„Piratenfirma“: Warum sich Spanien über einen Infrastrukturkonzern aufregt
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Pedro Sanchez auf einer Pressekonferenz.
© Quelle: IMAGO/Lehtikuva
Madrid. Vor kurzem war Nadia Calviño, Spaniens Wirtschaftsministerin, noch voller Stolz auf Ferrovial: Die Firma sei „Symbol der Internationalisierung der spanischen Unternehmen“, sagte sie per Videobotschaft bei einer Ehrung des Konzernpräsidenten Rafael del Pino im Dezember 2021 in New York. Jetzt hat es der Infrastrukturkonzern mit der Internationalisierung aber zu weit getrieben, findet die Ministerin (die eigentlich zum liberalen Flügel der spanischen Linksregierung gehört). „Spanien hat Ferrovial alles gegeben“, sagte sie vorwurfsvoll vor ein paar Tagen, nachdem das undankbare Unternehmen – nach Börsenwert Spaniens zwölftgrößtes – bekanntgegeben hatte, dass es seinen Firmensitz von Madrid nach Amsterdam verlegen wolle. Das schmerzt die Ministerin und ihre Kabinettskollegen.
Selten dürfte ein Unternehmen von einer Regierung derart beschimpft worden sein wie dieser Tage Ferrovial von der spanischen. Es gebe Unternehmer, „die sich ihrem Land verpflichtet fühlen“, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez auf einer Pressekonferenz in Dänemark, aber das sei offensichtlich „nicht der Fall des Herrn del Pino“. Er wolle prüfen lassen, ob die Umzugsankündigung „mit der Legalität übereinstimme“. „Was für ein schlechter Ratgeber doch manchmal die Habsucht ist“, kommentierte ein Minister, eine andere nannte del Pino einen „Antipatrioten“, und der kleinere Koalitionspartner Podemos fand für Ferrovial das Etikett „Piratenfirma“.
Kritiker beklagen unternehmerfeindliches Klima in Spanien
Die tagelagen Attacken der Regierung geben all jenen Recht, die vermuten, dass der geplante Umzug nach Holland die Flucht vor einem unternehmerfeindlichen Klima in Spanien ist. Das wird nicht nur von Podemos mit seinem „antikapitalistischen“ Flügel geschürt, sondern auch vom Regierungschef selbst, der gelegentlich vor den „Herren mit Zigarren“ und den „versteckten Mächten in unserem Land“ warnt. Ob sich Ferrovial tatsächlich von solchen Worten schrecken lässt, steht dahin; hilfreich für ein gutes Wirtschaftsambiente sind sie sicherlich nicht.
Die Regierung vermutet, dass der Konzern Spanien hauptsächlich deswegen den Rücken kehrt, weil er weniger Steuern zahlen will. Ferrovial bestreitet das ausdrücklich, die Entscheidung habe „keine wesentlichen steuerlichen Folgen für die Gruppe“. Wahrscheinlich stimmt das. Ferrovial zahlt jetzt schon fast keine Körperschaftsteuer in Spanien, wenn die Informationen der regierungsfreundlichen Zeitung „El País“ stimmen. Das spricht für hochprofessionelles Steuermanagement seitens des Konzerns und für ein schlecht designtes Steuersystem in Spanien, das in den vergangenen fünf Jahren auch von der jetzigen Linksregierung nicht grundsätzlich reformiert worden ist. Der spanische und der holländische Körperschaftsteuersatz sind ungefähr gleich hoch (25 Prozent in Spanien, 25,8 Prozent in den Niederlanden), mit Vorzügen bei der Behandlung ausländischer Dividendeneinnahmen im holländischen Fall, was für Ferrovial einen leichten Vorteil bedeuten wird.
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Lagarde fordert europäische Kapitalmarktunion
Der Hauptgrund für den Umzug ist das, was Ministerin Calviño an Ferrovial so lobt: dessen Internationalisierung. Der Konzern, der sich auf den Betrieb von Flughäfen und Bezahlautobahnen in aller Welt spezialisiert hat, macht nur noch 18 Prozent seines Umsatzes in Spanien, dagegen 36 Prozent in den USA und Kanada. Um in Nordamerika noch bessere Geschäfte machen zu können, will Ferrovial an die New Yorker Börse, und dafür hilft der Umzug nach Amsterdam – von dort aus ist der US-Börsengang deutlich unbürokratischer zu handhaben als aus Madrid. In diesem Fall ist es also eher nicht der Steuerwettbewerb zwischen den EU-Staaten, sondern der Wettbewerb um die besten allgemeinen Geschäftsbedingungen, die den Ausschlag für Holland und gegen Spanien gegeben hat.
Christine Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank, nutzte den Streit um Ferrovial im Interview mit einem spanischen Fernsehsender für die Forderung nach einer europäischen Kapitalmarktunion. Je ähnlicher die Regeln von Land zu Land, umso unbedeutender ist der Standort der Konzernzentrale. Im Falle Ferrovials wird es übrigens vor allem ein Umzug auf dem Papier sein: Nur rund 20 Führungskräfte sollen nach Amsterdam umziehen. Der Rest bleibt, wo er ist. Auch Konzernpräsident Rafael del Pino.