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Langzeitstudie zu zehn Ländern

Warum in Südosteuropa Desinformation häufig auf fruchtbaren Boden fällt

Mit Hackerangriffen und Desinformationskampagnen werden die Länder Südosteuropas besonders häufig konfrontiert.

Mit Hackerangriffen und Desinformationskampagnen werden die Länder Südosteuropas besonders häufig konfrontiert.

Berlin. Das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen zerstören, die Gesellschaft spalten, Unruhe stiften. So kann man wesentliche Ziele von Desinformationskampagnen zusammenfassen, denen innerhalb Europas die Länder im Südosten in besonderem Maße ausgesetzt sind. Vor allem diejenigen Staaten, die noch nicht Mitglied der EU und/oder der Nato sind, eine kommunistische Vergangenheit hatten und heute meist nur über eine schwache Wirtschaft und ein schlechtes Sozialsystem verfügen, sind besonders häufig im Fokus von Desinformation und auch sehr anfällig dafür.

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Das geht aus der Studie „Blurring the Truth. Disinformation in Southeast Europe“ („Die Wahrheit verschleiern. Desinformation in Südosteuropa“) hervor, die jetzt im Medienprogramm der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) erschienen ist. Auf 250 Seiten geben Wissenschaftler, Journalisten und Politologen einen Überblick über die Lage in zehn Ländern Südosteuropas und präsentieren Inhalte und Narrative von Desinformationen sowie deren politischen Kontext aus den vergangenen fünf Jahren.

Wie Co-Herausgeber Christopher Nehring im Gespräch mit dem RedakionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte, seien von den untersuchten Ländern Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kosovo, Kroatien, Montenegro, Moldau, Nordmazedonien, Rumänien und Serbien praktisch alle gleich betroffen, einige würden jedoch besonders im Fokus stehen, wie etwa Serbien. Das durch die Jugoslawienkriege der 1990-er Jahre mit Massakern und Kriegsverbrechen gezeichnete Land wartet seit über zehn Jahren auf seine EU-Mitgliedschaft und übt sich in einer Schaukelpolitik zwischen Moskau und Brüssel.

Christopher Nehring ist Sicherheitsexperte und beschäftigt sich seit Längerem mit dem Thema Desinformation.

Christopher Nehring ist Sicherheitsexperte und beschäftigt sich seit Längerem mit dem Thema Desinformation.

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Russlands massiver Einfluss in Serbien

„Obwohl schon seit Jahren die EU wichtigster Handelspartner Serbiens ist, glaubt eine Mehrheit der Bevölkerung, dass es Russland und China sind“, berichtet Nehring, der als Gastdozent des KAS-Medienprogramms an der Universität Sofia in Bulgarien arbeitet. Ebenso sei es im militärischen Bereich. „Obwohl Serbien viel mehr Übungen mit der Nato absolviert, glaubt eine Mehrheit der Bevölkerung, Russland sei der wichtigste Verbündete“, erläutert der Osteuropa- und Sicherheitsexperte.

Gerade in Serbien versucht Russland massiv Einfluss zu nehmen, etwa über das Nachrichtenportal „Sputnik“, das in Belgrad ein eigenes Büro betreibt und von dort aus Inhalte kostenlos für serbische Medien zur Verfügung stellt. „In Serbien ist die Verbindung zwischen Medien und der Regierung extrem eng“, berichtet Nehring, und Russland mische kräftig mit. Während seit dem 2. März 2022 die Übertragung von Inhalten des russischen Propagandasender RT EU-weit verboten ist, sendet er in Serbien ungehindert weiter.

Das serbische Nachrichtenportal „Informer“, das täglich informiert, wie viele „ukrainische Soldaten und Söldner“ durch Russlands Armee „liquidiert“ werden, berichtete nach Nehrings Beobachtung am 23. Februar 2022, die Ukraine habe Russland überfallen. „Das schwappte dann auf andere Portale und Zeitungen über, das muss man sich einmal vorstellen“, erläutert der Sicherheitsexperte. Durch die sprachliche Nähe würden viele Desinformationen von Serbien aus auch den Weg in die benachbarten Länder Montenegro, Nordmazedonien und Kroatien finden.

Auch EU- und Nato-Mitglieder nicht vor russischer Einflussnahme geschützt

Aber auch gestandene EU- und Nato-Mitglieder seien vor russischer Einflussnahme keineswegs gefeit. In Bulgarien, wo Anfang April zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren gewählt wurde, ohne dass eine stabile Regierungsmehrheit zustande kam, spielt russischer Einfluss traditionell eine große Rolle, sowohl wirtschaftlich als auch medial. Einerseits gibt es auch hier die sprachliche Nähe mit dem gemeinsamen kyrillischen Alphabet und anderseits sind die Bulgarinnen und Bulgaren bis heute dankbar, dass die Russen sie im 19. Jahrhundert vom türkischen Joch befreiten.

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„Durch eine von Oligarchen dominierte Medienlandschaft mit fließenden Grenzen zum Boulevardjournalismus sind sehr häufig prorussische Positionen zu finden“, berichtet Nehring. Es gebe politische Parteien, die ganz offen russische Propaganda vertreten und Telegram- oder Facebookgruppen, die klar das russische Narrativ verbreiten, die Ukraine und der Westen seien schuld an diesem Krieg. Am effektivsten sei die rechtsextreme Partei „Wiedergeburt“, die mit der Übernahme von russischen Fake News 50 Prozent des Traffics aller Parteien auf Facebook verbucht.

„In Bulgarien hat der Kreml gleich nach Kriegsbeginn den Druck mit Desinformationen massiv erhöht, wohl in der Hoffnung, man könne ein Land aus der EU-Allianz herausbrechen“, schätzt Nehring ein. Nicht ohne Grund seien Bulgarien und Polen die ersten Länder gewesen, an die Russland schon im Frühjahr 2022 kein Gas mehr geliefert habe. Suggestiv werde die Meinung verbreitet, man solle sich doch neutral verhalten, keine militärische Hilfe leisten und keine Nato-Truppen ins Land lassen.

Moldaus schwieriger Weg in die EU

Einen schweren Stand hat auch das kleine Land Moldau. Zwischen Rumänien und der Ukraine gelegen, herrscht in der auf prowestlichem Kurs befindlichen ehemaligen Sowjetrepublik die Sorge vor einer innenpolitischen Destabilisierung. Während in der Vergangenheit der moldauische Geheimdienst immer wieder vor einem hohen Risiko eines direkten russischen Angriffs gewarnt hatte, zeigte sich Präsidentin Maia Sandu und ihr Umfeld zuletzt vor allem wegen „Plänen des Kremls, Gewalt in unser Land zu bringen“ und „die Verfassungsordnung zu stürzen“, besorgt.

Sandu hatte Russland schon im Februar vorgeworfen, den Sturz der moldauischen Regierung geplant zu haben. Moskau habe versucht, die Macht über Moldau zu übernehmen und einen Beitritt Moldaus zur EU zu verhindern. „Einige wollten, dass unser Land stürzt, um eine Marionettenregierung in Chisinau einrichten zu können“, sagte Sandu und versicherte: „Die Republik Moldau bleibt (…) entschlossen auf ihrem Weg in die EU.“

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In dem Land, das im Juni 2022 gemeinsam mit der Ukraine den EU-Beitrittskandidatenstatus erhalten hatte, wird gleichermaßen Rumänisch und Russisch gesprochen, und alle russischen Sender sind gut zu empfangen. „Ein großer Teil der Bevölkerung konsumiert täglich russische Medien“, sagte Nehring. „Gerade für die älteren Menschen sind die staatlichen russischen Propagandasender erste Informationsquelle.“

Im EU- und Nato-Mitgliedsland Rumänien hingegen sind prorussische Narrative verpönt, weil es dort keine traditionellen und sprachlichen Verbindungen zu Russland gibt. Aber Desinformation ist dennoch ein Thema, haben die Studienautoren beobachtet. „Rumänien ist ein Beispiel dafür, wie es Oligarchen in Verbindung mit einer großen Werbekampagne geschafft haben, die Antikorruptionsarbeit der Regierung zu diskreditieren und lächerlich zu machen“, erläutert Nehring.

„Desinformation und Fake News sind digitale Seuchen unserer Zeit“

Hendrik Sittig, Leiter des KAS-Medienprogramms, sieht die Sache so: „Desinformation und Fake News sind digitale Seuchen unserer Zeit. Sie sind eine echte Gefahr für Demokratie, Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Meistens werden sie genau aus diesem Grund gezielt produziert und verbreitet. Wir haben diese Gefahr viel zu lange unterschätzt. Gegen sie muss dringend gezielter und stärker vorgegangen werden.“

Nach Nehrings Auffassung helfen da nur Bildungsprogramme, Qualitätsjournalismus und eigene mediale Informationsangebote staatlicher Institutionen, die demokratische Narrative verbreiten. Es müsse darum gehen, die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit gegen Desinformation zu stärken. „Leider gibt es dafür keinen Masterplan“, sagte Nehring, aber klar sei auch: „Von allein geht das nicht wieder weg.“

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