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Großer Zapfenstreich für Christine Lambrecht: ein Ministerium als Schleudersitz

Christine Lambrecht (SPD) ist bei Weitem nicht die erste Person, die dem Bundesverteidigungsministerium vorstand und frühzeitig gehen musste.

Christine Lambrecht (SPD) ist bei Weitem nicht die erste Person, die dem Bundesverteidigungsministerium vorstand und frühzeitig gehen musste.

Liebe Leserin, lieber Leser,

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ihr Video zu Silvester hatte gewirkt wie eine Rakete. Nur dass diese Rakete nicht allein im näheren Umkreis zu sehen war, sondern in der gesamten Republik. Die Wirkung des Auftritts, bei dem Verteidigungsministerin Christine Lambrecht vor explodierenden Feuerwerkskörpern von „Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen“ sprach, erwies sich jedenfalls als so gewaltig, dass sie zurücktreten musste – man könnte auch sagen: endlich zurücktreten durfte. Am 19. Januar bekam die Sozialdemokratin ihre Entlassungsurkunde. Das öffentliche Licht erlosch. Sie verschwand in der Versenkung – ohne nachträglich in Interviews für böses Blut zu sorgen.

Am Dienstagabend – über zwei Monate später – erblickt dieselbe Frau Lambrecht noch einmal das Licht der Welt. Sie wird mit einem Großen Zapfenstreich, dem höchsten militärischen Zeremoniell, das die Bundeswehr zu bieten hat, verabschiedet. Dabei wird lediglich das Zeremoniell selbst öffentlich sein. Der vorangehende Empfang findet hinter verschlossenen Türen statt. Dahinter dürfte eine Allergie der Scheidenden gegen jene zahlreichen Journalisten stecken, die kaum gut über sie berichten konnten.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht tritt zurück
ARCHIV - 12.01.2023, Sachsen, Marienberg: Christine Lambrecht (SPD), Bundesministerin der Verteidigung steht beim Besuch des Panzergrenadierbataillons 371 in der der Erzgebirgskaserne. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) tritt zurück. Sie habe Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) um Entlassung gebeten, hieß in einer Erklärung der Ministerin, die der Deutschen Presse-Agentur am Montag aus dem Verteidigungsministerium vorlag. Foto: Robert Michael/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Immer wieder stand die Verteidigungsministerin in der Kritik. Nun zieht Lambrecht Konsequenzen.

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Die fraglos kurze Amtszeit Lambrechts von gerade mal 13 Monaten beweist erneut, was für ein Schleudersitz das Verteidigungsministerium ist und immer war.

Das Ministerium der Rücktritte und Entlassungen

1962 etwa musste Franz Josef Strauß gehen. Der bullige CSU-Politiker hatte ein Ermittlungsverfahren gegen die Spitze des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ einleiten lassen. Der Grund war ein Artikel über den Zustand der Truppe mit der berühmt gewordenen und heute wieder brandaktuellen Überschrift „Bedingt abwehrbereit“. Strauß ließ Redaktionsräume durchsuchen und Redakteure verhaften. Der Vorgang glich einer Staatsaffäre, die dem Ruf des Magazins nachhaltig genutzt und Strauß zumindest zunächst enorm geschadet hat.

Franz Josef Strauß verlor sein Amt als Verteidigungsminister nach der „Spiegel“-Affäre.

Franz Josef Strauß verlor sein Amt als Verteidigungsminister nach der „Spiegel“-Affäre.

1984: Ein anderer – der Christdemokrat Manfred Wörner – kam ins Strudeln, ohne zu fallen. Wörner hatte den Vier-Sterne-General Günter Kießling 1984 zu Unrecht der Homosexualität verdächtigt. Schwul zu sein galt da noch als echtes Tabu. Kanzler Helmut Kohl hielt Wörner zwar trotz aller Anfechtungen im Amt. Allerdings musste der Minister bei einer berühmt gewordenen Pressekonferenz einräumen, dass er sich geirrt hatte. So galt zwangsläufig die Devise: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Kießling wurde aus dem Ruhestand, in den Wörner ihn versetzt hatte, zurückgeholt und bald darauf endgültig verabschiedet: mit einem Großen Zapfenstreich übrigens. Beide Männer waren nachhaltig ramponiert.

2002: Ebenfalls skurrile Züge trug die Entlassung von Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Der liebestolle SPD-Politiker hatte 2002 noch die letzte Autorität verwirkt, als er mit seiner neuen Freundin für die Fotografen einer Illustrierten auf Mallorca in einen Swimmingpool sprang, während seine Soldaten vor einem Auslandseinsatz in Mazedonien standen. Die Republik schüttelte den Kopf, darunter war dummerweise Kanzler Gerhard Schröder. Er berief Peter Struck zum Nachfolger.

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Der SPD-Politiker Rudolf Scharping war von 1998 bis 2002 Bundesverteidigungsminister.

Der SPD-Politiker Rudolf Scharping war von 1998 bis 2002 Bundesverteidigungsminister.

2011 schließlich nahm Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Hut, als ruchbar wurde, dass er große Teile der gar nicht eigenen Doktorarbeit abgekupfert hatte. Der CSU-Mann war zeitweilig schon als der nächste Kanzlerkandidat gehandelt worden. Jetzt fiel er nicht bloß aus dem Amt – seine ganze politische Karriere war kaputt.

Der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nahm wegen Plagiatsvorwürfen seinen Hut.

Der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nahm wegen Plagiatsvorwürfen seinen Hut.

All diesen teils operettenhaften Affären ist, wie man sieht, gemein, dass sie einfach gestrickt waren. Auch noch der Dümmste konnte begreifen, worum es ging. Um Verteidigungspolitik ging es jeweils eher am Rande. Das war bei Christine Lambrecht ähnlich. So wurde der vormaligen Justizministerin anfangs zur Last gelegt, bei einem Truppenbesuch in Mali Stöckelschuhe getragen zu haben. Auch dass sie ihren Sohn bei einem Hubschrauberflug mitnahm, sorgte für Verdruss. Zur „Beweisführung“ reichten stets Fotos und wenige Zeilen in der „Bild“-Zeitung.

Sogar Lambrechts letzter Abschied wirkt noch unglücklich. Denn es hat – so die offizielle Version – mehr als zwei Monate gedauert, bis ihr Nachfolger Boris Pistorius einen Termin dafür anbieten konnte. Unterdessen sind die Meinungsumfragen ein verspäteter Kommentar zu Lambrechts Amtszeit: Die Deutschen waren die Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums offenbar so leid, dass sie den Mann aus Osnabrück aus dem Stand zum beliebtesten Politiker Deutschlands erklärten.

 

Bittere Wahrheit

Wir brauchen neue Leute an der Fraktionsspitze, in der die alten Blockbildungen keine Rolle mehr spielen. Die Fraktion hat zu wenig Kontur.

Bernd Riexinger,

Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Vorsitzender der Linken

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Die Geschichte der Linken ist auch eine Geschichte ihrer Feindschaften. Das gilt nicht zuletzt für das Verhältnis von Ex-Parteichef Bernd Riexinger zum Nochfraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch. Als Riexinger und seine Co-Parteivorsitzende Katja Kipping amtierten, waren sie ständigen Angriffen ausgesetzt. Meist gingen diese von der Co-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht aus. Bartsch stichelte im Hintergrund und machte selten einen Hehl daraus, dass er Riexinger für einen Dünnbrettbohrer hielt.

Im finalen Streit über die Zukunft von Partei und Fraktion gerät nun Bartsch selbst unter Druck, sodass Riexinger die Chance für ein Rückspiel gekommen sieht. Ginge es nach dem langjährigen Gewerkschaftsfunktionär, dann wäre Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte an Bartsch‘ Stelle getreten. Allerdings schloss Korte selbst das gerade aus. Bartsch und Korte waren bislang Freunde. Doch die Linke wäre nicht die Linke, wenn nicht auch aus dieser Freundschaft noch eine Feindschaft werden könnte.

Der ehemalige Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger.

Der ehemalige Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger.

 

Wie das Ausland auf die Lage schaut

Zur Arbeit von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schreibt der Schweizer „Tages-Anzeiger“:

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„Als der Sozialdemokrat im Januar die gescheiterte Lambrecht ablöste, hieß es noch, er sei als Verteidigungsminister nicht die erste Wahl von Bundeskanzler Olaf Scholz gewesen. Zwei Monate später hat er in den Umfragen die Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck als beliebteste Politiker Deutschlands abgelöst.

Seit Russland die Ukraine überfallen hat, ist der Wiederaufbau des Militärs eine der wichtigsten Aufgaben der ‚Zeitenwende‘ geworden. Und Pistorius ist wohl auch deswegen so beliebt, weil er nach dem Irrweg mit Lambrecht dem Land die Hoffnung einflößt, die Bundeswehr sei vielleicht doch kein hoffnungsloser Fall.

Das ist nicht wenig, aber erreicht hat Pistorius natürlich noch nichts. Seine Aufgabe bleibt gewaltig. Vor den Bundestagsabgeordneten seiner SPD gab er kürzlich offen zu, die Bundeswehr sei derzeit ‚nicht verteidigungsfähig‘, würde Deutschland militärisch angegriffen.“

Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Verteidigungsminister Boris Pistorius.

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Zum Streit um die Zukunft von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren in der EU schreibt die konservative Zeitung „Lidove noviny“ aus Tschechien:

„Deutschland, Italien, Polen, Tschechien, Ungarn und Bulgarien sind dagegen, allein den Weg des Elektroautos zu gehen. Das ist ungewöhnlich. Es ist schon zum Stereotyp geworden, dass sich die Haltungen der EU-Staaten in grundlegenden Fragen entlang eines Grabens zwischen West und Ost spalten, der angeblich progressive Europäer von schmuddeligen Postkommunisten trennt. (...) Die Deutschen machen sich keine Illusionen, dass ihre Autos auch künftig wie zu den Zeiten von Carl Benz mit Benzin fahren werden. Doch sie wollen die Verbrennertechnologie nicht ganz aus dem Fenster werfen, nur um dann Elektroautos aus China zu importieren. Wir wissen nicht, wie das alles ausgehen wird, doch ist bereits dies ein Durchbruch.“

 

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Eine ältere Frau in der zerstörten Stadt Cherson.

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Herzlich

Ihr Markus Decker

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