Regierungskrise in Italien: Bietet Draghi seinen Rücktritt an?
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Italiens Ministerpräsident Mario Draghi: Ob seine Regierung hält, entscheidet sich am Donnerstag.
© Quelle: imago images/Italy Photo Press
Rom. Selten ist in der langen Geschichte politischer Instabilität in Italien der Zeitpunkt, eine weitere Regierungskrise loszutreten, schlechter gewählt worden als in diesen Stunden: In Europa tobt ein brutaler Krieg, die Corona-Fallzahlen schießen wieder in die Höhe, es herrscht Energiemangel und Inflation, die Unternehmen leiden unter Lieferengpässen und die Landwirtschaft unter der schlimmsten Dürre seit Menschengedenken. Und doch droht die Regierung von Mario Draghi heute zu stürzen – ausgerechnet an einem Dekret, mit dem die Folgen dieser Mehrfach-Krise mit staatlichen Hilfen in der Höhe von insgesamt 23 Milliarden Euro abgemildert werden sollen.
„Die Regierung muss im Kampf gegen die wachsenden sozialen Probleme viel mehr unternehmen“, betonte der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung und Ex-Premier Giuseppe Conte am späten Mittwochabend und kündigte an, dass die von ihm geführte, zweitgrößte Regierungspartei an der Vertrauensabstimmung im Senat nicht teilnehmen werde. Genau für diesen Fall hat Draghi jedoch schon mehrfach in Aussicht gestellt, dass er als Ministerpräsident zurücktreten werde. „Mit ständigen Ultimaten der Regierungsparteien kann man nicht regieren“, erklärte der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, der im Februar 2021 von Staatspräsident Sergio Mattarella als Chef einer Regierung der nationalen Einheit eingesetzt wurde. „Ohne die Fünf Sterne wird es mit mir keine andere Regierung geben“, stellte Draghi klar.
Draghi drohte schon mit Rücktritt
Der 74-jährige Premier drohte mit Rücktritt, obwohl er die heutige Vertrauensabstimmung im Senat auch ohne die Stimmen der „Grillini“ überstehen würde: Die übrigen Regierungsparteien – der sozialdemokratische PD, die Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini, Silvio Berlusconis Forza Italia, einige Kleinparteien sowie die von Außenminister Luigi Di Maio angeführten ehemaligen Fünf-Sterne-Politiker, die sich vor kurzem von der Protestbewegung losgesagt hatten – verfügen im Senat über eine komfortable Mehrheit.
Doch ein Ausscheren von Contes Truppe bei einer Vertrauensabstimmung wäre in den Augen Draghis ein gefährlicher Präzedenzfall: In Zukunft könnten auch andere Regierungsparteien den Regierungsgeschäften nach Gutdünken zustimmen oder auch nicht – ein Szenario, auf das sich der Macher Draghi aus guten Gründen nicht einlassen will.
Tatsächlich hat sich auch Lega-Chef Matteo Salvini schon mehrfach öffentlich gegen Entscheide der eigenen Regierung gestellt: Er befindet sich im Hinblick auf die spätestens im Frühling 2023 stattfindenden Parlamentswahlen längst im Wahlkampfmodus und empfindet die Reformagenda Draghis zunehmend als Korsett. Und so hat Salvini nach Contes Ankündigung, der Abstimmung im Senat fernzubleiben, umgehend erklärt, dass die Lega Draghi in diesem Fall nicht länger unterstützen werde. Salvinis Konkurrentin im Rechtslager, Giorgia Meloni, forderte ebenfalls Neuwahlen: „Die Regierung ist blockiert von politischen Spielchen der Parteien. Basta, habt Erbarmen, es reicht“, erklärte die Chefin der postfaschistischen Fratelli d‘Italia, der einzigen Oppositionspartei.
Liegt das politische Schicksal bald wieder in den Händen eines 80-Jährigen?
Hintergrund der aktuellen politischen Krise ist der Niedergang der beiden populistischen Parteien in Draghis Koalitionsregierung: Sowohl die Fünf Sterne als auch die Lega hatten bei den Kommunalwahlen von Mitte Juni verheerende Niederlagen einstecken müssen. Vor allem die Protestbewegung hofft mit der Rückbesinnung auf ihre alten, radikalen Forderungen verlorene Wählerstimmen zurückzugewinnen. So fordert sie unter anderem den Verzicht auf den Bau einer in ihren Augen todbringenden Müllverbrennungsanlage in Rom. Der geplante Ofen ist ebenfalls in dem Anti-Krisen-Dekret enthalten und der wahre Grund dafür, warum die „Grillini“ der Vorlage nicht zustimmen wollen. So surreal und absurd es klingen mag: Wenn Draghi heute stolpert, dann über den Bau einer Müllverbrennungsanlage in einer Stadt, die seit Jahren im Abfall erstickt.
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In fiebrigen Gesprächen versuchten moderate Exponenten der Fünf-Sterne-Bewegung am Donnerstagmorgen, den Bruch noch in letzter Sekunde zu verhindern – bisher ohne Erfolg. Es ist daher davon auszugehen, dass Regierungschef Draghi am Nachmittag oder Abend bei Staatspräsident Sergio Mattarella vorstellig wird, um ihm seinen Rücktritt anzubieten.
Danach wird das politische Schicksal einmal mehr in den Händen des inzwischen 80-jährigen Staatsoberhaupts liegen: Mattarella kann versuchen, mit einem anderen Premier (oder auch mit Draghi) eine sogenannte „Bade-Regierung“ zu bilden, die das Land über die Sommerferien bringt, im Herbst den Staatshaushalt beschließt und dann die Wahlen im Frühjahr vorbereitet. Oder er bereitet der Tragikomödie ein Ende, löst sofort das Parlament auf und ruft Neuwahlen für den Herbst aus.
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