Ist Kernfusion wirklich die saubere Energiequelle der Zukunft?
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In diesem Bild aus dem Jahr 2012, das vom Lawrence Livermore National Laboratory, Kalifornien, zur Verfügung gestellt wurde, überprüft ein Techniker eine Optik in der Trägerstruktur des Vorverstärkers in dieser Forschungseinrichtung.
© Quelle: Damien Jemison/Lawrence Livermor
Liebe Leserinnen und Leser,
Jennifer Granholm war sichtlich stolz, als sie am Dienstag vor die Presse trat. Zu Recht. Schließlich konnte die US-Energieministerin der Weltöffentlichkeit die „beeindruckendste wissenschaftliche Leistung des 21. Jahrhunderts“, wie sie es selbst nannte, präsentieren.
Diesen Erfolg hatte Granholm wohlgemerkt nicht selbst erzielt, sondern Forschende des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien. Ihnen war es erstmals gelungen, bei einem Kernfusionsversuch mehr Energie zu erzeugen, als dafür aufzuwenden. Ein wissenschaftlicher Durchbruch, der in der Fachwelt für Aufsehen sorgte. Eifrig wurde darüber diskutiert, ob die Kernfusion schon bald die Art, wie wir Strom und Wärme gewinnen, radikal verändern könnte.
Dass eine neue Energieversorgung nötig ist, ist längst klar. Kohle, Öl und Gas führen in eine klimatische Sackgasse, da sie die Erderwärmung beschleunigen. Und gleichzeitig können sie sich zu einem politischen Spielball entwickeln, wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine einmal mehr verdeutlicht hat. Doch ist die Kernfusion tatsächlich die Energiequelle der Zukunft? Und wird sie auch klimafreundlich und bezahlbar sein? Dazu jetzt mehr im Faktencheck.
Faktencheck der Woche
Was ist Kernfusion?
Von einer Fusion spricht man, wenn mehrere Dinge miteinander verschmelzen. Eine Fusion ist also nichts anderes als eine Verschmelzung. Im Fall der Kernfusion sind es Atomkerne, die miteinander verschmelzen. Genau das passiert in der Sonne: Wasserstoff – das leichteste Element im Universum – verschmilzt zu Helium. Die gewaltigen Energie, die dabei erzeugt wird, gibt der Sonne ihre Strahlkraft.
Das gleiche Prinzip machen sich Forschende für Fusionsexperimente auf der Erde zunutze: Unter irdischen Bedingungen sind es die beiden Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium, die miteinander verschmelzen, wodurch ein Heliumkern entsteht. Zudem werden ein Neutron und große Mengen nutzbarer Energie freigesetzt – so zumindest die Theorie. Bisher scheiterten Experimente immer daran, dass am Ende weniger Energie erzeugt wurde, als zugefügt werden musste. Es gab also eher einen Energieverlust als einen Energiegewinn.
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Jennifer Granholm, Energieministerin der USA, verkündet während einer Pressekonferenz im Energieministerium den wichtigen Durchbruch in der Fusionsforschung.
© Quelle: J. Scott Applewhite/AP/dpa
Was unterscheidet die Kernfusion von der Kernkraft?
Beide Begriffe eint, dass sie das Wort „Kern“ in sich tragen. Und tatsächlich spielen bei beiden Formen der Energiegewinnung Atomkerne eine Rolle.
Bei der Kernfusion verschmelzen Atomkerne – in diesem Fall sind es Wasserstoffatome – miteinander. Um diesen Prozess in Gang zu setzen, nutzten die Forschenden die weltstärkste Laseranlage. Die Laserstrahlen richteten sich auf eine wenige Millimeter große Kapsel, in der sich ein Brennstoffpellet aus Wasserstoffkernen befand, und erhitzten sie.
Bei der Kernkraft geht es hingegen darum, Atomkerne zu spalten. Bei der sogenannten Kernspaltung werden schwere Atomkerne, zum Beispiel von Uran oder Plutonium, mit Neutronen beschossen. Das führt dazu, dass die Kerne in mittelschwere Atomkerne gespalten werden, wobei Energie freigesetzt wird. Es entsteht aber auch radioaktiver Abfall, der sehr lange Zerfallszeiten hat. Somit stellt er eine Gefahr für Mensch und Umwelt dar. Aus der Vergangenheit sind zudem schwere Unfälle in Kernkraftwerken bekannt, etwa in Tschernobyl 1986 oder in Fukushima 2011. Die Kernfusion ist dagegen sicher: Bei einer Störung würde die Temperatur sinken und damit die Reaktionen unterbrochen werden.
Ist Kernfusion radioaktiv?
Auch die Kernfusion funktioniert nicht ohne Radioaktivität. Eine wirklich umweltfreundliche Form der Energiegewinnung ist sie damit nicht. Ein Fusionskraftwerk, das 30 Jahre in Betrieb ist, kann je nach Bauart zwischen 60.000 und 160.0000 Tonnen radioaktiven Materials erzeugen, rechnet das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik vor.
Ein Endlager wird für den Strahlenmüll der Kernfusion aber nicht notwendig – vorausgesetzt, es werden entsprechende Materialen mit niedrigem Aktivierungspotenzial verwendet. Nach einer Wartezeit von 50 Jahren könnten vom gesamten radioaktiven Abfall je nach Bauart 30 bis 40 Prozent unbeschränkt freigegeben werden, heißt es vonseiten des Max-Planck-Instituts. Der übrige Abfall könne nach weiteren 50 Jahren recycelt und in neuen Kraftwerken wiederverwendet werden.
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Endlager für Atommüll braucht es bei der Kernfusion nicht. Hier eine Lagerhalle für Castorbehältern, die mit ausgedienten Brennstäben gefüllt sind.
© Quelle: imago/imagebroker
Wie klimafreundlich ist die Kernfusion?
Der radioaktive Abfall, der bei der Kernfusion entsteht, ist sicherlich ein Aspekt, der diese Form der Energiegewinnung nicht sonderlich klimafreundlich macht. Dass der Müll nicht Zehntausende, sondern nur 200 Jahre strahle, dürfte den kommenden Generationen kein Trost sein, argumentierte die Umweltorganisation Greenpeace. Sie bezeichnete die Kernfusion 2014 als „das neue atomare Milliardengrab“.
Andererseits sind die Rohstoffe, die für die Kernfusion gebraucht werden, billig und auf der Erde gleichmäßig verteilt. Das macht es leichter, die Fusionskraftwerke zu betreiben. Das Wasserstoffisotop Deuterium gibt es in nahezu unerschöpflichen Mengen im Meerwasser. Schwieriger wird es mit Tritium, das kaum in der Natur vorkommt. Es kann jedoch aus Lithium gebildet werden, was auf der Erde ebenfalls reichlich vorhanden ist. Und gleichzeitig werden keine klimaschädlichen Gase, die die Erderwärmung beschleunigen, bei der Kernfusion freigesetzt wie etwa CO₂.
Ist die Kernfusion die Energiequelle der Zukunft?
Sie könnte es werden. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, auf dem das Fusionsexperiment des LLNL einen wichtigen Meilenstein darstellt. Schließlich gibt es noch einige Herausforderungen, die gelöst werden müssen, ehe der Strom aus der Steckdose wirklich aus einem Fusionskraftwerk stammt.
Da wäre etwa der radioaktive Müll. Aber auch der hohe Druck und die hohen Temperaturen, die benötigt werden, um die Fusion der Wasserstoffatomkerne in Gang zu setzen. Denn die Atomkerne verschmelzen nicht von allein. Benötigt werden mehrere Millionen Grad Celsius. Der Sonne gelingt die Kernfusion durch ihre große Masse, die im Inneren einen gewaltigen Druck entstehen lässt und damit eine hohe Temperatur.
Ein weiteres Problem ist und bleibt der Energiegewinn. Auch die Energiemengen, die das LLNL bei seinem Experiment erzeugt hat, reichen noch nicht aus, um damit den Energiebedarf der Menschheit auch nur ansatzweise zu decken. Eigentlich müsse man einen Energiegewinn erzielen, der doppelt so hoch ist wie die Energiemenge, die für die Laser benötigt wird, erklärte Tony Roulstone, Dozent für Kernenergie an der Universität von Cambridge. Bei dem Experiment in den USA betrug der Energieinput rund 2,05 Megajoule, heraus kamen am Ende aber nur 3,15 Megajoule.
Es besteht kein Zweifel, dass der Preis die Mühe wert ist. Ein Erfolg, wie lange er auch immer dauern mag, wäre von großer Bedeutung.
Robin Grimes,
Professor für Materialphysik am Imperial College
Unklar ist außerdem noch, ob sich Energie aus der Kernfusion jemals kommerziell lohnen wird. Selbst wenn die Reaktoren funktionieren, könnten sie mit zu hohen Kosten verbunden sein. Kernfusion bleibt eine Milliardenwette. Das Experiment in den USA sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur kommerziellen Fusion, sagte Robin Grimes, Professor für Materialphysik am Imperial College London. „Dennoch ist es eine große Herausforderung, diese Energie so zu extrahieren, dass sie nutzbar gemacht werden kann, und Materialien zu entwickeln, die einem Dauerbetrieb standhalten können. Es besteht kein Zweifel, dass der Preis die Mühe wert ist. Ein Erfolg, wie lange er auch immer dauern mag, wäre von großer Bedeutung.“
Verbrauchertipp der Woche
Plätzchen backen, Baum aufstellen, Geschenke besorgen – kurz vor Weihnachten ist der Terminkalender bei den meisten Menschen voll. Nach Feierabend durch überfüllte Geschäfte zu hetzen kann zu einem Stresstest werden. Umso größer ist dann die Ernüchterung, wenn die Freude unterm Weihnachtsbaum ausbleibt – etwa, weil man in der Not zu Verlegenheitsgeschenken gegriffen hat. Nicht selten verstauben unerwünschte Geschenke in einer Ecke oder landen sogar im Müll.
Meine Kollegin Kristina Auer hat deswegen aufgeschrieben, wie sich die Materialschlacht vermeiden lässt, und fünf nachhaltige Weihnachtsgeschenke vorgeschlagen, die zudem ohne Einkaufsstress zu besorgen sind.
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Weihnachten muss keine Materialschlacht sein: Es gibt immaterielle Geschenke, die das Klima schützen.
© Quelle: Friso Gentsch/dpa
Aktuelle Hintergründe
Bild der Woche
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Es sind bemerkenswerte Bilder aus Louth und Tilpa im Südwesten Australiens. Dort, wo sonst Farmer ihre Felder bestellen, haben ungewöhnlich starke Regenfälle die Landschaften in ein Seengebiet verwandelt.
© Quelle: Getty Images
Termine
Samstag, 17. Dezember: Der hohe Besuch kommt nach Wilhelmshaven. Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil wollen gemeinsam Deutschlands erstes LNG-Terminal eröffnen. Der in wenigen Monaten verwirklichte Bau ist Teil der Bemühungen Deutschlands, unabhängig von Gaslieferungen aus Russland zu werden. Klimafreundlich ist aber auch Flüssiggas nicht.
Sonntag, 18. Dezember: Das EU-Parlament und die Staaten verhandeln über wichtige Teile des Klimapakets „Fit for 55″. Dabei geht es um eine Erweiterung des EU-Emissionshandels, die Einführung eines CO₂-Zolls für in die EU importierte Güter und einen Klimasozialfonds, um Bürgerinnen und Bürger bei der Energiewende zu unterstützen.
Montag, 19. Dezember: Der Weltnaturgipfel geht zu Ende. In den Texten für ein mögliches Abkommen sind viele Punkte noch als ungeklärt eingeklammert. Aus der deutschen Delegation hieß es aber: „Wir sind optimistisch, dass die Weltgemeinschaft sich in Montreal einigen wird, den Trend des Verlustes an biologischer Vielfalt aufzuhalten und umzukehren.“
Das Newsletter-Team wünscht Ihnen eine frohe Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Wir machen mit diesem Newsletter Pause und sind am 13. Januar mit der nächsten Ausgabe zurück. Weiterhin gilt: Falls Sie Anregungen oder Kritik haben, melden Sie sich gern direkt bei unserem Redaktionsteam unter klima@rnd.de. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!
Nachhaltige Grüße
Laura Beigel und Ansgar Nehls
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