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Nicht auf dem Erfolg ausruhen: Gewerkschaften müssen sich modernisieren

Ein Mitglied der Gewerkschaft Verdi auf einer Demonstration (Symbolbild).

Ein Mitglied der Gewerkschaft Verdi auf einer Demonstration (Symbolbild).

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Berlin. Zum 1. Mai hat Bundeskanzler Olaf Scholz wieder etwas gefordert, womit er schon in den Wahlkampf gezogen ist: Respekt vor denjenigen, die arbeiten. Klingt gut, ist allerdings eine typische scholzsche Formulierung, die im Grunde nichtssagend ist. Der Beitrag seiner Regierung dafür, die Lage der Beschäftigten angesichts der massiven Preissteigerung zu verbessern, ist überschaubar. Erinnert sei an die großspurig angekündigte Konzertierte Aktion, mit der Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik an einen Tisch geholt werden sollten, um gemeinsam eine Antwort auf die Inflation zu finden. Sie wurde nach einigen ergebnislosen Sitzungen sang- und klanglos beerdigt.

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Nein, es sind nach wie vor die Gewerkschaften, auf die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Durchsetzung ihrer Rechte und einer angemessenen Bezahlung zählen können. Das zeigt auch die aktuelle Tarifrunde mit ihren Warnstreiks. Dabei sah es lange so aus, als seien die Gewerkschaften ein Auslaufmodell. Die Zahl der Mitglieder hat sich seit den 1990er-Jahren halbiert. Dieser Trend dreht: Im Gefolge der Warnstreiks im öffentlichen Dienst hat allein die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in den vergangenen Monaten 80.000 Mitglieder hinzugewonnen.

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Der Zusammenhang zwischen dem Organisationsgrad und den Arbeitsbedingungen ist unverkennbar: In der Metallindustrie, wo der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder hoch ist, gilt in der Regel die 35-Stunden-Woche mit einem Durchschnittsbrutto von 4500 Euro. In der Altenpflege, Organisationsgrad nahe null, liegt das Einkommen im Schnitt mehr als 1000 Euro darunter – bei einer chronischen Arbeitsüberlastung und nicht selten „geteilten“ Diensten, bei denen eine Schicht auf früh und abends verteilt ist. Die Politik sah sich mittlerweile sogar gezwungen, die wenigen existierenden Tarifverträge in der Pflege per Gesetz auf die gesamte Branche auszuweiten – eine mehr schlecht als recht funktionierende Notlösung.

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Es bleibt zu hoffen, dass die Streiks in der aktuellen Tarifrunde eine Trendwende eingeleitet haben. Auseinandersetzungen wie diese sorgen zwar immer für einen Mitgliederzuwachs bei den Gewerkschaften. Allerdings ist das Plus zum Beispiel bei Verdi diesmal deutlicher. Es wäre jedoch fatal, sich auf diesem Erfolg auszuruhen. Die Gewerkschaften brauchen endlich Konzepte, wie sie auch außerhalb der traditionellen Industriehochburgen Fuß fassen können, nicht nur in Pflegeeinrichtungen, sondern auch in der wachsenden Start-up-Szene. Und sie müssen noch lauter prekäre Arbeitsbedingungen anprangern, wie bei den Lkw-Fahrern in Gräfenhausen oder den aktuellen Streiks bei Lieferando. Sie müssen zudem moderner, weiblicher und vor allem jünger werden. Mit komplizierter Gewerkschaftssprache, brennenden Ölfässern vor dem Werkstor, Trillerpfeifen und Arbeiterliedern wird das nicht funktionieren.

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