Expertin warnt: „Trumps Reichweite lag nicht allein an Twitter“
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US-Präsident Donald Trump – hier während einer Pressekonferenz mit führenden Wirtschaftsvertretern aus Nevada.
© Quelle: Evan Vucci/AP/dpa
Berlin. Nach der Erstürmung des Kapitols in Washington hat die Soziologin Anna-Katharina Meßmer davor gewarnt, die Rolle der sozialen Medien bei der Mobilisierung der Anhänger des US-Präsidenten Donald Trump zu überschätzen. „Trumps Reichweite lag nicht allein an Twitter“, sagte die Projektleiterin Digitale Nachrichten- und Informationskompetenz bei der gemeinnützigen Denkfabrik Stiftung Neue Verantwortung dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin.
Es sei ein Zusammenspiel mit den klassischen Medien gewesen. Trump habe es wie kein anderer verstanden, diese für sich zu nutzen. „Alles, was er getwittert hat, wurde besprochen und aufgriffen“, sagte sie.
„Die sozialen Medien sind nicht Auslöser für Ausschreitungen wie vor dem Kapitol, sondern ein nicht zu unterschätzender Katalysator“, sagte Meßmer. Radikalisierungsursachen seien hingegen ungelöste gesellschaftliche Spannungen. In den USA fühlten sich weiße Extremistinnen und Extremisten durch Trump und seine Botschaften neu legitimiert. Diese gesellschaftliche Entwicklung sei auch an dem unterschiedlichen Umgang der Polizei mit den Anhängern Trumps und den Demonstrierenden der „Black-Lives-Matter“-Bewegung deutlich geworden.
Forderungen, Plattformen wie Twitter oder Facebook hätten Trumps Konten schon früher sperren müssen, hält Expertin Meßmer für schwierig. „Das ist keine triviale Abwägung: Kann man einen demokratisch gewählten Präsidenten von einer medial relevanten Plattform löschen?“, fragte sie. Zugleich hätten die Anbieter der sozialen Medien selbst erst viel zu spät eingesehen, dass sie als Informationsstruktur maßgeblichen Einfluss auf das Funktionieren einer Demokratie hätten. Würden Konten jetzt gesperrt, würde im Endeffekt nur Schadensbegrenzung betrieben.
Grundsätzlich müssten die großen und etablierten Social-Media-Unternehmen durch bessere Plattformregulierung in die Verantwortung genommen werden, forderte Meßmer. Zugleich müsse auch an anderen Stellen wie den Ursachen von Radikalisierung und der digitalen Nachrichtenkompetenz der Menschen angesetzt werden.
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Expertin für Verschwörungsideologien spricht von „Siegesmomenten“
Eine relativ neue Gefahr sei das sogenannte Dark Social Net, bestehend aus Messengerplattformen wie Telegram, sagte die Soziologin. Diese seien viel undurchsichtiger als das, was auf öffentlichen Facebook- und Twitter-Accounts zu lesen sei. Während den Behörden zum Beispiel die Aufrufe bei Twitter, das Kapitol zu stürmen, bekannt waren, wisse niemand genau, was im Dark Social Net passiere. „Dort gibt es ein viel höheres Potenzial zur nicht sichtbaren Radikalisierung und Mobilisierung“, warnte sie.
Die Expertin für Verschwörungsideologien, Pia Lamberty, warnt unterdessen vor der radikalisierenden Wirkung der Fotos von Trump-Anhängern bei der Erstürmung des US-Kapitols. Die Bilder von Rechtsradikalen und Anhängern der Qanon-Verschwörungsideologie in Büros von Kongressabgeordneten und dem Sitzungssaal hätten eine selbstbekräftigende Wirkung, sagte Lamberty dem epd. Aus der Perspektive der Trump-Anhänger zeigten diese Bilder „Siegesmomente“.
Diese Wirkung habe man auch bei der Querdenken-Demo in Leipzig im November sehen können, als anschließend Rechtsradikale durch die Leipziger Innenstadt zogen, sagte Lamberty. Medien und Nutzer sozialer Medien müssten daher überlegen, ob und wenn ja, welche Fotos sie zeigten. Lamberty schlug vor, die Menschen auf den Bildern zu verpixeln. „Verpixelte Bilder eignen sich weniger für die Selbstinszenierung“, sagte die Buchautorin, die an der Mainzer Universität forscht.
Einige der Bilder aus Washington, die etwa den Q-Schamanen mit den aufgesetzten Büffelhörnern zeigen, riefen bei Mediennutzern auch Belustigung hervor, sagte Lamberty. Dies führe zu einer Verharmlosung der Ereignisse. Es handele sich um Anhänger von Verschwörungsideologien, Rechtsextremisten und Holocaustleugner, die eine Sitzung des Kongresses mit Gewalt gestört hätten. Lamberty verwies darauf, dass die Eindringlinge bewaffnet gewesen seien und die Polizei Sprengsätze und Molotowcocktails im Gebäude gefunden habe.
Verharmlosung oder Belustigung seien auch in Deutschland zu beobachten, wenn es um die Teilnehmer an Querdenker-Demos gehe. Auch dort würden auf Fotos in der Berichterstattung oft die Menschen mit den Aluhüten gezeigt. Das verhindere aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gegnern der Corona-Maßnahmen, kritisierte Lamberty.
RND/epd