Eigentor der Hochmoral
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Auch der Kanzler bat um Gas: Olaf Scholz (links) und der Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Hannover. Ach ja, da war ja was, lange vor „One Love“-Armbinde und Mund-zu-Geste allerdings. Ein Wirtschaftsminister, der zum Emir reist und demütig um Gas bittet, Verbeugung inklusive. Ein Kanzler, der ein paar Monate später hinterher reist und versichert, dass wir das Gas auch wirklich gerne haben möchten. Alles, könnte man sagen, zahlt sich jetzt aus. Oder, von heute aus betrachtet: Fällt uns nun aus großer moralischer Höhe ziemlich ungeschützt auf die Füße.
Mit ihrer Ankündigung, Deutschland nun tatsächlich Flüssigerdgas zu liefern, beweisen die Katarer ein bemerkenswertes Gespür für Timing. Nach Monaten des Verhandelns geben sie nun ausgerechnet zwischen dem zweiten und dritten Gruppenspiel der deutschen Mannschaft bei der WM in Katar die Einigung bekannt. Kurz nach der beißenden Kritik aus Deutschland, so dass man die Verträge als dezenten Hinweis auf gewisse Abhängigkeiten verstehen darf. Und kurz vor jenem Spiel am Donnerstag, nach dem Deutschland bereits ein Ex-Teilnehmer dieser WM sein könnte. Dann aber hätte dieser Deal schon weit weniger Beachtung gefunden. Er braucht die große Bühne.
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Katar liefert ab 2026 zwei Millionen Tonnen LNG pro Jahr: Was bedeutet diese Menge eigentlich?
Am Dienstag wurde in Doha ein Gas-Deal zwischen Katar und der Bundesregierung verkündet. Zwei Millionen Tonnen Flüssiggas sollen ab 2026 über 15 Jahre lang nach Deutschland gehen. Doch wie viel vom deutschen Verbraucht decken die Lieferungen? Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.
Katar – als Gasverkäufer gerade, als Gastgeber geschmäht
Seine energiepolitische Bedeutung nämlich ist überschaubar. Gerade mal 3 Prozent des jährlichen Gasbedarfs wird Katar an Deutschland liefern, und das auch erst von 2026 an. Das ist einer von vielen noch nötigen Bausteinen deutscher Energieversorgung, aus denen irgendwann hoffentlich mal ein solide wärmendes Haus wird. Mehr aber auch nicht. Die Katarer hätten gerne längere Lieferzeiten vereinbart, 20 Jahre aufwärts, die 15 Jahre sind für sie eine Art Kurzvertrag. Deutschland wiederum hätte katarisches Flüssiggas im Jahr 2041 eigentlich gerne schon nicht mehr nötig. Man traf sich in der Mitte.
Seine eigentliche Bedeutung erhält der Gasdeal allein als katarischer Kommentar zur Debatte um Boykott und Menschenrechte: Tatsächlich steht Deutschland nun als Weltmeister der Doppelmoral da. Als Gasverkäufer ist uns Katar in der Not gerade recht, als WM-Gastgeber aber sei er bei jeder Gelegenheit geschmäht: Das ist ein Widerspruch, der sich tatsächlich schwer auflösen lässt. Auch nicht durch den Hinweis, dass es im einen Fall um existenzielle Bedürfnisse geht, im anderen nur um ein Spiel. Wir selbst sind es, die den Fußball zum Gerichtssaal über internationale Politik und universelle Normen machen. Und was sind, andererseits, schon 3 Prozent des deutschen Jahresbedarfs.
Überforderung der Spieler
Es rächt sich jetzt, dass Politik und Deutscher Fußball-Bund sportpolitisch nahezu unvorbereitet in dieses Turnier gestolpert sind. Seit zwölf Jahren ist klar, dass diese Weltmeisterschaft absurderweise in Katar stattfinden wird. Es wäre genug Zeit gewesen, auf dieses Turnier zu verzichten. Oder zumindest eine Strategie zu finden, um die berechtigte Kritik an den Verhältnissen in Katar in deutlicher, aber nicht düpierender Art vorzubringen.
LNG aus Katar: Wirtschaftsminister Habeck verkündet Einigung über Gasabkommen
Bundeswirtschaftsminister Habeck hält den auf 15 Jahre angelegten LNG-Liefervertrag für einen guten Zeitrahmen.
© Quelle: Reuters
Stattdessen bürden wir nun den Spielern auf, auf dem Feld als Botschafter der Menschenrechte aufzutreten. Jene ethische Konsequenz und Reinheit, die wir alle in unserem Alltag nicht aufbringen, wenn wir mit unseren Smartphones aus China telefonieren oder T-Shirts aus Bangladesh tragen, sollen sie nun vor einem möglichst kreativen Spiel gleichsam nebenbei mit erledigen. So haben wir uns mit unseren moralischen Maximalpositionen in letzter Minute in die missliche Lage gebracht, dass Katar Deutschland mit einer schlichten Lieferankündigung für ein paar Schiffsladungen flüssiges Erdgas sehr alt und bigott aussehen lässt. Auf dem Feld der internationalen PR ist den Katarern damit das gelungen, was ihnen auf dem Platz, in ihren klimatisierten Stadien, versagt blieb: Sie sind eine Runde weiter.