Joe Biden: amerikanischer Sheriff mit ruhiger Hand
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US-Präsident Joe Biden verkündet auf einem Balkon des Weißen Hauses die Tötung des Al-Kaida-Chefs Aiman al-Sawahiri.
© Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Man stelle sich vor, Donald Trump wäre noch – oder schon wieder – US-Präsident. Nicht auszudenken, was in der gegenwärtigen Krisenlage alles geschehen würde oder schon geschehen wäre.
Vier Jahre lang agierte der 45. Präsident der USA tagein, tagaus ohne jede Strategie. Stets entschied er situativ, ganz im Vertrauen auf seine – vor allem von ihm selbst gelobte – angeblich unschlagbare Witterung.
So kam es, dass Trump den russischen Präsidenten als „starken Führer“ lobte. Dass er mit dem Ende der Nato drohte. Und dass er in seinem letzten Amtsjahr einen amerikanischen Truppenabzug aus Deutschland anordnete. Putin konnte sein Glück kaum fassen. Den russischen Einmarsch in die Ukraine in diesem Jahr nannte Trump allen Ernstes „smart“.
Für Russland und China ein Beweis westlicher Verblödung
Der von Trump verfügte Truppenabzug aus Deutschland wurde gottlob nie Realität. Aber die Wirkung der Washingtoner Wirrnis auf Moskau und Peking war kolossal. Der damalige Mann im Weißen Haus erschien den russischen und chinesischen Eliten wie der endgültige Beweis westlicher Verblödung.
Bei Wladimir Putin und Xi Jinping wuchs in den Trump-Jahren das Gefühl der Überlegenheit ihrer Diktaturen über die Demokratien. Trump selbst beflügelte dies noch, indem er in einer Grundsatzrede im Juni 2020 alle Mächte dieser Welt gleichsam einlud zum freien Schießen: Die USA, sagte Trump ausdrücklich, wollten nicht mehr Weltpolizist sein.
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„Die USA wollen nicht mehr Weltpolizist sein“: Donald Trump bei einer außenpolitischen Grundsatzrede im Juni 2020 an der Militärakademie West Point, New York.
© Quelle: imago images/UPI Photo
Biden hat es wegen dieser Vorgeschichte heute schwerer als seine Amtsvorgänger. Seine Mission liegt zunächst in der Beseitigung eines Missverständnisses, in einer Wiedergewinnung von globalem Respekt.
Immerhin kommt Biden auf diesem Weg voran, Schritt für Schritt.
Die Drohnenattacke gegen den Al-Kaida-Mann Ayman al-Sawahiri zeigt: Der Sheriff ist durchaus noch in der Lage, einen Schuss abzugeben, und zwar einen verblüffend präzisen. Die USA beweisen damit, dass sie auch ohne Truppenpräsenz in Afghanistan gegen Terroristen vorgehen können: von weit entfernten Stützpunkten aus, mit technologisch ausgefeilten „Over the Horizon“-Aktionen.
Biden legte in seinen sehr detaillierten Vorbesprechungen mit Geheimdienstlern und Militärs Wert darauf, dass Zivilistinnen und Zivilisten geschont werden. Auch darin liegt eine Botschaft.
Kriegerisches Russland, aufbrausendes China
Eine Mischung aus Festigkeit und ruhiger Hand zeigt Biden auch im Umgang mit Russland. Die Ukrainer bekamen Waffen, eine Eskalation zwischen Russland und Nato aber konnte bislang vermieden werden. Und das westliche Bündnis zeigt sich, Pech für Putin, geeinter denn je.
Die nächste Bewährungsprobe für Biden bietet das unter Xi aufbrausende China. Biden bemüht sich, der chinesischen Führung in aller Ruhe zu erklären, dass sich – Nancy Pelosi hin oder her – in Wirklichkeit gar nichts geändert hat an der Taiwan-Politik der USA. Tatsächlich muss Peking erklären, warum im Jahr 1997 der Besuch des damaligen Sprechers des US-Repräsentantenhauses in Taiwan kein Problem war.
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Willkommensgrüße auf Chinesisch: Bildtafel in Taipeh am Tag des Besuchs der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi.
© Quelle: Chiang Ying-Ying/AP/dpa
In Taipeh trifft eine 82 Jahre alte, jahrzehntelang in Kalifornien wiedergewählte freie Abgeordnete auf andere freie Abgeordnete eines demokratischen Landes. Was genau soll daran skandalös oder gar unerträglich sein?
Die Wahrheit ist: Xi, der sich derzeit um eine dritte Amtszeit bemüht, hat sich hineingeschraubt in eine unheilvolle Aggressivität, die man zwar erklären kann, vor der man aber nicht zurückweichen sollte. China mag von einer inneren Angelegenheit sprechen, so oft es will, doch es muss wissen, dass ein Einmarsch in Taiwan einen Preis hätte.
Will China, das anders als Russland auf Nahrungsmittelimporte angewiesen ist, sich wirklich einlassen auf ein wirtschaftliches Kräftemessen? Seltene Erden kann man nicht essen.
Natürlich könnte China dem Westen ungeheuren Schaden zufügen. Doch das gilt auch umgekehrt – zumal die westlichen Regierungen gar nichts dagegen tun können, wenn Konzerne sich neu ausrichten. Will Peking zum Beispiel riskieren, dass Apple aus Angst vor Reputationsrisiken seine iPhones nicht mehr in China fertigen lässt?
Al-Kaida-Chef bei US-Drohneneinsatz getötet
Die USA haben mit einem Drohnenangriff den Chef des Extremistennetzwerks Al-Kaida, Aiman al-Sawahir, in Kabul getötet.
© Quelle: Reuters
Biden will keine Kollision mit China. Aber er weiß auch: Ein untertäniges Zurückweichen vor dem fauchenden Drachen würde die Welt nicht sicherer machen.