Kutschaty: „Jeder Euro, den wir Putin für Energie überweisen, tut weh“
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Thomas Kutschaty (SPD) ist Oppositionsführer im nordrhein-westfälischen Landtag und Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahlen am 15. Mai dieses Jahres.
© Quelle: Rolf Vennenbernd/dpa
Berlin. Herr Kutschaty, die Impfpflicht ist gescheitert, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnt vor einer möglichen „Killervariante“ des Coronavirus im Herbst. Wie wollen Sie – falls Sie dann in Nordrhein-Westfalen Ministerpräsident sein sollten – die Bürger dann vor Corona schützen?
Wenn die Inzidenzen im Herbst steigen, brauchen die Länder die Möglichkeit, Maskenpflichten vorzuschreiben. Ich gebe zu, dass ich mir da beim Bundesinfektionsschutzgesetz noch etwas mehr vorstellen kann. Da wünsche ich mir bei der FDP Bewegung. Denn Masken und Impfen bilden den Basisschutz. Dass wir keine Impfpflicht bekommen haben, ist bedauerlich. Denn die Einführung wäre ein Meilenstein in der Pandemiebekämpfung gewesen. Das hat die Union aus rein parteitaktischen Gründen im Bundestag verhindert.
Machen Sie es sich da nicht zu einfach? Die Ampelkoalition hätte ja geschlossen für die Impfpflicht stimmen können.
Es ist richtig, eine solche medizinethische Entscheidung den Abgeordneten als Gewissensentscheidung freizustellen. Die Union hat bei diesem Verfahren nicht mitgemacht und die Impfpflicht damit blockiert. Und das, obwohl alle Ministerpräsidenten sich für eine Impfpflicht ausgesprochen haben. Ich frage mich schon, was Hendrik Wüst als CDU-Landesvorsitzender eigentlich mit seinen CDU-Bundestagsabgeordneten aus NRW besprochen hat und welchen Stellenwert seine Haltung in der eigenen Partei hat.
Sollte es einen neuen Anlauf für die Impfpflicht geben?
Ich hoffe sehr, dass die Unionsführung sich noch mal einen Ruck gibt – und es ihren Abgeordneten ermöglicht, über die Impfpflicht frei nach dem Gewissen zu entscheiden. Vielleicht gibt es ja nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen eine neue Chance.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien, rechnet deutschlandweit mit bis zu 400.000 geflüchteten Kindern aus der Ukraine. Brauchen die Länder mehr Hilfe vom Bund?
Der Bund hat eingewilligt, dass die Geflüchteten aus der Ukraine über das Sozialgesetzbuch II versorgt werden. Das hilft den Ländern. Zusätzlich gibt der Bund in diesem Jahr noch 2 Milliarden Euro. Ich erwarte, dass die Länder das Geld auch an die Kommunen weitergeben. Wir brauchen aber vor allem ein gutes Konzept, wie wir den geflüchteten Kindern in den Schulen helfen.
Dann legen Sie mal los.
Ich bin beeindruckt, dass einige Schülerinnen und Schüler noch immer Onlineunterricht aus der Ukraine bekommen. Bei denen, die kurz vor einem Abschluss stehen, sollten wir das unbedingt unterstützen. Generell gilt: Es ist wichtig, dass die Kinder Deutsch lernen. Dafür brauchen wir die Willkommensklassen – auch, um die Kinder dort psychisch aufzufangen. Aber wir sollten auch versuchen, die Kinder zumindest für einen Teil des Unterrichts schon früh in die Klassen zu integrieren.
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© Quelle: dpa
Gibt es dafür genug Personal in den Schulen?
Es muss jetzt darum gehen, Lehrkräfte stärker durch Sozialarbeiter zu unterstützen. Entscheidend ist auch, dass wir geflüchtete Lehrerinnen und Erzieherinnen aus der Ukraine möglichst schnell in die Schulen und Kitas holen. Wir sind auf ihre Hilfe bei der Integration angewiesen und sie können das vorhandene Personal sinnvoll unterstützen – und entlasten.
Was ist dafür notwendig?
Wir brauchen unbürokratische Lösungen, damit Lehr- und Erziehungskräfte, aber auch Psychologinnen aus der Ukraine an deutschen Schulen arbeiten können. Wir können nicht ein Dreivierteljahr warten, bis der Berufsabschluss aus der Ukraine hier anerkannt worden ist. Es wäre eine Schande, wenn wir diese Qualifikationen nicht einbinden und die Ankommenden nicht in den Jobs arbeiten könnten, für die Sie qualifiziert sind.
Die ökonomischen Folgen des russischen Krieges in der Ukraine sind für das Industrieland Nordrhein-Westfalen von großer Bedeutung. Was würde ein Embargo für russisches Gas für NRW bedeuten?
Bei einem Embargo für russisches Gas stünden allein in Nordrhein-Westfalen die Arbeitsplätze in ganzen Regionen auf dem Spiel. Jeder Euro, den wir Putin für Energie überweisen, tut weh. Dass wir jetzt die Einfuhren drastisch herunterfahren, ist richtig. Dennoch ist eindeutig: Wer meint, man könne von einem auf den anderen Tag komplett aussteigen, hat die ökonomischen Konsequenzen nicht im Blick. Wir bringen einen geordneten Ausstieg aus russischen Energielieferungen auf den Weg. Das beginnt jetzt mit Kohle und Öl. Der Bundeswirtschaftsminister geht davon aus, dass es bis 2024 auch beim Gas gelingen kann. Auch ich halte das für realistisch.
Die Bundesregierung hat angekündigt, sie wolle den Ukrainern zusätzliches Geld für Waffenkäufe zukommen lassen. Wären Sie dafür, dass Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefert – und zwar schnell?
Bei der Diskussion über Waffenlieferungen muss es am Ende immer darum gehen, dass das, was man anstrebt, auch tatsächlich funktioniert. Deshalb ist es gut, dass sich die Bundesregierung eng mit unseren europäischen Partnern abstimmt. Es ist pragmatisch, wenn wir der Ukraine Geld geben, damit sie selbst Waffen kaufen kann. Es geht darum, dass die Ukraine schnell erhält, was sie braucht. Genau das hat die Bundesregierung jetzt angekündigt.
Kommt die Hilfe schnell genug an?
Das Geld aus Deutschland kann direkt fließen. Unser Land hat in der Pandemie bewiesen, dass wir innerhalb kürzester Zeit große Summen in Bewegung bringen können.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ist wegen ihrer Rolle bei der Gaspipeline Nord Stream 2 in die Kritik geraten. Der CDU-Politiker Norbert Röttgen legt ihr den Rücktritt nahe. Können Sie vollen Herzens verteidigen, was Schwesig in den vergangenen Jahren getan hat?
Manuela Schwesig engagiert sich wie keine andere für ihr Land und für die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern – gerade auch mit Blick auf Arbeitsplätze. Sie hat erklärt, dass die Unterstützung von Nord Stream 2 aus heutiger Sicht ein Fehler war. Nach dem Angriff von Russland auf die Ukraine muss die Energiepolitik in Deutschland völlig neu ausgerichtet werden.
Sollte die SPD Ihre Russland-Politik der vergangenen Jahre systematisch aufarbeiten und einen Bericht vorlegen, welche Fehler genau gemacht wurden?
Wir alle – ob in der SPD oder in der Union – haben uns zu sehr auf einen Grundsatz verlassen: Wer miteinander Handel treibt, führt keine Kriege. Ich wünsche mir, führende Unionspolitiker würden den eigenen Irrtum so klar bekennen wie Frank-Walter Steinmeier. Von Angela Merkel habe ich dazu noch nichts gehört. Aber klar: Alle Demokraten müssen die richtigen Schlüsse daraus ziehen, dass aus dem vorigen Wirtschaftspartner Putin ein Kriegsverbrecher geworden ist.
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Politiker der Grünen fordern eine Aufarbeitung der Rolle von Manuela Schwesig im Zusammenhang mit der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2.
© Quelle: dpa
Beantworten Sie folgende Frage bitte, ohne die Standardfloskel „Ich kämpfe für eine starke SPD“ zu verwenden: In welcher Konstellation wollen Sie in Nordrhein-Westfalen regieren?
Wir wollen die stärkste Fraktion im nächsten Landtag werden und den Ministerpräsidenten stellen. Wir wissen aber noch nicht, ob Nordrhein-Westfalen am Ende von einem Zweierbündnis regiert werden kann oder ob es dazu drei Parteien braucht. Ein Zweierbündnis ist natürlich im Regierungsalltag leichter.
Sie hoffen also auf Rot-Grün?
Es gibt Umfragen, die gute Chancen für Rot-Grün sehen. Wir haben aber auch mit der FDP viele Gemeinsamkeiten, etwa in der Rechts- und Innenpolitik. Dass ich kein Fan großer Koalitionen bin, ist ja allgemein bekannt.