Mehr Geld für Lieferfahrer

Streiks angekündigt: Lieferando-Fahrer fordern 15 Euro Stundenlohn

Leo Müller, Fahrer für den Lieferdienst Lieferando in Berlin: „Wenn es kalt ist und regnet, denke ich mir: Das ist der schlimmste Job aller Zeiten.“

Leo Müller, Fahrer für den Lieferdienst Lieferando in Berlin: „Wenn es kalt ist und regnet, denke ich mir: Das ist der schlimmste Job aller Zeiten.“

Berlin. „Das Unternehmen ignoriert uns wirklich auf ganzer Linie. Deshalb werden wir streiken müssen“, sagt Leo Müller. Er sitzt in Berlin-Mitte in der orange Jacke seines Arbeitgebers Lieferando auf einer Parkbank und raucht eine selbst gedrehte Zigarette. Dann erscheint eine Nachricht auf seinem Handy. Ein neuer Auftrag. Er schwingt sich auf sein Rad, um eine Portion russische Teigtaschen in einem kleinen Restaurant abzuholen.

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Leo Müller ist studierter Mediendesigner. Anfang 2020 zieht er nach Berlin und sucht einen Job. Mit Beginn der Corona-Pandemie kriselt es auch in seiner Branche. Dafür boomen plötzlich die Lieferdienste. Er fängt an, für Lieferando Essen auszufahren. „Ich hatte keine Lust, den ganzen Tag im Homeoffice zu sitzen. Draußen unterwegs zu sein macht mir Spaß.“ Aber vielen Fahrerinnen und Fahrern des niederländischen Konzerns ist mittlerweile nicht mehr zum Spaßen zumute. Sie machen Ernst, fordern mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen für einen Job, der schlecht bezahlt, kräftezehrend und gefährlich ist.

Lieferando-Fahrer bekommen den Mindestlohn als Grundgehalt

Am Anfang raste Leo Müller noch auf seinem Rennrad und mit Rucksack durch die Hauptstadt, um jeden Bonus mitzunehmen. Heute hat er ein Damenrad mit Gepäckträger und lässt es ruhiger angehen. „Seit ich 14 bin, arbeite ich im Niedriglohnbereich. Ich habe keine Lust mehr, mich für das Gehalt in Gefahr zu bringen.“ Sein Stundenlohn: 12 Euro. Mit dem Geld kommt er gerade so über die Runden. „Ich hab keine Kinder und wohne in einem günstigen Plattenbau. Deshalb geht es finanziell“, sagt Leo Müller.

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Fahrer Leo Müller liefert eine Bestellung in Berlin-Mitte aus.

Fahrer Leo Müller liefert eine Bestellung in Berlin-Mitte aus.

Leo Müller weiß, dass er in seiner leuchtend orangefarbenen Jacke eine fahrende Werbung ist. „Das ist wichtig für die Wahrnehmung der Marke.“ Die allermeisten Bestellungen über Lieferando werden aber von den Restaurants selbst ausgeliefert. Die nutzen nur die Plattform, um die Aufträge entgegenzunehmen und die Zahlung abzuwickeln. Dafür nimmt Lieferando 13 Prozent des Bestellwertes.

Zudem sind Restaurants verpflichtet, dieselben Preise zu verlangen, egal ob über die Plattform oder direkt im Restaurant bestellt wird. Wenn ein Lieferando-Fahrer oder eine Lieferando-Fahrerin die Bestellung ausliefert, gehen 30 Prozent des Bestellwertes an den Internetkonzern.

Betriebsräte kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen beim Lieferdienst

Bei schönem Wetter fällt Leo das Fahren leicht. „Wenn es kalt ist und regnet, denke ich mir: Das ist der schlimmste Job aller Zeiten.“ Nach einem Jahr war er frustriert, wollte hinschmeißen. Dann lernte er über soziale Medien andere Fahrerinnen und Fahrer kennen und vernetzte sich. Heute ist er in einem der Betriebsräte, die sich überall in deutschen Städten gegründet haben, und kämpft für bessere Arbeitsbedingungen.

Mark Baumeister von der NGG spricht auf der Demonstration von Lieferando-Fahrerinnen und ‑Fahrern in Berlin.

Mark Baumeister von der NGG spricht auf der Demonstration von Lieferando-Fahrerinnen und ‑Fahrern in Berlin.

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Die Kernforderungen ruft Mark Baumeister von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in ein Megafon in Berlin-Kreuzberg. „Wir wollen 15 Euro pro Stunde.“ Vor der Deutschland-Zentrale von Lieferando haben sich rund 200 Fahrerinnen und Fahrer aus Düsseldorf, Dresden, Köln und Leipzig versammelt und trommeln und pfeifen in Richtung Chefetage.

15 Euro sollen das Einstiegsgehalt sein. Danach fordert die Gewerkschaft einen Tarifvertrag mit einer Gehaltssteigerung bis auf 17 Euro nach zwei Jahren. Einen Euro Kältebonus von Oktober bis März und einen Euro Hitzebonus von Mai bis September. Zu den Stoßzeiten und am Wochenende soll noch mal ein Euro dazukommen. Erfahrene Fahrerinnen und Fahrer könnten so bis zu 19 Euro pro Stunde bekommen.

Fahrer wollen mehr Mitbestimmung bei den gesammelten Daten

Geld ist aber nicht alles, erklärt Mark Baumeister. Man wolle auch bei der Software mitbestimmen. „Der Konzern sammelt die Daten der Fahrer von den Diensthandys. Wir wissen nicht, was damit passiert. Wir vermuten, dass sie weiterverkauft werden.“ Bislang kommt von der Konzernleitung wenig. Auch eine Anfrage des RND blieb unbeantwortet.

„Falls Lieferando sich nicht bald bewegt, wird gestreikt“, erklärt auch Gewerkschafter Baumeister. Wo, das wolle er noch nicht sagen. Der Organisationsgrad sei von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Berlin ist eher schwach – Frankfurt und Köln sind deutlich stärker. Die Gewerkschaftsarbeit in einem Unternehmen wie Lieferando sei schwieriger als in einer Bäckereikette, sagt Baumeister.

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Die Fahrerinnen und Fahrer bleiben NGG im Durchschnitt nur 18 Monate im Job und seien ständig unterwegs. „Es gibt kein Fabrikgebäude, wo man hingehen kann. In Saarbrücken bin ich den Fahrern mit dem Fahrrad nachgefahren und habe geschaut, wo die sich nach der Arbeit treffen. Das war in einem Park, da habe ich dann die ersten Mitglieder geworben“, sagt Mark Baumeister.

Hinzu kommt, dass nicht alle Lieferdienste von einer Gewerkschaft vertreten werden. Für die Online­supermärkte wie das türkische Unternehmen Getir oder Flaschenpost, die Lebensmittel und Getränke nach Hause liefern, ist Verdi zuständig. Die Fahrerinnen, Fahrer und Lagerarbeiterinnen und ‑arbeiter vom deutschen Liefer-Start-up Gorillas haben nicht auf die Gewerkschaft gewartet. Im Sommer 2021 traten sie in wilde Streiks. Mitten in der Pandemie legten sie in Berlin ihre Arbeit nieder und blockierten die Lager. Das Unternehmen entließ daraufhin Angestellte fristlos, die sich am Streik beteiligt hatten. Ende 2022 wurde das Unternehmen vom türkischen Konkurrenten Getir geschluckt.

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