Hessens Ministerpräsident Rhein: „Wir brauchen eine erfolgreiche Rückführungsoffensive“
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Boris Rhein (CDU) kämpft im Herbst um seine Wiederwahl als Ministerpräsident in Hessen.
© Quelle: Helmut Fricke/dpa/Archivbild
Herr Rhein, Ihr Parteichef stand in den letzten Tagen erneut in der Kritik, weil er in einer Talkshow sehr verallgemeinernd von schlecht integrierten Arabern gesprochen hat. Warum führt die CDU die Debatte so schrill?
Ich nehme nicht wahr, dass Friedrich Merz und die CDU die Migrationsdebatte schrill führen. Die einzig verbliebene Volkspartei in Deutschland muss, weil so viele Menschen nach der Silvesternacht beunruhigt sind, die Diskussion offen führen und Sorgen artikulieren. Dabei spielen Integrationsprobleme eine Rolle, aber nicht nur. Was wir auch erlebt haben, ist fehlender Respekt vor den staatlichen Institutionen. Ich rate dazu, die Diskussion um die Migration besonnen zu führen. Man muss aber auch hin und wieder zugespitzt formulieren dürfen.
Die Frage ist aber, ob die CDU mit Verallgemeinerungen nicht gut integrierte Migranten vor den Kopf stößt.
Es kann nicht die Absicht der Union sein, Menschen vor den Kopf zu stoßen. Das ist nicht unsere Intention. Unser Land profitiert kulturell und wirtschaftlich enorm von vielen Menschen, die in unser Land kommen. Trotzdem gibt es Personen, die sich nicht an Regeln halten, und über genau die müssen wir reden, ohne alle über einen Kamm zu scheren.
Beim Chancen-Aufenthaltsrecht haben sich 20 CDU-Abgeordnete enthalten, auch weil sie Sorge hatten, welches Signal eine Ablehnung aussenden könnte. Warum ist Migration noch immer eine Sollbruchstelle in der Partei, sodass sich Gräben auftun?
Auch in der CDU ist die Debatte vielschichtiger geworden. Ich bezweifele, dass eine Kampagne, wie wir sie 1999 gemacht haben …
… – in Hessen hatte CDU-Spitzenkandidat Roland Koch mit einer Unterschriftenkampagne gegen den Doppelpass den Wahlkampf zugunsten der CDU gedreht, aber scharfe Kritik ausgelöst – …
… heute noch erfolgreich wäre. Wie gesagt: Auch in der CDU ist die Debatte vielschichtiger geworden, genauso wie in der Gesellschaft insgesamt. Trotzdem sind wir eine Volkspartei und müssen unterschiedliche Meinungen aushalten. Unstrittig ist, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist und, dass die CDU qualifizierte Einwanderung in den Arbeitsmarkt und keine unkontrollierte Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme will.
Das klingt so, als ob Sie jedenfalls in Ihrem Wahlkampf keine scharfe Migrationsdebatte führen wollen.
Migration ist in erster Linie ein bundespolitisches Thema, wir haben auf Landesebene zahlreiche andere Themen, die wir in den Mittelpunkt stellen werden. Aber man sollte nicht wegdiskutieren, dass es die Bürger umtreibt, wie wir mit dem Zuwanderungsgeschehen umgehen. Migration muss gesteuert und begrenzt werden.
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Im vergangenen Jahr wurden 244.132 Asylanträge gestellt – 27 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Damit ist die sogenannte Obergrenze von Horst Seehofer überschritten. Ist Handlungsbedarf geboten?
Ja, die Bundesregierung muss jetzt reagieren. Ein Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migration reicht nicht aus. Wir brauchen eine erfolgreiche Rückführungsoffensive. 2022 gab es mehr als 85.000 unerlaubte Grenzübertritte nach Deutschland, fast 60.000 davon über Polen, Österreich, Tschechien und über die Schweiz. Der Schlüssel liegt beim Bundesinnenministerium, das die Rückführung umsetzen und die Grenzen sichern muss. Das Fatale ist, dass mit den Ampelplänen zur Staatsbürgerschaft in einer ohnehin schon angespannten Lage falsche Anreize gesetzt werden und sich die Situation zuspitzen könnte.
Stellen Sie sich wirklich vor, dass sich Menschen in Krisenländern wegen Anpassungen bei der Staatsbürgerschaft auf den Weg machen? Die Betroffenen haben doch andere Gründe.
Sie haben viele Gründe, die teilweise auch sehr gut nachvollziehbar sind. Aber wenn die Ampel ausgerechnet jetzt, da wir so viele Asylanträge haben wie seit Jahren nicht, weitere Anreize zur Einwanderung setzt, ist das fahrlässig. Stattdessen muss die Bundesregierung mehr dafür tun, Schlepper zu bekämpfen, Grenzen zu sichern und den Fahndungsdruck grenzüberschreitend zu erhöhen.
Braucht es erneut einen Flüchtlingsgipfel?
Es wäre klug, wenn der Bundeskanzler die ungesteuerte Migration zur Chefsache machen und mit Ländern und Kommunen zeitnah besprechen würde, wie es weitergehen kann. Das betrifft die Grenzsicherung und Maßnahmen in den Herkunftsländern, das betrifft aber auch die Bewältigung der Situation vor Ort. Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass die zwischen Bund und Ländern verhandelten Summen nicht ausreichen.
Der Bund hat insgesamt 2,75 Milliarden für dieses Jahr zugesagt. Warum ist das zu wenig?
Wir haben im Spätherbst 2022 eine pauschale Summe mit dem Bund ausgehandelt. Wir sehen aber jetzt, dass wir eine Spitzabrechnung aller flüchtlingsbezogenen Kosten mit dem Bund benötigen. Das bedeutet: Steigen die Flüchtlingszahlen, steigt automatisch auch die Summe, die die Länder und damit am Ende auch die Kommunen und Landkreise vom Bund bekommen. Rund um Ostern wollen sich Bund und Länder erneut treffen und über die weitere Finanzierung verhandeln. Wir erleben ein derartiges Zuzugsgeschehen, dass die Pauschale nicht ausreichen wird. Das muss der Bundeskanzler einsehen.
Die Kommunen und Länder kommen bei der Flüchtlingsversorgung an ihr Limit.
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU)
Zu den praktischen Fragen: Können die Länder und Kommunen die Unterbringung und die Schulintegration leisten?
Die Kommunen und Länder kommen bei der Flüchtlingsversorgung an ihr Limit. Und es ist eben durchaus eine finanzielle Frage, ob wir Unterkünfte mieten und dadurch auf die Belegung von Turnhallen und Bürgerhäusern verzichten können. Mit mehr Geld lassen sich auch dringend benötigte, zusätzliche Stellen in den Schulen und Kitas schaffen sowie weitere Fortbildungsprogramme anbieten. Wir haben 2016 gute Erfahrungen mit Rechtsstaatsklassen gemacht. Dieses Angebot sollte ausgebaut werden, dafür brauchen die Länder mehr Hilfe vom Bund.
Es ist erstaunlich, dass die SPD noch nicht weiß, wer die Spitzenkandidatur übernehmen soll.
Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU)
Streit über Finanzen gibt es auch beim Länderfinanzausgleich: Bayern will dagegen klagen, Hessen ist mit mehr als 3 Milliarden Euro jährlich ebenfalls Geberland. Schließen Sie sich der Klage an?
Ich halte es für dringend notwendig, dass wir den Länderfinanzausgleich auf die Tagesordnung setzen und die Frage der Gerechtigkeit diskutieren. Wir brauchen eine neue Verständigung und Vereinbarung über den Länderfinanzausgleich. Wenige Länder zahlen, viele kassieren. Das ist kein ausgewogenes Verhältnis. Die Geberländer müssen sich dann noch vorhalten lassen, dass sie manche eigene Programme aus Sparsamkeit nicht üppig ausgestalten, während die Empfängerländer durch das Geld aus dem Länderfinanzausgleich mehr Spielraum haben. Wenn die Verhandlungen scheitern, ist die Klage immer noch eine Option.
Zur Landtagswahl: Gehen Sie davon aus, dass die Bundesinnenministerin als Spitzenkandidatin der SPD in Hessen Ihren Wahlkampf aufmischen wird?
Es ist erstaunlich, dass die SPD zu Jahresbeginn immer noch nicht weiß, wer die Spitzenkandidatur übernehmen soll. Ich nehme jeden Kandidaten ernst und habe eine hohe Wertschätzung für Nancy Faeser. Wir haben in den vergangenen Jahren gut zusammengearbeitet. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob man in diesen Krisenzeiten mit voller Kraft gleichzeitig das Bundesinnenministerium und einen Wahlkampf in Wiesbaden führen kann.
Und: Kann man aus Ihrer Sicht?
Das Amt der Bundesinnenministerin ist jedenfalls kein Teilzeitjob.