Analyse

Putin backt inzwischen kleinere Brötchen – warum?

Russlands Staatschef Wladimir Putin stößt an Grenzen: Nach Einschätzung des Institute for the Study of War (ISW) hat er es „weder in Kiew noch im Westen geschafft, das beabsichtigte Maß an Angst herbeizuführen“.

Russlands Staatschef Wladimir Putin stößt an Grenzen: Nach Einschätzung des Institute for the Study of War (ISW) hat er es „weder in Kiew noch im Westen geschafft, das beabsichtigte Maß an Angst herbeizuführen“.

Russlands Staatschef Wladimir Putin hat begonnen, seine atomaren Drohgebärden zu mäßigen. In Nato-Kreisen wird dies auf eine Mischung aus Festigkeit im Westen und Geheimdiplomatie zwischen den USA und Moskau zurückgeführt.

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Von einer veränderten Tonlage in Moskau spricht das Washingtoner Institute for the Study of War (ISW) in einem am Montag veröffentlichten Bericht. Noch Ende September habe Putin in einer Rede zur Annexion von russisch besetzten Gebieten in der Ukraine auf den möglichen Gebrauch von Atomwaffen angespielt. Inzwischen jedoch habe Moskau eine Erklärung verbreitet, wonach Russland „strikt vom Postulat der Unzulässigkeit eines Atomkriegs geleitet wird“, in dem es keine Gewinner geben kann und der deswegen „niemals entfesselt werden darf“.

Kremlchef Putin bereit zu „Friedensverhandlungen“ mit der Ukraine

Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach mehr als acht Monaten Krieg gegen die Ukraine seine Bereitschaft zu Friedensverhandlungen bekräftigt.

Der Westen bekam nicht genug Angst

Mit dieser Erklärung versucht Moskau offenbar, vor dem G20-Treffen in Bali Mitte November wieder Anschluss zu finden an die internationale Staatengemeinschaft. China und Indien etwa gehören zu den Staaten, die zwar weiter mit Russland Handel treiben, zugleich aber die russische Regierung stets vor einer nuklearen Eskalation des Kriegs in der Ukraine gewarnt haben.

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China hatte diese Haltung zuletzt in der vorigen Woche bei einer Begegnung zwischen Staatschef Xi Jinping und Bundeskanzler Olaf Scholz in Peking bekräftigt. Scholz erklärte anschließend: „Staatspräsident Xi und ich sind uns einig: Atomare Drohgebärden sind unverantwortlich und brandgefährlich.“

Das ISW führt Russlands Atomdrohungen von Ende September auf den Wunsch Moskaus zurück, „von eigenen militärischen Problemen abzulenken“. Zudem habe Putin damals den Versuch unternommen, „die westlichen Partner der Ukraine einzuschüchtern“. Putins Ziel sei es gewesen, auf diese Weise die Unterstützung der Ukraine zum Erliegen zu bringen. Russland habe es jedoch weder in Kiew noch im Westen geschafft, das beabsichtigte Maß an Angst herbeizuführen.

Laut ISW sind sich umgekehrt „hochrangige russische Militärkommandeure und Elemente des Kremls“ ihrerseits bewusst geworden, welchen Preis ihr Land zu zahlen hätte. Die Nato soll für den Fall einer nuklearen Eskalation einen nicht nuklearen, aber umfangreichen Gegenschlag in Aussicht gestellt haben, der auf die Vernichtung sämtlicher russischer Verbände in der Ukraine und sämtlicher russischer Kriegsschiffe im Schwarzen Meer hinausgelaufen wäre.

Dies alles zeigt: Wenn man Putins Drohungen und Einschüchterungsversuchen geschlossen und ruhig widersteht, zieht er zurück.

Nico Lange,

deutscher Militärexperte und bis Ende 2021 Chef des Leitungsstabs im Bundesverteidigungsministerium

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Wie erst im Nachhinein durch einen Exklusivbericht im „Wall Street Journal“ bekannt wurde, liefen in den vergangenen Wochen hochrangige Geheimverhandlungen zwischen den USA und Russland. So stand der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Kontakt mit Putins außenpolitischem Berater Juri Uschakow und dem Sekretär des Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew.

Ein Amerikaner mit engen Kontakten zur Führungsebene in Russland: Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, agierte in den vergangenen Wochen viel hinter den Kulissen.

Ein Amerikaner mit engen Kontakten zur Führungsebene in Russland: Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, agierte in den vergangenen Wochen viel hinter den Kulissen.

Der deutsche Militärexperte Nico Lange, bis Ende 2021 Chef des Leitungsstabs im Bundesverteidigungsministerium, nennt die jüngsten Entwicklungen im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland ermutigend: „Dies alles zeigt: Wenn man Putins Drohungen und Einschüchterungsversuchen geschlossen und ruhig widersteht, zieht er zurück.“

Blitzschnell änderte Putin seine Meinung

Das gleiche Muster zeigt sich laut Lange auch beim gescheiterten Versuch Moskaus, das Abkommen zur Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine zu torpedieren. Nach einer nächtlichen Drohnenattacke auf russische Schiffe in Sewastopol habe Putin „aus einer emotionalen Aufwallung heraus“ mitgeteilt, er kündige das Abkommen über sichere Getreidetransporte durchs Schwarze Meer. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan habe jedoch erklärt, die Schiffsbesatzungen könnten getrost weiterfahren, egal was Moskau sage. Als Putin erkannt habe, dass tags darauf die Schiffe tatsächlich bereits wieder in See stachen, habe er auch hier blitzschnell seine Meinung geändert und den Transporten wieder zugestimmt.

Militärexperte Lange sieht darin ein weiteres Beispiel dafür, wie Putins Machtproben zunehmend nach hinten losgehen. Im Norden Europas sei die Nato mit dem durch Putins Krieg vorangetriebenen Beitritt Finnlands und Schwedens stark wie nie. „Und am Schwarzen Meer heißt der neue starke Spieler jetzt Erdogan.“

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Selenskyj äußert Zweifel an Ende russischer Mobilisierung

Russland hat seine Mobilisierung für den Krieg in der Ukraine nach eigenen Angaben abgeschlossen. Putin hatte die Rekrutierung von 300.000 Russen verlangt.

Greift Prigoschin nach der Macht in Moskau?

Unklar bleibt, wie sich Putins außen- und militärpolitisches Hin und Her auf die russische Innenpolitik auswirkt. Zwar scheint ein Putsch gegen den Kremlherrn noch weit entfernt zu sein. Zugleich aber wächst der Eindruck, der 70 Jahre alte Putin, seit 23 Jahren an den Moskauer Schalthebeln, habe den Zenit seiner Macht überschritten.

Mehr denn je seit dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar dieses Jahres sind in den russischen Eliten Meinungsverschiedenheiten erkennbar. Dabei tritt besonders Jewgeni Prigoschin (61) hervor, ein erstaunlich furchtloser Milliardär und Chef der privaten russischen Söldnertruppe Wagner. Prigoschin erlaubte es sich zum Beispiel, öffentlich den russischen Generaloberst Alexander Lapin zu kritisieren, der die russische Truppe in der Ukraine kommandierte. Ende Oktober wurde Lapin seines Amtes enthoben, in Moskau ist von einem Bauernopfer die Rede, mit dem Putin von seinem wiederholten eigenen Versagen in der Ukraine ablenken wolle.

Ist er am Ende die Alternative für Russland? Jewgeni Prigoschin, russischer Unternehmer und Chef der Söldnertruppe Wagner.

Ist er am Ende die Alternative für Russland? Jewgeni Prigoschin, russischer Unternehmer und Chef der Söldnertruppe Wagner.

Tatsächlich häufen sich die militärischen Blamagen für Russland in einem mittlerweile beklemmenden Ausmaß. Im Frühjahr stockte ein 60 Kilometer langer Militärkonvoi vor Kiew und musste am Ende umdrehen, im April versank die „Moskwa“, das Flaggschiff Russlands, im Schwarzen Meer, im Sommer gerieten russische Kommandozentralen im Süden der Ukraine in den Raketenhagel der überlegenen westlichen Himars-Systeme, inzwischen scheint auch ein Rückzug Russlands aus Cherson nicht mehr abwendbar zu sein.

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Vor dieser Kulisse wächst nach und nach die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer in Russland nach der Macht greift – nicht um alles anders zu machen, aber um vieles besser zu machen.

Prigoschin muss zu diesem Thema gar nicht viel sagen. Viele Blicke ruhen ohnehin auf ihm. Seine Leute, das weiß man in Moskau, arbeiten hochprofessionell, sie können militärische Probleme lösen, an denen die reguläre russische Armee scheitert. Die Wagner-Truppen halfen bereits weltweit, von Syrien bis zum Sudan, bei der oft verdeckten Ausdehnung von Russlands Macht. Auch ohne dass Prigoschin viele Worte macht, erscheint er vielen inzwischen als mögliche Alternative für Russland.

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