Vegetarischen, mehr Argumente denn je. Erstens haben Inflation und Kostensteigerungen in der Landwirtschaft die Truthahnpreise in nie dagewesene Höhen getrieben. Zweitens hat ein sich schnell ausbreitender Stamm der Vogelgrippe soeben beachtliche Teile der Truthahnpopulation dahingerafft. Die Folge: noch mehr Knappheit, noch höhere Preise.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/KV425JEFTBFMFJED6UAPLJCS54.jpg)
Es muss nicht immer Truthahn sein: Viele Kundinnen und Kunden amerikanischer Supermärkte orientieren sich in diesem Jahr anders.
© Quelle: CNN screenshot
So rückt für viele ein Thanksgiving ohne Truthahn näher. Das aber kann in Wahrheit auch eine Erlösung sein. Viele Hobbyköchinnen und -köche waren mit dem unhandlichen Vogel ohnehin oft überfordert. Mal war das Riesenvieh im Inneren nicht ganz gar, mal war es außen verbrannt, mal galt auch beides. Und die großen Fleischpartien wirkten oft trockener und fader als bei manchem gelungenen Alltagsessen. Wenn in großer Runde alle dennoch andächtig den Truthahn lobten, lag es oft mehr an der Gruppendynamik als an der Qualität dessen, was da auf den Teller kam.
Die „Washington Post“ listete jetzt 15 mögliche andere Festtagsgerichte auf, zum Beispiel „Anthony Bourdains Boeuf Bourguignon“ oder, als fleischlose Variante, eine „Crostata aus Kürbis, Walnuss und Salbei“. Ein heißer Kandidat ist nach Meinung der amerikanischen Hauptstadtzeitung auch der gute alte Schmorbraten mit Steinpilzen.
Nach Jahrzehnten des Truthahntabus ist die Diskussion über Alternativen endlich offiziell freigegeben – und auf viele wirkt es wie ein Befreiungsschlag. Über allem liegt auch hier ein Hauch von Zeitenwende.
Der nächste USA-Newsletter erscheint am 15. November. Bis dahin: Stay cool - and stay sharp.
Ihr Matthias Koch
Abonnieren Sie auch
Der Tag: Das Nachrichten-Briefing vom RedaktionsNetzwerk Deutschland. Jeden Morgen um 7 Uhr.
Unbezahlbar: Wertvollen Tipps und Hintergründen rund ums Geld – immer mittwochs.
Klima-Check: Erhalten Sie die wichtigsten News und Hintergründe rund um den Klimawandel – jeden Freitag neu.
Hauptstadt-Radar: Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Die Pandemie und wir: Die wichtigsten Nachrichten der Woche, Erkenntnisse der Wissenschaft und Tipps für das Leben in der Krise – jeden Donnerstag.
Das Stream-Team: Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix & Co. – jeden Monat neu.