Chaos um den Bußgeldkatalog – Das sollten Sie jetzt wissen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/54WRLUASBFF3XPO6SB2FTYAV4Y.jpeg)
ARCHIV - 18.04.2018, Bayern, Wolfratshausen: Im Sucher einer Laserpistole an einer Kontrollstelle der Polizei an einer Bundesstraße wird die Entfernung eines entgegenkommenden Fahrzeugs (312 Meter, oben) und die Geschwindigkeit von 75 Stundenkilometern angezeigt. (Illustration zu "Debatte um Bußgelder in der neuen StVO") Foto: Matthias Balk/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
© Quelle: Matthias Balk/dpa
Berlin. Seit Ende April werden Raser im Straßenverkehr durch neue Regeln härter bestraft. Doch wegen eines Formfehlers sind diese Regeln nun bis auf Weiteres wieder außer Kraft gesetzt. Nun beginnen die gegenseitigen Schuldzuweisungen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Chaos um den Bußgeldkatalog.
Was genau ist das Problem?
Wegen eines juristischen Formfehlers in der Präambel der neuen Straßenverkehrsordnung (StVO) sind die neuen Regeln für Fahrverbote bei zu schnellem Fahren von allen Bundesländern vorerst außer Vollzug gesetzt worden.
Konkret ging es um die neue Regel, dass 21 Kilometer pro Stunde mehr als erlaubt reichen, um einen Monat den Führerschein zu verlieren – außerorts sind es 26 km/h. Anders als zuvor kann schon beim ersten Mal der Führerschein für einen Monat weg sein.
Welche Rolle spielt der Bundesverkehrsminister?
Andreas Scheuer (CSU) hatte die schärferen Fahrverbotsregeln von Anfang an als unverhältnismäßig kritisiert. Doch die Bundesländer hatten diese über den Bundesrat in den Verordnungsentwurf des Ministers “hinein diktiert”. In der Großen Koalition ist nun ein Streit entbrannt, wer für den Formfehler verantwortlich ist.
Das Justizministerium von Christine Lambrecht (SPD) gibt Scheuers Haus die Schuld an dem Schlamassel. Das Verkehrsministerium habe eine zu kurze Frist für die übliche Prüfung gesetzt. Deshalb sei der Fehler nicht erkannt worden.
Scheuer verteidigt sich mit dem Hinweis, in Corona-Zeiten habe es oft “ultra verkürzte Fristen” gegeben. Der CSU-Politiker hat schon eine Idee, wie es seiner Meinung nach nun weitergehen soll: “Die Formel lautet: neuer Bußgeldkatalog minus die beiden Fahrverbote.”
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/4LPZNKHIFNFBJE7VJLW6PM5BXY.jpg)
Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruk.
© Quelle: imago images/Sylvio Dittrich
Was sagt die Opposition?
“Es ist dummdreist, dass Andreas Scheuer nun versucht, die geplante Neuregelung, die ihm nicht gepasst hat, inhaltlich zu verändern. Er darf sich nicht wundern, wenn man ihm unterstellt, den Formfehler bewusst gemacht zu haben”, sagte der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Oliver Krischer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Und weiter: “Der Verkehrsminister sollte sich als allererstes für den Fehler entschuldigen. Das wäre angemessener als die Gelegenheit für populistische Kampagnen für Raser zu nutzen. Dass diese Verordnung wegen eines Formfehlers unwirksam wird, ist ein absolutes Unding. Die Regierung hat hier ihrer Sorgfaltspflicht nicht genüge getan. Das ist umso schlimmer, als es vor zehn Jahren bereits einen ähnlichen Fall gab.”
2010 musste der damalige Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) eine Neuregelung zu Verkehrsschildern zurückziehen.
FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic sagte zum aktuellen Fall: “Das StVO-Debakel ist bezeichnend für die Arbeit von Verkehrsminister Scheuer: Viel PR-Orientierung, in der Substanz große Mängel. Bei einem so wichtigen Vorhaben wie der Straßenverkehrsordnung muss die juristische Prüfung umfassend erfolgen, nun haben wir rechtliches Chaos für Verkehrsteilnehmer und Behörden.”
Welche Regeln gelten aktuell?
Die neuen Verhaltensregeln der StVO etwa in Bezug auf den Schutz von Radfahrern gelten nach Ansicht des ADAC und vieler Juristen unverändert. Scheuer mahnt aber, komme es nicht zu einer raschen neuen Übereinkunft, gelte der “alte Bußgeldkatalog weiterhin, aber eben ohne die von mir gewünschten Verbesserungen für die Radfahrer”.
Bei der Bußgeldpraxis gibt es ebenfalls Uneinigkeit: Zwar sind nach Auskunft der saarländischen Verkehrsministerin Anke Rehlinger (SPD) inzwischen 14 der 16 Bundesländer zum alten Bußgeldkatalog zurückgekehrt. Bremen und Thüringen aber halten an dem neuen Katalog fest, ahnden Verstöße aber bis zu einer endgültigen Klärung nicht. Thüringens Infrastrukturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke): “Es gibt keinen Grund, diese Regelungen nun zugunsten von Rasern zurückzunehmen.”
Wie sollten sich betroffene Autofahrer verhalten?
Wie viele Autofahrer bereits nach dem neuen Katalog mit Strafen belegt wurden, lässt sich noch nicht abschließend ermitteln. Aber alleine in Schleswig-Holstein müssen mehr als 80.000 Verfahren neu bearbeitet werden, in Hessen sind es mindestens 60.000.
Der ADAC rät Autofahrern bei Fahrverboten auf Grundlage des neuen Katalogs: Ist bereits ein Bußgeldbescheid erlassen und die 14-tägige Einspruchsfrist noch nicht verstrichen, sollte umgehend Einspruch eingelegt werden.
Ist ein Bußgeldbescheid bereits rechtskräftig, das Fahrverbot aber noch nicht angetreten, sollte ein Vollstreckungsaufschub bei der Bußgeldstelle beantragt werden. Wird das Fahrverbot bereits vollstreckt, kann im Gnadenverfahren die Herausgabe des Führerscheins beantragt werden.
Wie geht es nun weiter?
Etwa die Hälfte der Bundesländer – darunter Niedersachsen – will auf Dauer den neuen Bußgeldkatalog. Beispielsweise Bayern plädiert eher für eine Rückkehr zum alten. Bereits in der kommenden Woche soll es ein Treffen von Bund und Ländern geben, um eine einheitliche Regelungen für alle offenen Fragen zu finden.