Olaf Scholz in Korea: der Grenzgänger
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), und seine Frau Britta Ernst stehen beim Besuch der entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Nordkorea.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Seoul. Es gibt zwei eiserne Regeln in der demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea. Die erste lautet: niemals rennen. Die zweite: keine Überraschungen. Wann immer etwas Außergewöhnliches geschieht, berichtet Major Chris Rickey von der australischen Armee, rufe man auf der nordkoreanischen Seite an und setzte die Grenztruppen darüber in Kenntnis – ganz gleich ob es sich um einen medizinischen Notfall oder eine Reparatur an einem Gebäude handelt. „Transparenz ist sehr wichtig“, sagt Major Rickey. „Ohne können die Dinge hier schnell außer Kontrolle geraten.“
Spannungen auf koreanischer Halbinsel: Nordkorea testet atomfähige Rakete
Nordkorea hat die jüngsten gemeinsamen Militärübungen von den USA und Südkorea als Eskalation der Spannungen kritisiert und seine Waffentests verschärft.
© Quelle: Reuters
Überraschenderweise ist der Besuch eines deutschen Bundeskanzlers offenbar kein Grund, die Nordkoreaner vorzuwarnen. „Das sieht für die aus wie eine Besuchergruppe, und Besucher haben wir hier oft“, erklärt der Soldat.
Die sogenannten „Joint Security Area“ an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea ist ein seltsamer, fast surrealer Ort. Inmitten kleiner Reisfelder und sanfter Hügel stehen sich zwei gewaltige Pavillons gegenüber wie lauernde Gegner. Das Gebäude auf der südkoreanischen Seite hat eine gläserne Fassade, das im Norden ist aus Stein. Die Pavillons werden als Büro- und Veranstaltungsflächen genutzt sowie zur Beobachtung des jeweiligen Gegners. Objektive und Okulare wohin man blickt.
Trump war schon da, Kim Jong-un auch
In der Mitte zwischen den beiden Gebäuden stehen drei in die Jahre gekommene Baracken in leuchtend hellblauer Farbe. Sie stehen exakt auf der Demarkationslinie, die seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1953 die Grenze zwischen dem kommunistischen Norden und dem demokratischen Süden der koreanischen Halbinsel markiert. Die Hütten stammen noch aus der Zeit der Friedensverhandlungen. Sie haben je eine Tür in den Norden und eine in den Süden.
„Man hat das Areal als Stätte der Begegnung angelegt“, erklärt Major Rickey, der als Teil eines Uno-Bataillons für dessen Bewachung zuständig ist. Zu solchen Begegnungen ist es in der Vergangenheit bereits mehrfach gekommen. 2018 überschritt der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un an dieser Stelle die Grenze, um sich mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in dem südlichen Pavillon Gipfelgespräch zu treffen. 2019 traf sich am gleichen Ort der damalige US-Präsident Donald Trump mit dem nordkoreanischen Diktator. Beide überschritten in beiden Richtungen die Grenze.
Auch Olaf Scholz und seine Ehefrau Britta Ernst wagen den kurzen Abstecher in den Norden – allerdings nur innerhalb der Baracke und bei geschlossener Tür. Sicher ist sicher. Der Kanzler schaut ernst drein, als er sich von den UN-Soldaten den komplizierten koreanischen Grenzalltag erklären lässt.
Es sei ein bewegender Besuch für ihn gewesen, erklärt Scholz wenig später. Deutschland habe das Glück, wieder vereint zu seien, und an dieser Grenze könne man sehen, wie groß dieses Glück sei, sagt Scholz.
Der 64-Jährige hat die unmittelbare Nachwendezeit in Ostberlin verbracht. Als junger Arbeitsrechtler hat er in den ehemaligen Volkseigenen Betreiben neu gegründete Betriebsräte beraten.
Klare Botschaft an Nordkorea
Viel Zeit für den Blick zurück bleibt Scholz allerdings nicht – dafür sind die Probleme der Gegenwart zu groß. Das größte Problem auf der koreanischen Halbinsel ist der aggressive Steinzeitkommunist Kim Jong-un im Norden. „Die Atomtests, die verschiedenen Versuche, Raketen abzuschießen und ballistische Tests vorzunehmen, sind ein Zeichen dafür, dass hier eine unverändert gefährliche Situation ist“, sagt Scholz. Es sei ihm deshalb wichtig, den Ort der Konfrontation persönlich zu besichtigen. Der Deutsche hat eine Botschaft an Pjöngjang mitgebracht: „Diese ballistischen Tests müssen aufhören; der Versuch, sich selber nuklear zu stärken, muss aufhören. Das ist eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in dieser Region.“
Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol dankt Scholz bei einer Pressekonferenz am Abend für die Unterstützung und lobt dessen „Führungskraft“ bei der Zeitenwende. Deutschland sei ein „wichtiger Wertepartner und Verbündeter“, so Yoon weiter. Beide Länder hätten trotz Jahrzehnten der Teilung eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung vollzogen, seien stark in der industriellen Produktion und erfolgreich im Export.
Der letzte Besucher war Helmut Kohl
Dass es 30 Jahre gedauert hat, ehe nach Helmut Kohl 1993 wieder ein deutscher Bundeskanzler zum bilateralen Besuch gekommen ist, passt zwar nicht so ganz zu der Geschichte von der innigen Freundschaft, aber künftig, das betonen die beiden Staatsmänner, sollen die Beziehungen enger werden.
Scholz und Yoon beschließen eine engere Zusammenarbeit bei der Herstellung von Wasserstoff, grüner Energie und Biotechnologien. Auch bei der Produktion von Batteriezellen für die Autoindustrie sollen Kooperationsmöglichkeiten ausgelotet werden.
Und dann macht Yoon dem Bundeskanzler noch zwei Geschenke: Auf die Frage, ob Südkorea bald Waffen an die Ukraine liefern werde, was es bislang nicht getan hat, antwortet der Südkoreaner, dass er eine Liste von der ukrainischen Regierung bekommen habe, die er nun prüfen lässt. Außerdem habe die südkoreanische Regierung beschlossen, dem Klimaclub beizutreten, den Olaf Scholz für jene Staaten konzipiert hat, die bei der Dekarbonisierung ihrer Volkswirtschaften vorangehen.
Da lächelt der Besucher aus Deutschland und sagt: „Das höre ich mit Freude.“