Rückblick auf Gaucks Amtszeit

Freiheit, Flüchtende, Deutschlands Rolle in der Welt: Das war Gaucks Präsidentschaft

Bundespräsident Joachim Gauck spricht am 31.01.2014 in München bei der 50. Sicherheitskonferenz im Hotel Bayerischer Hof. Die Rede gilt als eine der zentralen seiner Amtszeit.

Bundespräsident Joachim Gauck spricht am 31.01.2014 in München bei der 50. Sicherheitskonferenz im Hotel Bayerischer Hof. Die Rede gilt als eine der zentralen seiner Amtszeit.

Berlin. In der DDR lebte er als Pfarrer in Rostock, wirkte dort 1989 im oppositionellen „Neuen Forum″ mit und zog 1990 in die erste und letzte demokratisch gewählte Volkskammer ein. Von Oktober 1990 an stand er als erster Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen an der Spitze der nach medial ihm benannten „Gauck-Behörde“. Danach war er Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ und schrieb Bücher: 2012 wurde Joachim Gauck schließlich zum ersten parteilosen Bundespräsidenten gewählt.

Der zweite Anlauf

März 2012: Schon seine Wahl zum Bundespräsidenten war außergewöhnlich. Gauck war bereits 2010 von SPD und Grünen fürs Schloss Bellevue aufgestellt worden – gegen den von Union und FDP nominierten Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Christian Wulff (CDU). Die Idee für eine Gauck-Nominierung soll sein Weggefährte, der frühere DDR-Bürgerrechtler und Ost-Grünen-Bundestagsabgeordnete Werner Schulz, gehabt haben; Fraktionschef Jürgen Trittin soll sie der SPD schmackhaft gemacht haben.

01.10.2015, Berlin: Der frühere DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz aus dem Boitzenburger Land (Brandenburg) erhält von Bundespräsident Joachim Gauck (l.) im Schloss Bellevue einen Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

01.10.2015, Berlin: Der frühere DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz aus dem Boitzenburger Land (Brandenburg) erhält von Bundespräsident Joachim Gauck (l.) im Schloss Bellevue einen Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

Es kam zu einem der seltenen Wahlkämpfe ums Bundespräsidentenamt, der 2010 hauptsächlich aus öffentlichen Auftritten und Reden bestand. Gauck gewann dabei über die Parteigrenzen hinaus große Zustimmung, auch in vielen Medien. Der „Spiegel“ widmete ihm die Titelgeschichte: „Der bessere Präsident“. In der Bundesversammlung gewann Christian Wulff erst im dritten Wahlgang.

23.03.2012: Bundespräsident Joachim Gauck spricht im Reichstag in Berlin nach seiner Vereidigung zu Vertretern von Bundestag und Bundesrat.

23.03.2012: Bundespräsident Joachim Gauck spricht im Reichstag in Berlin nach seiner Vereidigung zu Vertretern von Bundestag und Bundesrat.

Als Wulff 2012 wegen Bestechlichkeitsvorwürfen zurücktrat, überzeugte die FDP auch die skeptische CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel davon, Gauck aufzustellen. Er wurde am 18. März 2012 als überparteilicher Kandidat im ersten Wahlgang gewählt.

Erste Distanzierung von Merkel

Mai 2012: Wie von Merkel wohl befürchtet, erweist sich Gauck schnell als eigenständiger Denker und selbstbewusstes Staatsoberhaupt. Als die Kanzlerin bei ihrer Rede vor der Knesset 2012 sagt, das Existenzrecht Israels zähle zur deutschen Staatsräson, distanziert sich Gauck wenig später.

29.05.2012: Bundespräsident Joachim Gauck entzündet in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, Israel, die Ewige Flamme. Das deutsche Staatsoberhaupt hielt sich zu einem mehrtägigen Besuch in Israel und den palästinensischen Gebieten auf.

29.05.2012: Bundespräsident Joachim Gauck entzündet in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, Israel, die Ewige Flamme. Das deutsche Staatsoberhaupt hielt sich zu einem mehrtägigen Besuch in Israel und den palästinensischen Gebieten auf.

Bei seinem Israel-Besuch im Mai sagt er, die Sicherheit Israels sei zwar „bestimmend“ für die deutsche Politik. Doch Merkels Wort von der Staatsräson könne Deutschland in „enorme Schwierigkeiten“ bringen – weil die Erfüllung dieses Versprechens etwa im Fall eines iranisch-israelischen Kriegs schwierig werde, deutet er an.

Zentrale Rede zu Deutschlands Rolle in der Welt

31. Januar 2014: Vor der Münchener Sicherheitskonferenz lobt Gauck die Bundesrepublik als „das beste Deutschland, das wir kennen“ und leitet daraus die Konsequenz ab: Deutschland dürfe sich nicht wegducken, auch nicht mit Hinweis auf die grauenvolle Nazi-Vergangenheit. „Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein“, sagt Gauck. Die Rede löst eine heftige Debatte darüber aus, ob die Bundesrepublik mehr militärische und andere Verantwortung in Europa und der Welt übernehmen muss – inklusive mehr Auslandseinsätzen.

Scharfe Kritik an Putin

September 2014: Gauck stellt seine Präsidentschaft unter das Motto „Freiheit“ und will den Wert der Demokratie betonen und vor Diktatoren warnen. Von Anfang an blickt er dabei kritisch auf Wladimir Putins Russland und bezieht ungewöhnlich deutlich Position. Demonstrativ stattet er Russland keinen offiziellen Besuch ab und weigert sich nach Putins Annexion der Krim, die Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi zu besuchen. Viele werten das als diplomatischen Affront, doch es gibt auch Lob.

Wenig später legt Gauck nach: Beim Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 2014 kritisiert er Putin direkt, vor allem für die Besetzung der Ukraine, mit der der Kreml „die Partnerschaft mit dem Westen de facto aufgekündigt“ habe.

03.08.2014: Bundespräsident Joachim Gauck (l.) und Frankreichs Präsident François Hollande nehmen in der Gedenkstätte Hartmannsweilerkopf in Hartmannsweiler im Elsass an den Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs teil. Auf dem Hartmannsweilerkopf waren bei verlustreichen Kämpfen fast 30.000 Deutsche und Franzosen ums Leben gekommen.

03.08.2014: Bundespräsident Joachim Gauck (l.) und Frankreichs Präsident François Hollande nehmen in der Gedenkstätte Hartmannsweilerkopf in Hartmannsweiler im Elsass an den Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs teil. Auf dem Hartmannsweilerkopf waren bei verlustreichen Kämpfen fast 30.000 Deutsche und Franzosen ums Leben gekommen.

Gedenken an deutsche Schuld

2014/2015: In den Gedenkjahren an den Zweiten Weltkrieg, 2014 und 2015, befasst sich Gauck umfassend mit der deutschen Verantwortung für die Verbrechen der zwei Weltkriege. Zudem würdigt er die Versöhnung Deutschlands mit ehemaligen Kriegsgegnern, etwa beim Besuch im französischen Oradour, wo die Waffen-SS eines der brutalsten Massaker des Weltkriegs mit mehr als 600 Menschen angerichtet hat.

Symbol für Armenien, Affront gegen Erdogan

April 2015: In der Debatte um den osmanischen Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges sind Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei angespannt. Ministerpräsident Erdogan protestiert gegen die Einstufung der Geschehnisse als Genozid. Mit Blick auf die Wahlen in der Türkei und weil Erdogan als Partner im Kampf gegen die IS-Terrormiliz gebraucht wird, lässt die schwarz-rote Bundesregierung unter Merkel den Begriff aus einer überparteilichen Bundestagsresolution zum 100. Jahrestages des Massenmords streichen.

23.04.2015: Bundespräsident Joachim Gauck spricht im Berliner Dom in Berlin nach dem Ökumenischen Gottesdienst zum 100. Jahrestag des Beginns der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich.

23.04.2015: Bundespräsident Joachim Gauck spricht im Berliner Dom in Berlin nach dem Ökumenischen Gottesdienst zum 100. Jahrestag des Beginns der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich.

Doch Joachim Gauck hält zum Jahrestag eine Rede bei einer Gedenkveranstaltung – und nennt die Vorgänge „Völkermord“ und erinnert an die deutsche Mitschuld daran. Die Türkei bezeichnet die Aussage sofort als unverzeihlich. Danach übernimmt auch der Bundestag das Wort wieder. In den Beziehungen zur Türkei kommt Krisenstimmung auf, wie sich in den nächsten Monaten und Jahren mehrmals zeigen wird.

Gauck empfängt Queen Elizabeth in Berlin

Juni 2015: Bei einem dreitägigen Deutschland-Besuch der Queen ist der Bundespräsident aus protokollarischen Gründen der Gastgeber, der die Monarchin empfängt und durch Berlin begleitet – freudestrahlend. Es gibt auch ein Treffen mit Merkel und einen Abstecher nach Frankfurt/Main sowie einen Besuch in einer KZ-Gedenkstätte. Schlagzeilen macht Elizabeth II. mit einer ungewöhnlich politischen Rede beim Staatsbankett im Schloss Bellevue: Sie ruft zur Einheit Europas auf.

24.06.2015: Großbritanniens Königin Elizabeth II. und Prinz Philip fahren mit Bundespräsident Joachim Gauck (l.) und dessen Lebensgefährtin Daniela Schadt (2. v. l.) auf dem Boot „Ajax“ auf der Spree entlang. Die Queen und ihr Mann halten sich zu ihrem fünften Staatsbesuch in Deutschland auf.

24.06.2015: Großbritanniens Königin Elizabeth II. und Prinz Philip fahren mit Bundespräsident Joachim Gauck (l.) und dessen Lebensgefährtin Daniela Schadt (2. v. l.) auf dem Boot „Ajax“ auf der Spree entlang. Die Queen und ihr Mann halten sich zu ihrem fünften Staatsbesuch in Deutschland auf.

Differenzierende Worte in Flüchtlingskrise

August/September 2015: Als die Flüchtlingszahlen nach Deutschland ansteigen und Übergriffe auf Flüchtlingsheime zunehmen, besucht Gauck freiwillige Helferinnen und Helfer sowie soziale Dienste für Asylbewerberinnen und ‑bewerber, um ihre Arbeit zu würdigen.

Nach dem Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin lobt er die „vielen Freiwilligen, die zeigen, es gibt ein helles Deutschland, das hier sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte hören“. Der historisch belastete Begriff „Dunkeldeutschland“, zu dem Gauck spontan gegriffen hat, sorgt für Kritik.

26.08.2015: Bundespräsident Joachim Gauck besucht die Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus in Berlin-Wilmersdorf.

26.08.2015: Bundespräsident Joachim Gauck besucht die Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus in Berlin-Wilmersdorf.

Im Folgemonat spricht Gauck bei der kirchlichen „Interkulturellen Woche“ erneut zum Thema Asyl – und ruft zu einer Politik des Mitgefühls, aber auch des Pragmatismus auf: „Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Die deutsche Aufnahmekapazität sei begrenzt. Auch das wird als Distanzierung zu Merkel gelesen, die wenige Tage zuvor zur Flüchtlingsaufnahme gesagt hatte: „Wir schaffen das.“

Kritik am Kommunismus

März 2016: Gaucks Besuch in China wird für den Bundespräsidenten eine Konfrontation mit seiner Biografie in der kommunistischen DDR-Diktatur. Vor Studentinnen und Studenten in Shanghai nimmt er das SED-Regime erneut kritisch auseinander – was sich zugleich als Kritik am aktuellen China lesen lässt, und erneut andere Akzente setzt als Merkel.

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Verzicht auf zweite Amtszeit

Juni 2016: Gauck erklärt im Schloss Bellevue, er werde aus Altersgründen keine weiteren fünf Jahre als Bundespräsident zur Verfügung stehen. Der seinerzeit 76-Jährige sagt, er könne die für das Amt notwendige „volle Energie und Vitalität“ nicht für weitere fünf Jahre gewährleisten, da er am Ende der zweiten Amtszeit 82 Jahre alt wäre. Die Entscheidung sei ihm nicht leichtgefallen.

11.02.2020: Der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) begrüßt seinen Amtsvorgänger Joachim Gauck bei einem Abendessen zu Ehren Gaucks anlässlich dessen 80. Geburtstages im Schloss Bellevue.

11.02.2020: Der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) begrüßt seinen Amtsvorgänger Joachim Gauck bei einem Abendessen zu Ehren Gaucks anlässlich dessen 80. Geburtstages im Schloss Bellevue.

Zahlreiche Politikerinnen und Politiker würdigten Gaucks Arbeit der letzten Jahre. Seine Amtszeit endet am 18. März 2017, zum Nachfolger wird der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier gewählt, der das Amt inzwischen in zweiter Amtszeit innehat.

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