Deutschland doppelt gespalten: neue Farben, alte Grenzen
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Geeintes Land? Deutschland nach der Wahl.
© Quelle: Fotolia/dpa/RND/Montage/Thorausch
Berlin. Die Königin hat ihre Krone behalten. Silvia Breher, 48, Dorfkind und CDU-Parteivize, hat bei der Bundestagswahl erneut das beste Erststimmenergebnis geholt. 49 Prozent der Menschen in der Gegend zwischen Cloppenburg und Vechta haben für Breher gestimmt. Der Niedergang von Armin Laschets CDU ist auch im Nordwesten nicht aufzuhalten, er spielt sich nur auf weit höherem Niveau ab. 57 Prozent stimmten vor vier Jahren für Breher. Ihre Vorgänger holten in der tiefschwarzen und hochkatholischen Region regelmäßig weit über 60 und 70 Prozent.
Cloppenburg und Vechta sind auf der Karte die nordwestlichsten Ausläufer eines Bandes, das sich von Bayern und Baden Richtung Norden zieht – die Karte der historisch mehrheitlich katholischen Regionen Deutschlands. Die Karte der stärksten Parteien bei der Bundestagswahl 2021 sieht ganz ähnlich aus: Vom tiefen Süden bis hoch nach Cloppenburg liegt auf dem Lande oft die Union vorne. In den traditionell protestantischen Gegenden dominiert das SPD-Rot, in Sachsen und Thüringen noch stärker als 2017 das Blau der AfD. Grüne und rote Inseln markieren die Metropolen.
Deutschland wirkt politisch doppelt gespalten
Deutschland wirkt auf diesen Karten politisch doppelt gespalten: in West und Ost, aber noch stärker in Nord und Süd. Vor vier Jahren waren die Farben vor allem im Osten noch anders verteilt: In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg holte damals die CDU fast alle Wahlkreise – wo vor vier Jahren Schwarz dominierte, ist heute eine große rote Region zu sehen.
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Wie wichtig sind also noch tief sitzende konfessionelle und kulturelle Prägungen bei der Wahl? „Generell ist die viel größere Wählervolatilität im Osten ein wichtiger Erklärungsfaktor“, sagt der Berliner Soziologe Steffen Mau. Zwischen Rügen und Chemnitz ist die CDU weit heftiger eingebrochen als im Westen.
Mau überrascht das nicht. „Die Profilierung der CDU im Osten, die lange Zeit sehr erfolgreich war, erschöpft sich. Die CDU war eine Wahlplattform, die 1990 aufgebaut wurde, um die deutsche Einheit herbeizuführen und die Kohl-Regierung zu stützen, aber sie hat nie einen entsprechenden Unterbau ausgebildet.“ Die Mitgliederzahlen sind im Vergleich zum Westen winzig, die ganze Partei ist ein „Scheinriese“, sagt Mau.
Wichtiger als die Zahlen aber ist die Zusammensetzung: „Es gab nie eine feste Sozialstruktur, die im Westen eben dazugehört. Der Ost-CDU fehlen stabile, moderat konservative Bezugsmilieus, die sich nicht radikalisieren, sondern die durch alle Bindungskräfte der Zivilgesellschaft, durch die Kirchen, die Vereinskultur, die Handwerkskammern immer wieder gezähmt werden. Das ist im Osten nicht der Fall. Da gibt es den Hang zur Radikalisierung zum Völkischen und damit auch mehr Möglichkeiten für die AfD, bei der CDU Stimmen abzusaugen.“
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Mau spricht von „Kipppunkten“, ab denen die AfD „in den lokalen Milieus eingewurzelt ist“. Besonders im Süden Ostdeutschlands sind diese Kipppunkte bereits überschritten. „Eine Partei, die 20, 30 Prozent bekommt, ist im Alltag so präsent, dass man sie nicht mehr völlig stigmatisieren kann“, sagt Mau. „Deren Vertreter sind in der freiwilligen Feuerwehr, sind in der Nachbarschaft. In vielen Klein- und Mittelstädten im Osten hat sich die AfD enttabuisiert. Sie ist Teil des sozialen Alltags geworden.“ Im Westen sei es viel einfacher, „den dort deutlichen kleineren rechtsradikalen Rand auszugrenzen“.
Exakt eine Woche nach der Wahl, die Deutschland politisch ungewöhnlich spannende Zeiten, aber auch viel Nachdenklichkeit beschert, wird der Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Das Datum ist daher symbolisch wie nie, der Ort ebenfalls: Die zentralen Feiern mit den Spitzen der Verfassungsorgane finden in Halle an der Saale statt – das traditionelle Bürgerfest mit Hunderttausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern fällt aber pandemiebedingt zum zweiten Mal in Folge aus.
Halle liegt an politischer Bruchlinie
Halle liegt direkt an der politischen Bruchlinie zwischen dem Norden und dem Süden der ostdeutschen Länder. Und Halle hat schon einmal für eine Sensation gesorgt, die den dominierenden Erzählungen über den Osten zuwiderlief. 2013 schickten die Wähler hier den ersten schwarzen Abgeordneten in den Bundestag: Karamba Diaby, geboren im Senegal, nach Halle gekommen als Student zu DDR-Zeiten, tief verwurzelt in der Stadt.
2021 holte Diaby erstmals das Direktmandat gegen den CDU-Konkurrenten. Diaby kommt in einen Bundestag zurück, der deutlich diverser ist als je zuvor – und auch in der SPD-Landesgruppe Ost ist er nicht mehr der einzige Abgeordnete, der einen Namen trägt, bei dem wenige an einen ostdeutschen Wahlkreis denken würden.
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Neu eingezogen ist zum Beispiel Reem Alabali-Radovan aus Schwerin, 31 Jahre alt, geboren in Moskau als Kind irakischer Austauschstudierender. Ihre Eltern konnten nicht in ihre Heimat zurück, kamen als Asylbewerber 1996 nach Mecklenburg-Vorpommern. „In der Schule und auch später war ich immer die Einzige mit offensichtlichem Migrationshintergrund“, berichtet sie. Sie ging nach Berlin, studierte Politikwissenschaften, kam zurück und arbeitete zuletzt als Integrationsbeauftragte des Landes.
Nun hat die zierliche junge Frau in ihrem ersten Wahlkampf das Direktmandat in einem Wahlkreis gewonnen, der sich von der Ostseeküste bis zur Elbe erstreckt und abgesehen von Schwerin und Ludwigslust aus viel plattem Land besteht – und bekannten rechten Hochburgen. Im Osten nicht unbedingt eine Gegend, in der eine Kandidatin gewählt wird, die mit sechs Jahren als Flüchtlingskind kam.
Oder eben doch. Denn Fluchtgeschichten haben hier viele, besonders die Älteren. Kein deutscher Landstrich nahm 1945 prozentual so viele Flüchtlinge und Vertriebene aus den Ostgebieten auf wie Mecklenburg-Vorpommern. „Ich war auch sechs Jahre alt, als wir hier hinkamen“, erzählte eine Seniorin, nachdem Alabali-Radovan sich vorgestellt hatte.
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Neu bei der SPD-Landesgruppe Ost ist auch Rasha Nasr, 29, aus Dresden. Die Eltern kamen zu DDR-Zeiten aus Syrien, sie wuchs in Dresden und dem Landkreis Meißen auf. Dort in Dresden lag bei den Erststimmen knapp die CDU vorne, bei den Zweitstimmen die SPD.
Nasr macht Werbung für Sachsen
Schockiert blickt Deutschland mal wieder auf die AfD-blaue Landkarte Sachsens. Doch im politischen Berlin gibt es wahrscheinlich kaum jemanden, die so überzeugt und energiegeladen Werbung für Sachsen macht wie die Neuabgeordnete Nasr. „An den Wahlständen habe ich viel mehr positive als negative Reaktionen bekommen“, blickt sie zurück auf ihren Wahlkampf. „Auch wenn wir kritisch diskutiert haben, ging es nicht unter die Gürtellinie. Die Leute wollen, dass jemand wie ich Dresden in Berlin vertritt.“
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Nur ganz selten habe einmal jemand gesagt, „du bist keine von uns, du kannst uns gar nicht vertreten“, berichtet Nasr. Ihr bündnisgrüner Mitbewerber Kassem Taher Saleh, 28, musste sich diesen Satz öfter anhören in den vergangenen Wochen. Er war aber auch in ganz Sachsen unterwegs, nicht nur in der Großstadt Dresden. Taher Saleh ist wie Alabali-Radovan ein Ost-Abgeordneter mit Fluchtgeschichte. Geboren wurde er im Irak, aufgewachsen ist er in Plauen.
Seine Biografie musste er oft erklären im Wahlkampf, sich darauf reduzieren lassen, will er sich im Bundestag nicht. Er ist Bauingenieur und freut sich schon darauf, dem sächsischen Malermeister und AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla Kontra zu geben, wenn es um Einwanderung und Fachkräftebedarf im Osten geht. „Ich will ein Abgeordneter für ganz Ostdeutschland sein“, sagt Taher Saleh selbstbewusst.
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Wie Nasr ist Taher Saleh über die Landesliste ins Parlament eingezogen. Sepp Müller hingegen hat sein Direktmandat verteidigt. Er ist mit 34 Prozent der Erststimmenkönig Ost. Sepp – ein Vorname, der zwischen Ostsee und Erzgebirge ebenso ungewöhnlich klingt wie Karamba, Reem, Rasha oder Kassem. Er kommt aus Gräfenhainichen, sein Großvater war schon zu DDR-Zeiten Bayern-Fan und sogar Mitglied des Münchner Vereins. Sein erster Enkel ist nach dem legendären Torwart Sepp Maier benannt.
Mit 2,03 Metern Körpergröße wäre der 32-jährige CDU-Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt bestimmt auch eine sichere Bank im Tor. Er ackert aber lieber im Wahlkreis. Müller diskutierte beim Klimastreik lieber mit den Fridays-for-Future-Aktivisten in Lutherstadt Wittenberg, anstatt zur Rede von Friedrich Merz nach Halle zu fahren.
Er sagt: „Wir haben die Wahl in der Mitte verloren, und die Mitte müssen wir wieder an uns binden. Hans-Georg Maaßen hat zu Recht verloren, eine Anbiederung an den rechten Rand bringt nichts. Wir müssen uns ganz, ganz klar von rechts und links abgrenzen. Du kannst ein Stinktier nicht überstinken.“
Müller ist ein neuer Typ Politiker, dem der Niedergang der traditionellen Parteienmilieus nichts ausmacht. Er sieht ihn eher als Chance. „Wer gute Arbeit macht, kann viele Stimmen aus der Mitte auf sich vereinen.“ Seine politische Landkarte zeichnet er sich selbst.
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RND