Missbrauchsfall stößt erneut Debatte um Vorratsdatenspeicherung an
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Netzwerkkabel in einem Serverraum. Wer hinter den IP-Adressen steckt, von denen Täter oder Täterinnen Bilder und Videos hochgeladen haben, die Kindesmissbrauch zeigen, lässt sich für Ermittler und Ermittlerinnen oft nicht mehr nachverfolgen. Deshalb wird zurzeit erneut über eine Vorratsdatenspeicherung diskutiert (Symbolbild).
© Quelle: Matthias Balk/dpa
Berlin. Nach dem Bekanntwerden des weitreichenden Missbrauchsfalls von Wermelskirchen hat eine erneute Debatte um den Kampf gegen Kindesmissbrauch und die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen im Internet eingesetzt. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach sich für eine Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen aus. Auch der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, hatte am Montag bei der Vorstellung eines Lagebildes zu Kindesmissbrauch seine Forderung nach einer solchen Datenspeicherung bekräftigt. Jährlich führten Tausende Ermittlungsverfahren des BKA ins Leere, weil bei den Internetanbietern keine Daten mehr zu den IP-Adressen von Tatverdächtigen gespeichert seien.
Die Bundesregierung müsse „zum Schutz unserer Kinder“ endlich ihre Blockadehaltung bei der gesetzlichen Mindestspeicherfrist von Verbindungsdaten aufgeben, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Das, was nach den Vorgaben des EuGH rechtlich zulässig ist, muss seitens der Bundesregierung unverzüglich möglich gemacht werden“, sagte Throm. Wer das ablehne, versage den Strafverfolgungsbehörden „das mit Abstand beste und wirksamste Instrument im Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie im Netz“.
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© Quelle: Reuters
Irene Mihalic, Innenpolitikerin und erste parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, lehnt eine Vorratsdatenspeicherung ab. „Statt sich mit einem Instrument zu befassen, das bereits mehrfach wieder und wieder gerichtlich kassiert wurde, sollten wir uns mit wirklichkeitsnahen, tragfähigen und wirkungsvollen Lösungen im so wichtigen Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder und die Verbreitung ihrer Darstellungen befassen“, sagte Mihalic dem RND. Das BKA müsse gestärkt werden. „Gerade im Bereich der Auswertung beschlagnahmter Datenträger müssen wir durch technische Lösungen – unter Sicherstellung des Schutzes personenbezogener Daten der Opfer – den tagesaktuellen Abgleich mit den Datenbanken möglich machen“, sagte Mihalic. Die Grünen-Abgeordnete und Polizeibeamtin bemängelte: „Wir verlieren bei der Bekämpfung von sexuellen Gewaltdarstellungen an Kindern und Kindesmissbrauch im Allgemeinen noch zu viel Zeit.“
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Auch der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle, sprach sich gegen eine Vorratsdatenspeicherung aus. Die Vorratsdatenspeicherung, die in Deutschland bereits Rechtslage sei, könne seit Jahren nicht angewandt werden, weil sie europarechtswidrig sei. „Eine anlasslose und dauerhafte Speicherung von IP-Daten unterläge einer ähnlichen Rechtsunsicherheit“, sagte Kuhle. „Anstatt Polizistinnen und Polizisten bei ihrem wichtigen Kampf gegen Missbrauch an Kindern und dessen Darstellung unwirksame Befugnisse zu geben, müssen wir rechtssichere und leicht einsetzbare Instrumente schaffen“, erklärte der FDP-Politiker.
Zu Forderungen, Onlineanbieter im Kampf gegen Kindesmissbrauch stärker in die Pflicht zu nehmen, sagte Konstantin Kuhle: „Strafverfolgung im Internet darf nicht privaten Anbietern überlassen werden. Es ist Aufgabe staatlicher Stellen, Kriminalität im Netz zu verfolgen. Bund und Länder müssen Polizei und Justiz deshalb personell wie technisch besser ausstatten, damit diese ihrer Aufgabe vollumfänglich nachkommen können.“ Die Ampelkoalition habe sich darauf geeinigt, mit einer Stärkung des BKA voranzugehen. Auf europäischer Ebene werde der Digital Services Act zahlreiche neue Regelungen für Plattformbetreiber einführen. Ein deutscher Alleingang sei deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll.
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Martina Renner, sagte dem RND, Vorratsdatenspeicherung und auch eine von der EU-Kommission angedachte „Chatkontrolle“ stellten schwere Grundrechtseingriffe dar, „deren Nutzen in keinem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs steht“. Solche Maßnahmen schafften zudem ein falsches Gefühl von Sicherheit. Ein besserer Schutz von Kindern müsse absolute Priorität haben. „Erforderlich sind dafür eine bessere Nutzung der vorhandenen Mittel der Strafverfolgung und mehr fachlich geschultes Personal“, so Renner.