Abbas’ Ausfälligkeit, Scholz’ Schweigen – ein Skandal, der Folgen haben muss
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Mahmoud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, beantworten nach ihrem Gespräch am Dienstag auf einer Pressekonferenz Fragen von Journalisten.
© Quelle: Wolfgang Kumm/dpa
Die Empörung ist groß, und sie ist gerechtfertigt. Zwar ist Palästinenserpräsident Mahmud Abbas als notorischer Fall bekannt, wenn es um antisemitische Ausfälle und die Relativierung des deutschen Massenmords an den Juden geht.
Dass aber Abbas sich nun ausgerechnet beim Besuch im Bundeskanzleramt zu dem perfiden Zahlenspiel verstiegen hat, Israel habe „50 Massaker, 50 Holocausts“ in palästinensischen Dörfern und Städten verübt, ist dennoch ein Skandal.
Geheuchelte Friedenswünsche des Fatah-Chefs
Besonders empörend ist die Selbstverständlichkeit, mit der Abbas diese Formulierung in seinem Sermon zwischen ritualisierter Israel-Kritik und geheuchelten Friedenswünschen heruntergespult hat. Da hatte sich nicht etwa ein cholerischer Despot in Rage geredet. Vielmehr gewährte der Parteichef der radikalen Fatah einen Einblick in seine Gedankenwelt, in der Holocaust-Relativierung eine gebräuchliche Rhetorik und die Einzigartigkeit dieses industriellen Völkermords nicht anerkannt ist.
Dass dagegen beherzter Widerspruch nötig ist: keine Frage. Dass der Bundeskanzler, der bei der Äußerung neben Abbas stand, diesen Widerspruch sofort hätte äußern sollen: unbestritten.
„50 Massaker, 50 Holocausts“: Die Abbas-Äußerung im Video
Bei seinem Besuch im Berliner Kanzleramt warf der Palästinenser-Präsident Israel einen Holocaust an den Palästinensern vor.
© Quelle: Reuters
Scholz selbst hat diese Einsicht samt seiner Verurteilung der Abbas-Ausfälligkeiten wenig später verbreiten lassen, leider nur schriftlich. Entschiedene Widerworte an Ort und Stelle hätten ihm und der Bundesrepublik besser zu Gesicht gestanden.
Trotzdem ist die Empörung, die nun teilweise gegen Scholz aufgefahren wird, billig. Aus der Ferne oder Stunden später hält man sich schnell für besonders schlagfertig oder staatsmännisch. Wer sich aber die volle Pressekonferenz ansieht, erkennt die verkorkste Situation kurz vor deren Ende, und hat Mühe, die Unverschämtheit in Abbas‘ Redeschwall ausfindig zu machen – wie es auch einigen TV-Journalisten im Livebetrieb erging.
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Sicher: Geht es darum, Journalisten vorzuführen, ist Scholz bei Pressekonferenzen besser auf Zack. Aber Beißhemmung gegen Abbas – oder gar Sympathien für dessen Antisemitismus – wird Scholz niemand vorwerfen. Nur Minuten zuvor hatte er etwa Abbas‘ Apartheidvorwurf gegen Israel scharf zurückgewiesen.
Freilich wird der Vorfall im Kanzleramt und im Politikbetrieb die Reflexe noch einmal schärfen, wenn einschlägig berüchtigte Gäste sprechen. In diesem Sinne war auch die Empörung über Scholz richtig. Und selbst an Abbas ging die Aufregung nicht vorüber: Inzwischen versuchte er bereits, seine Worte herunterzuspielen. Widerworte wirken also.
Billig bliebe die Empörung aber vor allem, wenn sie ohne Konsequenzen bleibt. Stattdessen müssen wir erneut über unseren Umgang mit Staatenlenkern debattieren, die alle Grenzen überschreiten, die für uns gelten. Wir müssen noch bewusster – wie es sich ja auch schon bei Russland und China gezeigt hat – den Rahmen für unsere diplomatischen Kontakte setzen.
Hilfe für Palästinenserorganisation prüfen
Im Fall von Abbas zeigt dessen Reaktion ja auch, dass er genau weiß, dass Palästina ohne finanzielle und diplomatische Hilfe aus Europa und Deutschland schnell verloren wäre. Umso kritischer sollten jetzt die Bedingungen dafür geprüft werden. Zwar ist die deutsche Vermittlerrolle im Nahost-Friedensprozess wichtig – und dafür guter Kontakt zu beiden Seiten nötig. Klar sollte aber sein, dass deutsches Geld nicht indirekt in die Terrorfinanzierung, etwa Anschlagsprämien oder Märtyrerrenten, fließen darf.
Dass Abbas auch für die Palästinenser der falsche Mann für den Friedensprozess ist, scheint zunehmend klarer. In Berlin hat er zum Frieden aufgerufen, während aus Gaza Raketen auf Israel fliegen und er selbst demonstrierte, wie wenig Respekt er dem jüdischen Staat entgegenbringt. Man darf die Hoffnung auf Frieden in Nahost nicht aufgeben, aber auf diesen Präsidenten kann man dabei wohl nicht mehr hoffen.