Drogenbeauftragter will Bier und Wein nur Erwachsenen erlauben: Was bringt das?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EHHCIOYRBZE3PAKCIO6XWDJRVQ.jpg)
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung will unkontrolliertes Trinken verhindern.
© Quelle: imago images/Lichtgut
Berlin. Die Zahl ist erschreckend: Mehr als 3000 Kinder unter 14 Jahren landen pro Jahr in Deutschland wegen einer Alkoholvergiftung in der Klinik. Das sind acht alkoholkranke Kinder an jedem einzelnen Tag des Jahres. Keine „jungen Erwachsenen“. Keine Jugendlichen. Sondern Kinder. Fünft- und Sechstklässlerinnen mit Glitzerponys auf dem Pulli. Und was in der Pandemie hinter verschlossenen Türen passiert, fürchten Experten, könnte noch viel schlimmer sein.
Der neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), will diesem Zustand ein Ende bereiten. „Wir müssen das gesellschaftliche Image des Alkohols verändern“, sagt er. Es könne nicht sein, dass „immer noch so viele Kinder und Jugendliche wegen Rauschtrinkens im Krankenhaus landen“. Vor allem das „betreute Trinken“ wolle er beenden, sagte er der „Welt“. Tatsächlich dürfen bereits Jugendliche ab 14 Jahren laut Jugendschutzgesetz im Beisein einer sorgeberechtigten Person Bier, Wein oder Schaumwein trinken. 16‑Jährige mit Ausweis dürfen diese Getränke sogar eigenständig kaufen. Blienert will das „Erwerbsalter“ auf 18 Jahre erhöhen.
Argumente für eine Neubesinnung beim Alkoholkonsum gibt es reichlich. Knapp sieben Millionen Menschen von 18 bis 64 Jahren trinken nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums in „gesundheitlich riskanter Form“. 1,7 Millionen sind alkoholsüchtig. 63,4 Prozent der Zwölf- bis 17‑jährigen Jugendlichen haben schon einmal Alkohol getrunken, 9 Prozent davon trinken regelmäßig. 20.000 Menschen pro Jahr sterben an Alkoholmissbrauch. Die Gründe liegen für Blienert, Vater zweier Kinder, auf der Hand: „Die Verfügbarkeit ist zu niedrigschwellig.“
Linke wundert sich über Blienert-Vorschlag
In der Biernation Deutschland sinkt aber der Pro-Kopf-Verbrauch von Bier seit Jahren und liegt derzeit bei 95 Litern pro Jahr und Person (Platz drei in Europa hinter Tschechien und Österreich). Die Zahl der akuten Notfälle ging 2020 gegenüber 2019 zurück. Und das allgemeine Gesundheitsbewusstsein der Jüngeren wächst. Deswegen ist der Linken-Gesundheitspolitiker Ates Gürpinar irritiert über den Vorstoß von Blienert – auch wenn er ihn grundsätzlich für richtig hält.
„Wir sind dafür, den Zugang zu Alkohol so zu beschränken, dass problematischer Konsum wirksam reduziert wird“, sagt Gürpinar dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Allerdings wundert mich Herr Blienerts Konzentration auf eine eher symbolische Maßnahme.“
Vor allem eine Gruppe macht den Fachleuten weiterhin Sorgen: Bei den 20- bis 25‑Jährigen gab es im Vor-Corona-Jahr 2019 rund 8800 Vergiftungsfälle – bei den 60- bis 65-Jährigen waren es im Vergleich „nur“ 6200, obwohl diese Gruppe mehr als doppelt so groß ist.
Schon geringe Mengen Alkohol können junge Gehirne dauerhaft schädigen. Aber was nützen die Fakten, wenn nach Mitternacht der juvenile Mithaltedruck wächst? Nach einem Rückgang in den vergangenen Jahren ist das Rauschtrinken wieder populärer: 2004, auf dem „Höhepunkt“ der Alkopop-Welle, lag die Zahl der 18- bis 25‑Jährigen, die sich innerhalb von vier Wochen einen Rausch angetrunken hatten, noch bei 43,5 Prozent. 2016 waren es 32,8 Prozent. Und drei Jahre später schon wieder 37,8 Prozent.
Es sei „ahistorisch, Alkohol und Tabak zum kulturellen Allgemeingut zu stilisieren“, sagt Blienert. Das verharmlose die Probleme. Unterstützung für strengere Regeln beim „betreuten Trinken“ erhält er etwa vom Kinderschutzbund: „Eine einheitliche Altersgrenze von 16 Jahren ist sicherlich sinnvoll“, sagt Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, dem RND. Er rate aber zu „Realismus“. Der „verantwortungsvolle Umgang mit Alkohol müsse „erlernt werden, das ist Teil des Erwachsenwerdens“.
Prohibitionspolitik allein habe „selten zu mehr Gesundheit, dafür aber oft zu riskantem Verhalten geführt“. Der Deutsche Brauer-Bund sprach sich nur allgemein für „ausgewogene Präventionsstrategien“ aus. Man wolle sich erst äußern, wenn „konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen“.
Unterstützung von Gesundheitspolitikern
Gesundheitspolitiker aus der Bundesregierung und der Opposition loben Blienerts Vorschlag. „Alkohol ist bislang in Deutschland sehr leicht verfügbar, und ich möchte gemeinsam mit dem Bundesdrogenbeauftragten daran arbeiten, hier die Verhältnisprävention zu stärken“, sagt Grünen-Politikerin Linda Heitmann dem RND. Kristina Lütke (FDP) und Dirk Heidenblut (SPD) sichern ebenfalls ihre Unterstützung zu.
„Beaufsichtigtes Trinken alkoholischer Getränke von Jugendlichen ab 14 Jahren im Beisein ihrer Eltern halte ich nicht für zielführend bei der gesundheitlichen Prävention von Suchterkrankungen“, sagt Heidenblut. Vielmehr wollen die Regierungsfraktionen Alkoholwerbung limitieren und weiter auf Aufklärung setzen.
Linken-Politiker Gürpinar hat eine andere Idee. Seiner Ansicht nach müsse Blienert bewusst sein, dass „ein solches Verbot junge Menschen nicht ernsthaft von Alkohol fernhalten kann“. Stattdessen schlägt er vor, den Zugang zu Alkohol „an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten einzuschränken“.
Corona bot zwar weniger gesellschaftliche Anlässe zum Trinken – weniger Partys, Hochzeiten, Geburtstagsfeste. Umfragen zeigten aber, dass „einige junge Menschen seit Beginn der Pandemie mehr und regelmäßiger Alkohol trinken“, sagt der schleswig-holsteinische Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) im Rahmen einer antialkoholischen Kampagne. Und seine Ressortkollegin Petra Grimm-Benne (SPD) in Sachsen-Anhalt bestätigt: Die Gefahr, Alkohol als vermeintlichen Problemlöser einzusetzen, sei in der Pandemie „größer geworden“.
Schluss also mit dem 14-Jährigen, der im Beisein seiner Eltern quasi als Initiationsritus das „erste Pils“ bestellen darf? Tatsächlich wird vor allem das Bier in einem Land mit 5000 Sorten gern als traditionelles Kulturgut und elementarer Pfeiler urdeutscher Geselligkeit gefeiert. Stattdessen will die Ampelkoalition nun das Kiffen legalisieren. Strengere Maßstäbe beim Alkohol – lockerere beim Cannabis? Nicht wenige sehen darin vor allem einen Kulturwandel – nach dem Motto „rechts wird gesoffen, links gekifft“. Schädlich aber – da lässt die Wissenschaft kaum Zweifel zu – bleibt beides.