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Kateryna Rumyantseva organisiert Demos

Kämpferin für die Ukraine: Wer die Flagge hochhält

Kateryna Rumyantseva bei einer Kundgebung auf dem Hamburger Rathausplatz.

Kateryna Rumyantseva bei einer Kundgebung auf dem Hamburger Rathausplatz.

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Hamburg. „Es lebe die Ukraine!“ ruft Kateryna Rumyantseva ins Megafon, als plötzlich ein Mann am Straßenrand den Demonstrationszug in der Hamburger Innenstadt mit Parolen stört. „Schreit ihr nur“, höhnt er auf Russisch. Das lässt sich die zierliche blonde Frau, eingehüllt in die ukrainische Flagge, nicht zweimal sagen. Mit den Protestierenden im Rücken dreht sie sich zu ihm, schreit ihm auf ukrainisch „Ruhm der Ukraine“ ins Gesicht. Der Störenfried sucht das Weite.

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Szenen wie diese erlebt Rumyantseva, 29 Jahre alt und in der Ukraine geboren, häufiger. Wenn sich am 24. Februar 2023 der russische Angriff auf die Ukraine zum ersten Mal jährt, wird Rumyantseva bereits über 50 Ukraine-Demos in der Hansestadt organisiert haben, so genau weiß sie es nicht. Der Krieg hat sie zurück zu ihren Wurzeln geführt.

Rumyantseva ist russischsprachig aufgewachsen, lernt inzwischen Ukrainisch. Im Alter von sieben Jahren kam sie mit ihrer Mutter aus Charkiw nach Deutschland. Schon in der Schule wurde sie als Russin assoziiert. Irgendwann wurde es ihr zu viel, da habe sie dann gesagt: „Ja, ja, ich komme aus Russland“. Die Leute haben „einfach nicht verstanden, dass die Ukraine ein eigenständiges Land ist.“ Es gebe jede Menge Aufklärungsbedarf, sagt sie.

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Sie betreibt einen Onlineblog, in dem sie Bücher rezensiert. Seit Kriegsausbruch habe sie ihren Fokus auf ukrainische Autorinnen und Autoren geändert, um anderen Menschen ihre Kultur und Heimat näherzubringen. Nach zwei Jahrzehnten plant Rumyantseva erstmals, zurück in ihre Heimat zu reisen – dazu später mehr. In Deutschland gibt sie dem Protest gegen den Angriffskrieg eine Stimme.

Dankesmarsch für Leoparden-Panzer

Ein Wintertag Ende Januar, Möwen kreischen, das Thermometer zeigt knapp drei Grad an. Vor dem Ostausgang des Hamburger Hauptbahnhofs, Richtung Hotel „Europäischer Hof“, sammeln sich 30 Menschen, gehüllt in blau-gelbe Flaggen. Kateryna Rumyantseva trägt blau-gelbe Socken in Fellstiefeln, Fellmantel mit dicker Mütze, Ukraine-Flagge auf dem Rücken und das Megafon in der Hand. Sie umarmt ihre Mitstreiterinnen, posiert für Selfies. Man kennt sie hier.

Routiniert tritt sie auf die Einsatzleitung der Polizei zu, bespricht letzte Details der Laufroute. Als es losgeht, setzt sie sich an die Spitze, ruft ins Megafon: „Vielen Dank, Deutschland! Danke für die Leoparden!“ Gemeint sind die deutschen Panzerlieferungen ins Kriegsgebiet, die nach langem politischem Hin und Her von der Bundesregierung Ende Januar versprochen wurden. Mit dem Marsch will die ukrainische Community in der Stadt ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen.

Kateryna Rumyantseva gibt die Informationen der begleitenden Polizei per Megafon an die Demonstrierenden weiter.

Kateryna Rumyantseva gibt die Informationen der begleitenden Polizei per Megafon an die Demonstrierenden weiter.

„Sonst kennt man uns eher von Demonstrationen, bei denen wir in blutigen T-Shirts auf der Straße stehen und etwas fordern“, sagt Rumyantseva. Sie hoffe, dass Menschen, die sie regelmäßig bei den Demos hören, sie nun nicht mehr als laut und nervig wahrnehmen. „Danke, danke, danke!“ rufend zieht der Tross weiter Richtung Hamburger Rathaus.

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Trotz Widerstand...

Dann tritt der russischsprachige Mann vom Anfang auf den Plan. Ein weiterer Passant ruft von der Seite „Putin“, die 30 Demonstrierenden antworten ihm lautstark mit nicht zitierbaren Worten. Auch eine Gruppe Jugendlicher ruft russlandfreundliche Sprüche in Richtung Demonstranten.

Auf Kundgebungen fühle sie sich allgemein sicher, weil die Polizei da sei, sagt Rumyantseva. Aber es passiere schon manchmal, dass jemand etwas Provokantes schreie. Schwieriger seien die Märsche, weil man durch die Bewegung ein bisschen ungeschützter sei. Meist ignoriere sie die Rufe einfach. Diesmal ist sie mit ihrem Megafon am lauteren Hebel.

...im Einsatz für die Sache

Die Aktivistin ist getrieben davon, die Sache der Ukraine hochzuhalten – „schließlich sind das ja meine Wurzeln.“ Es mache ihr Spaß, ihre Ursprünge wiederzuentdecken. Sie sei mit auch deshalb wieder in das Thema eingestiegen, weil sie die Beschäftigung mit ihrer Kultur aus dem Elternhaus nicht kannte. „Und nur weil meine Eltern mir das nicht beigebracht haben, heißt es ja nicht, dass ich es nicht haben darf.“

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Für ihr Engagement bringt die studierte Wirtschaftsjuristin, die in Vollzeit bei einem Hamburger Unternehmen im Prozessmanagement arbeitet, viel Zeit auf. Sie diskutiert mit lokalen Politikerinnen und Politikern, geht für Vorträge in Schulen, wird auf Veranstaltungen eingeladen. „Weil es mir sehr am Herzen liegt, und weil es ein sehr persönliches Thema ist. Das ist klar. Ich möchte auch nicht nur via Instagram auf irgendwelche Posts aufmerksam machen, die dann sowieso in meiner Bubble hängenbleiben. Das wäre, als würde ich Pingpong mit meinen Infos und den Infos von anderen Aktivistinnen und Aktivisten spielen.“

Reise in die Kriegsheimat

In ihre eigene Heimat hat die Ukrainerin allerdings seit Jahrzehnten keinen Fuß gesetzt. Unmittelbar bevor sich die russische Invasion jährt, wollte Rumyantseva dies ändern – mit dem Zug über Kiew nach Charkiw, um dort ihren Vater und ihre Familie wiederzusehen. Kurz vor Reiseantritt jedoch der Schock: Eine erneute Großoffensive von russischer Seite und massiver Raketenbeschuss in ihrer Heimatstadt machen es für die 29-Jährige unmöglich, nach Charkiw zu reisen.

Für Rumyantseva ist dies allerdings kein Grund, die Reise zu ihren Wurzeln aufzugeben. Ein neuer Versuch ist für März geplant, konkrete Termine gibt es allerdings noch nicht. Die Reise sei für sie überfällig. Denn: Sie macht sich große Sorgen, dass ihre Großmutter sterben könnte, bevor sie zurückkehre. Dass sie in Zeiten des Kriegs nach Charkiw will, bereitet ihrem Umfeld Sorge. „Alle, denen ich davon erzählt habe, schütteln mit dem Kopf. Aber jetzt ist der richtige Zeitpunkt für mich gekommen.“

Den 24. Februar 2023 wird sie in Hamburg verbringen. Sie habe Angst vor diesem Datum, sagt sie, vor jenem Tag, als vor einem Jahr der erweiterte russische Angriffskrieg anfing. „All die Emotionen und vor allem dieses Paralysiertsein kommen schon jetzt wieder.“ Wieder plant sie eine Demonstration, diesmal wird es eine Gedenkveranstaltung sein. Es seien so schreckliche Kriegsverbrechen geschehen und geschehen immer noch.

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Die Tücken des Aktivismus

Ob ihr das alles nicht manchmal zu viel werde? „Burnout steht vor mir und klopft an“, lacht Rumyantseva nervös. Der Aktivismus scheine oft wie ein bodenloses Glas, man habe nur sich selbst, um die Reißleine zu ziehen. Doch die Arbeit lohne sich, immer dann, wenn sie Menschen eine andere Sichtweise aufzeigen kann. „Man hat uns Ukrainerinnen und Ukrainern zu lange nicht zugehört. Ich möchte, dass man uns jetzt zuhört.“ Es freue sie, wenn sie im Publikum einer Veranstaltung oder am Straßenrand ein nickendes, zustimmendes Gesicht sehe.

Gern will Rumyantseva irgendwann hauptberuflich in die Politik gehen, wenn auch in keine Partei. Sicher ist: Sie wird weiterhin die Flagge der Ukraine hochhalten. Ob auf Demos oder anderswo.

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