Kommentar

Emilia Festers Bismarck-Wissenslücke: Echte Blamage geht anders

Polarisierende Jungpolitikerin: Emilia Fester, 25, seit 2021 für die Grünen im Bundestag, muss gerade viel Kritik und Häme für ihre historischen Wissenslücken einstecken.

Polarisierende Jungpolitikerin: Emilia Fester, 25, seit 2021 für die Grünen im Bundestag, muss gerade viel Kritik und Häme für ihre historischen Wissenslücken einstecken.

Emilia Fester hat einen Fehler gemacht. Es ist der eigentliche, der Kardinalfehler, der sie jetzt der geifernden Erregung, dem schäumendem Spott aussetzt: Sie hat sich arglos von Mirko Drotschmann ein Mikrofon unter die Nase halten lassen. Was dann passierte, waren nur noch Folgefehler, die einen Shitstorm heraufziehen ließen, den die Grünen-Politikerin hätte vorausahnen müssen. Jetzt wird sie von Teilen der Öffentlichkeit am Nasenring durch die Manege der Schadenfreude geführt – als die Bundestagsabgeordnete, die angeblich nicht weiß, wer Bismarck war.

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Zunächst zu Drotschmann, bei Youtube besser bekannt als „MrWissen2go“: Er produziert dort auf seinem Kanal „MrWissen2go Geschichte“ Videos im Auftrag des ZDF-Formats „Terra X“, 1,18 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten erreichen Drotschmann und das ZDF damit. Es geht, das wird auch Emilia Fester vor ihrer Teilnahme bekannt gewesen sein, um historisches Wissen. Dass sie darüber – zumindest in Teilgebieten – nur in versetzungsgefährdendem Maße verfügt, sollte ihr ebenso klar gewesen sein. Es sei denn, sie ist nicht in der Lage, das Ausmaß der eigenen Inkompetenz einzuschätzen, die Sozialpsychologie kennt das als Dunning-Kruger-Effekt.

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Das aber wäre eine Unterstellung ohne Faktenbasis. Die Fakten sind vielmehr andere: Emilia Fester ist durchsetzungsstark, sie hat mit 23 Jahren als jüngste Abgeordnete ein Mandat für den 20. Deutschen Bundestag ergattert. Sie ist engagiert, gehört dem Familienausschuss an, ist stellvertretendes Mitglied im Kultur- sowie im Umweltausschuss. Und sie ist, sofern man von schulischen Leistungen darauf schließen kann, intelligent: Fester hat 2017 ihr Abitur mit einem Notenschnitt von 1,3 eingetütet.

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Fester: „Der war Kanzler? Witzig, okay“

Über ihre Geschichtsnote ist nichts bekannt, zumindest aber dürfte es in der Oberstufe nur rudimentär um die Reichsgründung von 1871, um die Sozialgesetzgebung oder um die Bündnispolitik nach den Einigungskriegen gegangen sein. Oder Fester hat nicht aufgepasst. In Drotschmanns „Bundestag-Check: Was wissen unsere Politiker über Geschichte?“ versagt die heute 25 Jahre alte Hamburgerin – das ist da, wo der Gesuchte mit einem vor allem in Festers Partei kontrovers diskutierten, 35 Meter hohen Denkmal mitten in der Stadt geehrt wurde – jedenfalls an dieser einen Stelle in bemerkenswerter Manier.

Die Frage, an der sich Fester in einem Maße die Zähne ausbeißt, dass die Netzgemeinde nur so johlt, der Boulevard genüsslich von „Blamage“ schreibt: Wer wurde 1871 deutscher Reichskanzler? Der sich daraus ergebende Dialog im Protokoll:

Fester: „1871, neben dem Kaiser? Ich weiß es nicht, ich weiß keinen Namen.“

Drotschmann: „Ein Mann, nach dem zum Beispiel ein Hering benannt wurde.“

Fester: „Was? (lacht) Oh Gott, das müsste ich als Hamburgerin eigentlich wissen.“

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Drotschmann: „Ja, eigentlich schon. Mit B.“

Fester: „Der Bismarck! Ach was, wirklich?“

Drotschmann: „Ja, Otto von Bismarck.“

Fester: „Der war Kanzler?“

Drotschmann: „Der war Kanzler, genau.“

Fester: „Witzig, okay.“

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„MrWissen2go“ soll kein Kreuzverhör sein, sondern Unterhaltung

Der Dialog im Wortlaut ist relevant für die aktuelle Debatte, die eigentlich keine ist, sondern eher ein Spießrutenlauf. Denn nicht nur dokumentiert er eine Wissenslücke. Sondern er setzt auch den eigentlichen Ton, der in der öffentlichen Erregung völlig untergeht: Hier wird locker miteinander geredet, in fast schon kumpeliger Atmosphäre. Das hier ist kein Kreuzverhör, das ist Unterhaltung.

Sicher, dieses Setting ist von den Machern um Drotschmann bewusst gewählt, um diese Nonchalance bei den Gesprächspartnern hervorzurufen, da sind Profis am Werk. Aber es geht dem Format nicht darum, Menschen vorzuführen. Am Ende bekommt Fester wie zum Beweis eine Urkunde mit einem Smiley, der heißen soll: Test bestanden.

Dass sie nun auf der Empörungsbühne trotzdem gnadenlos durchfällt, im Übrigen nicht zum ersten Mal, hat sie sich zwar einerseits selbst zuzuschreiben. Es gibt in diesen Formaten nichts zu gewinnen, wenn man nicht mit allumfassendem Weltwissen glänzt. Wobei man Bismarck als deutsche Politikerin schon kennen darf – und sollte. Insofern war die ganze Sache ein Doppelfehler, wie man im Tennis sagt, mit der Folge, dass Fester in die Defensive gerät, ihr der Spott wie ein Volley nach dem anderen um die Ohren fliegt.

Fester in guter Gesellschaft

Andererseits erscheint der gesamte Vorgang wie das Ergebnis einer Übertreibungssucht. Wen eine Emilia Fester kennt und wen nicht – wobei sie Bismarck ja offenbar kennt, ihm nur nicht seine Funktion zuordnen konnte –, ist für ihre Arbeit als Bundestagsabgeordnete völlig egal. Ein bisschen politische Ahnenkunde ist gut und wünschenswert, aber eben keine Voraussetzung. Und dass Philipp Amthor (CDU) bei einer Frage, die Fester sofort beantworten konnte, nämlich der, was am 30. Januar 1933 geschah, bedenklich ins Schlingern kam, nur nach allerlei Peinlichkeiten („Das ist jetzt, wenn so viele Fragen sind (…) haben wir hier eine kleine Restunsicherheit.“) doch noch zur Lösung fand, findet kaum Erwähnung.

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Ja, Emilia Fester hat sich in die Nesseln gesetzt, die Gründung der Bundesrepublik im weiteren Verlauf ins Jahr 1946 fantasiert, auch Georg Elser konnte sie erst nach Nennung des Stichworts Stauffenberg als Hitler-Attentäter identifizieren. Aber der Hohn, dem sie nun ausgesetzt ist, ist lächerlich. Geradezu albern wird es, wenn Bundestagskollege Christoph Ploß von der CDU, wie Fester aus Hamburg, bei Twitter schreibt: „Emilia Fester offenbart riesige Wissenslücken, will aber allen anderen regelmäßig die Welt erklären.“

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Jener Christoph Ploß, der im Frühjahr im Parlament behauptet hatte, dass man überall in der EU bereits E-Fuels tanken könne, nur in Deutschland nicht, legte später mit einem missverständlichen Tweet nach. Ploß machte sich damit zum Gespött in den sozialen Medien, galt plötzlich als derjenige, der den Unterschied zwischen E-Fuels und Biokraftstoffen nicht kenne. So geht Blamage, und zwar bei einer handfesten politischen Frage der Gegenwart.

Emilia Festers irrlichterndes Ringen mit der historischen Figur Bismarck ist zwar gewiss kein Ruhmesblatt. Aber im Vergleich dazu eigentlich auch ziemlich egal.

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