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Wirtschaftsforum in Wladiwostok

Keine Verluste, Betrug beim Getreide-Deal, neue Souveränität: Putin-Rede im Faktencheck

Der russische Präsident Wladimir Putin in Wladiwostok.

Der russische Präsident Wladimir Putin in Wladiwostok.

Wladiwostok. Wie geht es eigentlich Wladimir Putin? Wie setzen dem russischen Präsidenten die Probleme, die seine Armee militärisch im Angriffskrieg gegen die Ukraine hat, zu? Einen kurze Momentaufnahme gewähren die immer seltener werdenden Auftritte des Autokraten. Am Mittwoch war es mal wieder so weit: Auf dem 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok im fernen Osten Russlands sprach der russische Präsident und gab damit einen Einblick in die Agenda der Probleme, die seinem Land gerade am meisten zusetzen.

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+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Deutlich geworden ist dabei: Putins Weltbild scheint noch verzerrter, als es ohnehin schon war. Beinahe flehentlich wirbt er bei den asiatischen Staaten um Anerkennung und Unterstützung „seines Kampfes“ gegen westliche Dominanz. An dem Wirtschaftsforum nahmen auch Staatsgäste aus China, der Mongolei und Myanmar teil.

Interessant ist auch, welche Formulierungen Putin vermied: Vom „Faschismus“ in Kiew war diesmal nicht die Rede. Diese Legende bemüht er nur, wenn er zur eigenen Bevölkerung spricht. Vor internationalem Auditorium ist stets Amerika und der Westen der Feind.

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Hier seine acht Kernaussagen – und wie sie zu verstehen sind

„Das Sanktionsfieber des Westens, seine aggressiven Versuche, anderen Ländern ein Verhaltensmodell aufzuzwingen, sie ihrer Souveränität zu berauben und sie dem eigenen Willen zu unterwerfen.“

Wladimir Putin beim 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok

Gibt es ein „Sanktionsfieber des Westen“ verbunden mit dem Wunsch, „anderen Ländern ein Verhaltensmodell aufzuzwingen, sie ihrer Souveränität zu berauben und sie dem eigenen Willen zu unterwerfen“? Die Sanktionen gegen Russland sind die direkte Antwort des Westens auf den von Moskau am 24. Februar 2022 gestarteten Angriffskrieg. Für die Ukraine hat dieser Krieg aber bereits 2014 mit der Invasion der Krim und dem Krieg im Osten des Landes begonnen.

Der Westen hatte damals sehr weiche Sanktionen verhängt, die den Warenaustausch nur kurzzeitig beeinträchtigten – aber nicht stoppten. Allein von 2020 auf 2021 legten die deutschen Exporte nach Russland um 15,5 Prozent auf 26,6 Milliarden Euro zu, die Importe aus Russland stiegen gar um 54 Prozent auf 33,1 Milliarden Euro.

„Ich bin sicher, dass wir nichts verloren haben und nichts verlieren werden.“

Wladimir Putin beim 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok

Nach sechseinhalb Monaten Krieg hat Russland eigentlich nichts gewonnen, mal abgesehen von jenen Gebieten im Osten der Ukraine, um die bis heute verbissener denn je gekämpft wird. Verloren hat Russland dagegen enorm viel: Einem internen Papier des Kreml zufolge, welches die Agentur Bloomberg am Dienstag veröffentlich hat, wird die ohnehin industriell sehr schwache russische Wirtschaft ihren Tiefpunkt im kommenden Jahr mit 8,3 Prozent unter dem Niveau von 2021 erreichen.

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Putin: Russland hat durch das Vorgehen in der Ukraine nichts verloren
 Russia Putin EEF 8269992 07.09.2022 Russian President Vladimir Putin listens to Mongolian Prime Minister Luvsannamsrain Oyun-Erdene during a meeting on the sidelines of the 2022 Eastern Economic Forum EEF in Vladivostok, Russia. Egor Aleev / POOL Vladivostok Primorsky krai region Russia PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xEgorxAleevx

Der russische Präsident betonte auf einem Wirtschaftstreffen in Wladiwostok, Russland werde seine Souveränität stärken.

Verloren hat Russland zudem schätzungsweise 50.000 gefallene Soldaten. Es findet ein beispielloser Exodus statt: Im ersten Halbjahr sind nach Angaben der russischen Statistikbehörde 419.000 Menschen aus Russland ausgereist. Verloren hat Russland an Ansehen: In der UN-Vollversammlung am 2. März 2022 stimmten 141 Mitgliedsstaaten für eine Verurteilung des russischen Einmarschs in der Ukraine. Damit wurde die Zweidrittelmehrheit erreicht.

„Ich kann sagen, dass der hauptsächliche Zugewinn die Stärkung unserer Souveränität ist.“

Wladimir Putin beim 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok

Das unfreiwillige Ausscheren Russlands aus dem Kreislauf des Welthandels hat das Land nicht „souveräner“ gemacht, sondern enorme Abhängigkeiten geschaffen – von China zum Beispiel. Russland mache sich auf Dauer erpressbar, so der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Deutschlandfunk. „Es ist klar, dadurch, dass sich Russland zunehmend in Richtung China orientiert, die russische Wirtschaft kleiner ist als die chinesische, dass sich Russland in eine immer größere Abhängigkeit gegenüber China begibt. China sitzt wirtschaftlich und damit dann am Ende auch politisch definitiv am längeren Hebel. Weil es einfach die größere Volkswirtschaft und damit die größere Wirtschaftsmacht hat.“

„Wir haben die Militäraktion nicht begonnen, sondern versuchen, sie zu beenden.“

Wladimir Putin beim 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok

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Putins Armee hat natürlich diese „Militäraktion“ begonnen – und zwar am 19. Februar 2014. Völkerrechtswidrig und zunächst flankiert von vielen Dementis fielen seine Invasionsstreitkräfte, getarnt als grüne Uniformträger ohne Hoheitsabzeichen, auf der fast schutzlosen Krim ein. Die ukrainische Verteidigung war in einem desolaten Zustand, das Land hatte zudem sein Atompotenzial aufgegeben – das Risiko für den Aggressor schien gering. Weitere russische Aggressionen seit dem Ende der Sowjetunion: Moldawien/Transnistrien im März 1992, Georgien 2008.

„Die Nachfrage auf den Weltmärkten ist so groß, dass wir keine Probleme haben werden, sie (Rohstoffe) zu verkaufen.“

Wladimir Putin beim 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok

Fast die Hälfte der Staatseinnahmen, nämlich 45 Prozent, machen die Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor aus. Das vom Westen verhängte Embargo gegen russisches Öl – es betrifft bislang 75 Prozent der russischen Ölimporte in die EU und 100 Prozent in die USA – galt zunächst als „schärfstes Schwert“ im Wirtschaftskrieg. Doch im Juli exportierte Russland laut Bloomberg noch immer 7,4 Millionen Barrel Öl pro Tag – vor allem Dank erhöhter Ausfuhren nach Indien und China.

Tanks von Transneft, einem staatlichen russischen Unternehmen, das die Erdölpipelines des Landes betreibt, im Ölterminal von Ust-Luga.

Tanks von Transneft, einem staatlichen russischen Unternehmen, das die Erdölpipelines des Landes betreibt, im Ölterminal von Ust-Luga.

Nach Schätzungen der Firma Kpler, die den Energiemarkt beobachtet, erhöhte China seine Seeimporte russischen Öls bis Juli um 40 Prozent, Indien sogar um mehr als 1700 Prozent. Doch dieser Effekt ist bereits ausgeschöpft. Chinas Wachstumsziel von 5,5 Prozent für 2022 wurde zuletzt dramatisch nach unten korrigiert.

Immer höhere Rabatte für China?

„Russisches Gas für China sei das billigste in der Welt, hieß es in Schlagzeilen. Und der Tiefpunkt ist vielleicht noch gar nicht erreicht. Die chinesischen Unternehmen sehen ja, in welcher Lage Russland ist. Glauben Sie mir, China wird pragmatisch sein und unsere Rohstofflieferanten wie eine Zitrone ausquetschen, bis sie immer mehr Rabatte bekommen“, so Wladimir Milow, einst stellvertretender Energieminister Russlands, im Juli im Deutschlandfunk.

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China kann nicht mehr russisches Öl kaufen, weil die heimische Nachfrage nachlässt, sagt Houmayoun Falakshali von Kpler. Und höhere Rabatte, als Russland diesen Staaten bereits einräumt, wird sich Moskau nicht leisten können. Langfristig hat sich Russland durch die politische Instrumentarisierung seiner Rohstoffexporte – das Land hat kaum andere Einnahmequellen – seiner wirtschaftlichen Zukunft beraubt.

Dass es Probleme gibt, Gas und Öl zu verkaufen, davon zeugen neben enormen Preisnachlässen, die Moskau Kaufwilligen gewährt, die Gasflammen, die von Finnlands Grenzen aus am Horizont zu sehen sind: Russland fackelt riesige Mengen an Erdgas ab.

„Bei Bedarf, bitteschön, werden wir Nord Stream 2 einschalten.“

Wladimir Putin beim 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok

Tiefpunkt im Verwirrspiel um Gasexporte: Laut Putin ist jetzt die falsche Pipeline (Nord Stream 1) die Ursache für den Gasstopp – würde Berlin den umstrittenen Pipelineneubau Nord Stream 2 freigeben, käme wieder Gas an. Pure Heuchelei: Er will die Bundesregierung zur Aufgabe ihrer bisherigen Position bewegen. Natürlich würde er nach Gutdünken auch den Gasfluss durch Nord Stream 2 stoppen, sobald ihm das ins Spiel passt.

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Zuletzt hatte der Kreml behauptet, russisches Erdgas fließe erst wieder nach Westeuropa, wenn die Sanktionen beendet seien. „Die Probleme mit der Gasversorgung sind durch die Sanktionen entstanden, die westliche Staaten, darunter Deutschland und Großbritannien, gegen unser Land verhängt haben“, hatte Kremlsprecher Dimitr Peskow noch am Montag gesagt.

Und davor waren angeblich kaputte Turbinen oder ausbleibende Wartungen schuld. Deutlich wird: Putin setzt angesichts des militärischen und wirtschaftlichen Desasters große Hoffnungen in die kommende, kalte Jahreszeit und die Mobilisierung der europäischen Bevölkerung gegen die Sanktionen. Er wird alles tun, um die Unzufriedenheit der Europäerinnen und Europäer mit Strom- und Gaspreisen zu forcieren, um so ein Ende der Sanktionen herbeizuführen.

Unerwartet geankert: Rätsel um Getreidefrachter „Razoni“ geht weiter

Der Getreidefrachter „Razoni“ sollte eigentlich Mais in den Libanon bringen. Jetzt ist der Käufer abgesprungen und das Schiff hat seine Fahrt unterbrochen.

„Es hat sich herausgestellt, dass wir ein weiteres Mal einfach nur grob abgezockt wurden, wie man im Volksmund sagt.“

Wladimir Putin beim 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok

Putin droht, das Getreideabkommen zwischen Russland, der UN und der Türkei aufzukündigen. Der russische Präsident behauptete, Moskau habe alles getan, um den Export ukrainischen Getreides zu gewährleisten. Es sei nicht in Entwicklungsländer, sondern in EU-Länder geschickt worden. Nach seinen Angaben fuhren nur zwei von 87 Schiffen nach Afrika, mit 67.000 Tonnen von insgesamt zwei Millionen Tonnen Getreide.

Russland habe keinen Grund, das Abkommen zu überprüfen, sagte Mykhailo Podolyak, ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Bedingungen des Deals würden strikt eingehalten.

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Seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar waren monatelang alle Exporte ukrainischen Getreides aus den Schwarzmeerhäfen des Landes blockiert. Der Ausfall eines der größten Getreideexporteure der Welt verschärfte eine globale Lebensmittelkrise. Eigentlicher Stein des Anstoßes könnte beim Kremlchef die mangelnde Ausfuhr russischer Düngemittel sein, eine parallele Vereinbarung zum Getreideabkommen. Die Düngemittelindustrie in Russland ist ein Milliardengeschäft.

„Alle unsere Maßnahmen zielen darauf ab, den Menschen im Donbass zu helfen.“

Wladimir Putin beim 7. Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok

Es gibt keine Umfragen, wie die Menschen im Donbass, also im überwiegend russischsprachigen Osten der Ukraine, acht Jahre nach Beginn des Konflikts um ihre Heimat über Putins Krieg wirklich denken. Fest steht: Sie sind die großen Verlierer. Viele von ihnen sind geflohen – nach Russland, aber auch in die Ukraine. Ihre Heimat, einst der wirtschaftliche Motor der Ukraine, ist zerstört und zerrissen.

Putin-Kritiker Igor Girkin alias Strelkow.

Putin-Kritiker Igor Girkin alias Strelkow.

Es gibt Separatistenführer der ersten Stunde wie Alexej Alexandrow, die bezeichnen heute Putins Krieg als Fehler und hätten eher auf Verhandlungen mit Kiew gesetzt. Andere wie Igor „Strelkow“ Girkin kritisieren immer wieder die Unfähigkeit der russischen Armeeführung und befürchten, am Ende alles zu verlieren.

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Immer wieder gab es zuletzt auch Meldungen über Militäreinheiten der Separatisten, die ihren Einsatz verweigert hätten. Allerdings lassen sich solche Meldungen nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen.

Mit Agenturmaterial

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