Klingbeil in Warschau: die neue Ostpolitik der SPD – und ein erneutes Schuldeingeständnis
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Lars Klingbeil in Warschau.
© Quelle: Fionn Große
Warschau. Die Erinnerung an das Gute schafft in Krisen oft die beste Zuversicht. SPD-Chef Lars Klingbeil legt am Mittwoch in Warschau vor einem internationalen Treffen mit Sozialdemokraten als Erstes Nelken in den polnischen Nationalfarben Rot und Weiß am bronzenen Willy-Brandt-Bildnis nieder. Einige Meter weiter hat Brandt 1970 mit einem Kniefall Geschichte geschrieben. Vor dem Mahnmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 bat er damit wortlos um Vergebung für die Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg. „Ich tat, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt“, erklärte Brandt später.
Aber seine mit einem Friedensnobelpreis gekrönte Ostpolitik, die auf Entspannung und Versöhnung auch mit Moskau setzte und viele Sozialdemokraten prägte, soll nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine neu geschrieben werden. Dafür muss Klingbeil, der erst seit Dezember 2021 zusammen mit Saskia Esken die SPD führt, die richtigen Worte finden. Die um eine gemeinsame Linie ringende SPD, die immer lieber Sozialpolitik als Militärpolitik gemacht hat, dabei zu einen und auch noch zu stärken, ist das, was man eine Herkulesaufgabe nennt.
Klingbeil ist bescheiden genug, dass er als 17. Nachfolger (kommissarische Vorsitzende nicht mitgezählt) von Brandt, der die Partei 23 Jahre führte, dessen Erbe ehren, sich aber nicht auf eine Stufe mit ihm stellen will. Doch der 45-Jährige trägt eben Verantwortung dafür, dass auch die Ostpolitik der SPD in dieser Zeitenwende gewendet wird. Für ihn bedeutet das: „Schutz vor Russland“.
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Klingbeil räumt auch in Warschau wieder Fehler ein
Er räumt auch in Warschau wieder Fehler Deutschlands im Umgang mit Russland ein – zu starke energiepolitische Abhängigkeit, zu große Nähe trotz der Annexion der Krim, Taubheit gegenüber den Ängsten in Ost- und Mitteleuropa. „Es war wichtig, dieses Schuldeingeständnis zu machen“, sagt Klingbeil. Und misst Deutschland zugleich eine neue Führungsrolle zu.
Das unterstützen auch Politiker in jenen kleineren europäischen Länder, deren Warnungen vor Moskau überhört wurden. Die litauische Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des nationalen Sicherheits- und Verteidigungskomitees, Dovilė Šakalienė, ist wie der slowakische frühere Ministerpräsident Peter Pellegrini der Auffassung, dass Deutschland vorangehen müsse. Kein Land in Europa sei so groß und wirtschaftlich gefestigt wie Deutschland, mahnen beide in Warschau.
Führende Sozialdemokraten aus Ost-, Mittel- und Nordeuropa sind zu einer „Zeitenwende-Konferenz“ der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung nach Warschau gekommen. Klingbeil legt dort ein Fünf-Punkte-Papier zu einer neuen Ostpolitik vor. In Stichworten: Europa müsse außenpolitisch gewichtiger werden und für seine Sicherheit – eben auch in Osteuropa – selbst sorgen, Europa müsse von Russland energiepolitisch unabhängig werden, die Demokratie stärken und darf keine Beziehungen zu einem Russland mit der völkerrechtswidrigen Politik des Putin-Regimes aufnehmen.
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Wie Pellegrini in der Slowakei hofft der Vizevorsitzende der polnischen neuen Linken, Nowa Lewica, Anrzej Szenja, dass es bei ihren Parlamentswahlen im Herbst zu einem Regierungswechsel unter Beteilung der Sozialdemokraten kommt. Zur Innenpolitik der jetzigen polnischen Regierung der rechtsnationalen PiS-Partei gehört es, Stimmung gegen Deutschland zu machen. Unzuverlässig, russlandfreundlich, gar gefährlich sei das Land für Polen.
Klingbeil: Russlands Krieg auch Zäsur für die deutsche Ostpolitik
Die SPD will dagegenhalten. Auch deshalb findet diese Zeitenwende-Konferenz in Warschau statt. Klingbeil sagt: „Es gilt darum, Vertrauen wiederaufzubauen.“
Kurz vor seinem Tod hat Willy Brandt seinen Nachfolgern noch einen Rat hinterlassen. „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“ Die SPD im Jahr 2023 muss ihre eigenen Antworten finden.