Interview mit dem lettischen Verteidigungs­staatssekretär

Lettlands Perspektive: „Deutschland sollte mehr Verantwortung in Europa übernehmen“

Militärparade anlässlich des Tages der Unabhängigkeit Lettlands am 18. November in Riga.

Militärparade anlässlich des Tages der Unabhängigkeit Lettlands am 18. November in Riga.

Berlin. Bei der Berliner Sicherheits­konferenz trafen sich in dieser Woche zahlreiche ranghohe Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Rüstungs­industrie und Streitkräften der Nato. Die Organisatoren bezeichneten das Treffen als erste große Konferenz dieser Art seit dem Beginn des russischen Angriffs­krieges gegen die Ukraine im Februar. Das Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) traf am Rande den Staats­sekretär im lettischen Verteidigungs­ministerium, Janis Garisons, und sprach mit ihm.

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Herr Garisons, wie ist ernst ist die Sicherheitslage in Ihrem Land?

Seit Beginn der russischen Aggression in der Ukraine befinden wird uns in einer Situation permanenter Anspannung und Gefahr. Wir müssen auf die russische Heraus­forderung die richtigen Antworten finden, und das tun wir. Unsere neue Regierungs­koalition will das Budget für Militär­ausgaben von jetzt 2,3 Prozent des Brutto­inlands­produkts stufenweise auf 3 Prozent bis 2027 anheben und somit die Grundlage für eine bessere Verteidigung schaffen.

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

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Lettland gehört mit knapp zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern eher zu den kleineren Nato-Ländern. Wie viel Kräfte haben Sie derzeit unter Waffen?

Wir haben eine Berufs­armee mit 7000 Soldaten und wir haben 10.000 Kräfte in der Nationalgarde, die sich aus Freiwilligen rekrutiert, die in bürgerlichen Berufen arbeiten, aber nebenbei ständig trainieren und schnell einsatzbereit sind. Hinzu kommen noch einmal 6000 Reservisten und 3000 Nato-Soldaten, unter anderem aus den USA, Kanada und Dänemark.

Janis Garisons ist seit 2014 Staats­sekretär im lettischen Verteidigungs­ministerium.

Janis Garisons ist seit 2014 Staats­sekretär im lettischen Verteidigungs­ministerium.

Stimmt es, dass Lettland die Wieder­einführung der 2006 abgeschafften Wehrpflicht plant?

Ja, das ist korrekt und auch eine Reaktion auf Russlands Aggression. Ich denke, das entsprechende Gesetz dazu wird jetzt sehr schnell durch das Parlament gehen, und schon im Sommer 2023 werden wir die ersten Wehrpflichtigen einberufen können. Das werden nicht so viele sein, vielleicht 500 Rekruten und wahrscheinlich alles Freiwillige. Wir werden die Zahlen langsam steigern. Dazu muss viel organisiert werden. Es ist nicht einfach, eine Sache, die man einmal abgeschafft hat, zu reaktivieren.

Training für den Krisenfall

Sie haben schon 2018 in Ihrem Land ein Nationales Verteidigungs­system etabliert. Was verbirgt sich dahinter?

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Wir haben damit ein System der umfassenden Bereitschaft der Gesellschaft zur Landes­verteidigung geschaffen, in dem staatliche Institutionen, private Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger Partnerschaften eingehen, um sich selbst, ihre Familien und Lettland im Falle einer Krise oder eines Krieges zu schützen. Es geht vor allem um die ersten 72 Stunden nach Ausbruch einer Krisen­situation. Denn in dieser Zeit bricht erfahrungs­gemäß meist Chaos aus. Mit unserem Verteidigungs­system trainieren wir die Menschen darauf, sich in dieser Situation auf wichtige Dinge zu konzentrieren, zum Beispiel die Versorgung mit Wasser, Lebens­mitteln und Energie. Wichtig ist, dass jeder an seinem Platz weiß, was er zu tun hat und dass keine Panik ausbricht.

Ihr Land hat eine 280 Kilometer lange Grenze zu Russland. Steht sie unter besonderer Beobachtung?

Wir haben die Grenz­anlagen zu Russland schon vor Jahren modernisiert und haben diese jetzt natürlich besonders im Blick. Aber derzeit konzentrieren wir uns auf die Befestigung der Grenze zu Belarus. Wir haben nach wie vor Probleme mit illegaler Migration von Belarus aus. Das Regime von Alexander Lukaschenko bringt Menschen aus arabischen Ländern an unsere Grenze, damit sie diese illegal übertreten. Wir zählen etwa 20 Personen pro Tag. Wir bauen jetzt dort einen drei Meter hohen Zaun mit neuer Überwachungs­technik.

In Militär­kreisen ist immer wieder zu hören, dass Russland auch von Belarus aus die Ukraine in Norden angreifen könnte. Was halten Sie davon?

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Wir beobachten derzeit keine besondere Konzentration russischer Truppen in Belarus. Russland hat etwa 10.000 Soldaten dort stationiert, aber sie sind aktuell nicht in die kämpfende Truppe integriert, absolvieren lediglich Übungen. Aber das kann sich ändern. Russland hätte natürlich ein Interesse daran, die ukrainische Abwehr im Osten und Süden durch Angriffe im Norden abzulenken. Aber wir sehen die Fähigkeit der Russen dazu im Moment nicht. Darüber hinaus versucht der Kreml, Lukaschenko zu bewegen, dass er sich mit eigenen Truppen am Krieg in der Ukraine beteiligt. Er ist total abhängig und schon lange kein selbständiger Player mehr.

Schweden und Finnland wollen in die Nato. Was bedeutet das für Lettland?

Wir begrüßen das. Beide Länder haben schon lange eng und partnerschaftlich mit der Nato zusammen­gearbeitet. Das ist ein wichtiger Schritt zur Erhöhung der Sicherheit in unserer Nachbarschaft und im gesamten Ostseeraum.

Mehr Verantwortung Deutschlands erwünscht

Leistet Deutschland aus Ihrer Sicht genug militärische Unterstützung in der Ukraine?

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Wir sind sehr froh, dass sich Deutschland mit Truppen im Baltikum engagiert, zum Beispiel in Litauen. Natürlich gibt es die theoretische Diskussion um Waffen­lieferungen, aber man muss dabei auch immer die praktische Seite im Auge haben. Wir müssen schauen, was können unsere Rüstungs­industrien leisten, wie hoch sind die Produktions­kapazitäten und was kann man realistischerweise liefern. Ich möchte da Deutschland nicht vorschnell kritisieren.

Wird Deutschland seiner Rolle in Europa gerecht?

Wenn wir in die Zukunft schauen, dann denken wir, dass Deutschland mehr Verantwortung innerhalb Europas übernehmen sollte. Jemand muss führen in Europa und die Verteidigungs­fähigkeit der einzelnen Länder bündeln.

Warum gerade Deutschland, es könnte zum Beispiel auch Frankreich sein.

Deutschland ist eine große wirtschaftliche, militärische und politische Macht und es liegt im Zentrum Europas. Es hat eine direkte Verbindung zu Ost- und West­europa, bildet sozusagen eine Brücke. Aus unserer Sicht ist Deutschland die erste Wahl, was sicher auch mit unseren Verbindungen aus der Geschichte heraus zusammenhängt.

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