Gefahr 3D-Druck – ein Paradies für Produktfälscher

Turnschuhe aus dem Drucker: Speedfactory von Adidas.

Turnschuhe aus dem Drucker: Speedfactory von Adidas.

Hamburg. Die Zukunft der Sportartikelindustrie sieht aus wie ein arg grob gewebtes Stück Tuch. Die Sohle des neuen Adidas-Turnschuhs „Futurecraft 4D“ besteht aus vielen kleinen miteinander verschränkten Dreiecken. Sie ist leicht, soll besonders flexibel sein und dennoch robust. Das Besondere aber ist weder das Design noch nur das Material. Das Revolutionäre liegt in der Herstellung. Die Hightech-Sohle des Turnschuhs kommt aus dem Drucker. Aus dem 3-D-Drucker.

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Im bayerischen Ansbach, eine Dreiviertelstunde mit dem Auto von der Adidas-Konzernzentrale in Herzogenaurach entfernt, baut der Sportartikelhersteller zur Zeit eine neue Fertigungsanlage mit dem Namen „Speedfactory“. Dort werden Schuhe durch das sogenannte 3-D-Druckverfahren hergestellt. Maschinen, die aussehen wie eine Spritzpistolenroboter, schichten nach einem zuvor am Computer erstellten Bauplan flüssigen Kunststoff und anderen Materialien sehr akkurat übereinander, bis daraus eine Sohle entstanden ist. In Ansbach sollen auf diese Weise schon bald 500 000 Schuhe gefertigt werden. Aus ein paar Kunststoffkugeln, einem Paar Schnürsenkeln, Stoffen und Garn entsteht dort in wenigen Stunden ein Turnschuh. Bislang dauert es etwa drei Monate ab der Bestellung, bis ein fertiger Turnschuh aus einer Fabrik in China in Deutschland ankommt.

Der Schuh zum Ausdrucken – im Sportgeschäft

In Zukunft will das Unternehmen mit dieser Technologie nicht nur schneller für den Massenmarkt produzieren, sondern auch individuelle Turnschuhe für jeden einzelnen Fuß herstellen. Und das direkt dort, wo der Schuh auch verkauft wird. Am Ende der Vision steht der individuell angepasste Schuh zum Ausdrucken im Schuhgeschäft. Eine Revolution.

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Der 3D-Druck hat das Potenzial, die Produktion ganzer Industriezweige grundlegend zu ändern. Ganze Produktionslinien in Fernost könnten geschlossen und durch dezentrale, hochautomatisierte 3D-Kleinfabriken auf der ganzen Welt ersetzt werden. Aus der Luftfahrtindustrie ist der 3D-Druck schon heute nicht mehr wegzudenken. Vor allem bei Ersatzteilen boomt der Markt. Auch die Deutsche Bahn kündigte vor wenigen Tagen an, verstärkt Mantelhaken, Lüftungsgitter, Kopfstützen und Kabelkästen mit Hilfe der 3D-Drucktechnik herzustellen. So sollen defekte Züge schneller zurück auf die Schiene kommen, sagte der Geschäftsführer der Bahn-Fahrzeuginstandhaltung, Uwe Fresenborg. Seit Ende 2015 bis heute seien 1300 Ersatzteile aus dem 3D-Drucker gefertigt worden, bis Ende 2018 sollen es bereits 15 000 Stück sein, sagte Fresenborg. Dabei gehe es vor allem um Teile älterer Fahrzeuge, deren Bestand bei der Bahn aufgebraucht sei, die von den Originalherstellern nicht mehr angeboten und die in geringer Stückzahl benötigt würden.

3D-Druck macht die Warenwelt reproduzierbar – auch für Fälscher

Der 3D-Druck birgt viele Chancen für die Weltwirtschaft – nicht nur für Sportschuhkäufer mit ungewöhnlichen Zwischengrößen. Und dennoch teilt nicht jeder die Euphorie, mit der viele zur Zeit auf die neuen Druckverfahren blicken. Denn der 3-D-Druck, also die Fertigung von Artikeln vom Sportschuh bis zur Hüftprothese mit ein und derselben Maschine, ist Fluch und Segen zugleich: Wenn Adidas eine neue Turnschuhkollektion einfach ausdrucken kann, können das auch Banden aus der Organisierten Kriminalität, die mit Fälschungen einen Milliardenmarkt bedienen, warnen Experten. Sie brauchen nur das richtige Material und die Datei mit dem richtigen Bauplan. Der 3-D-Druck macht Waren aus der Offline-Welt letztlich ähnlich reproduzierbar wie Dateien aus dem Computer. Ganze Industrien, die bisher von der digitalen Raubkopierindustrie weitgehend verschont blieben, könnte das selbe Schicksal erleiden wie etwa die Musik- oder die Filmbranche: Ihre Produkte könnten leicht und massenhaft kopiert werden – ganz ohne illegale Industrielinien und komplizierte Schmuggelwege.

„Es wird ein Wettrüsten im 3D-Druck-Bereich geben“

Arndt Sinn sitzt an seinem Schreibtisch im Obergeschoss der altehrwürdigen Universität Osnabrück und zieht einen Stapel Akten hervor. „Der 3D-Drucker wird noch zum Riesenproblem für Industrie und Strafverfolgungsbehörden. Schon jetzt ist Markenpiraterie für die Kriminellen ein Milliardengeschäft. Und ich bin fest davon überzeugt, dass auch Kriminelle die 3D-Technik nutzen und den Markt mit Fälschungen überschwemmen werden“, sagt der Professor für Strafrecht. „Und das ist nicht ungefährlich.“ Sinn forscht seit vielen Jahren zum Thema Plagiate. Auch Strafverfolgungsbehörden, Verbände und Industrie schlagen Alarm. Vor allem große Markenhersteller arbeiten mit Hochdruck und großen Investitionen daran, ihre Lieferketten abzusichern, um Fälschern das Leben möglichst schwer zu machen.

Schon heute gibt es viele Datenbanken und Tauschbörsen mit Hunderttausenden 3-D-Druckvorlagen. Dort tauschen Forscher und Wissenschaftler Pläne für anatomische Modelle oder Laborbedarf aus, Bastler konstruieren und teilen Bauteile für ihre Hobbys und sogar Waffenbaupläne gibt es für den 3D-Drucker. Auch urheberrechtlich geschützte Plänen können auf diesen Wegen leicht in Umlauf geraten.

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Wie kann man Fälschungen vom Original unterscheiden?

Jochen Schäfer ist der Syndikusanwalt des Weltverbands der Sportartikelindustrie. Im Berliner Congress Centrum sitzt er in einer Expertenrunde zum Thema Plagiate und warnt: „Es wird im 3D-Druck-Bereich ein gegenseitiges Wettrüsten zwischen Industrie und Fälschern geben. Dabei geht es für Unternehmen nicht nur um den Schutz von Markenrechten und Reputation, sondern auch um Verbraucherschutz“, sagt Schäfer. Der Experte nennt Beispiele: „Man stelle sich nur vor, ein Fahrradlenker wird billig per 3D kopiert, der Sportler stürzt und ist querschnittsgelähmt.“ Die Sportartikelindustrie investiere schon heute eine Menge, um die gesamte Transportkette vom Werk bis zum Kunden zu sichern. So würden beispielsweise Chips, Hologramme oder Seriennummern auf den Produkten angebracht, um gefälschte Produkte von Originalware zu unterscheiden.

Bei Adidas im beschaulichen Herzogenaurach gibt man sich angesichts der von Experten prognostizierten Plagiats-Gefahr bisher noch selbstbewusst. „Beliebte Marken und Ideen wurden schon immer gerne kopiert, und natürlich kann es sein, dass sich darunter auch Produkte befinden, die mit 3-D-Technologie hergestellt werden“, sagt Unternehmenssprecherin Mandy Nieber. Mit einem Warenwert von 600 Milliarden Dollar richteten Produktpiraten weltweit jährlich einen riesigen Schaden an. Auch Adidas gibt viel Geld dafür aus, es den Produktpiraten schwer zu machen. Wie sich das Unternehmen vor 3D-Plagiaten schützen will, verrät die Sprecherin allerdings nicht: „Zu Details rund um die Sicherheitstechnologien an unseren Produkten können wir uns aus Wettbewerbsgründen nicht äußern.“

DNA soll Produkte sicher machen

Professor Sinn von der Universität Osnabrück ist fest davon überzeugt, dass alle Branchen von 3D-Druck-Plagiaten betroffen sein werden. „Stellen Sie sich vor, Ihr Rasenmäher geht kaputt, und Sie brauchen ein neues Teil. Dann laden Sie sich im Netz eine Bauanleitung herunter und drucken es flott selbst aus. Auch die Autoindustrie wird betroffen sein, und das halte ich für äußerst gefährlich, was den Sicherheitsaspekt angeht“, sagt Sinn. Auch Lebensmittel oder medizinische Hilfsmittel wie Prothesen oder Implantate seien betroffen. „Rein theoretisch wäre es auch denkbar, Medikamente mit dem 3D-Drucker herzustellen“. Statt Plastikkügelchen als Rohstoff für Turnschuhsohlen, könnte man auch medizinische Wirkstoffe in die Drucker geben. Hochgefährlich“, sagt Sinn. Seiner Meinung nach müssten durch die Industrie beim 3D-Druck Sicherheitsmerkmale wie Mikroteilchen oder sogar DNA aufgebracht werden. „Ich bin mir manchmal nicht so ganz sicher, ob die Industrie schon ahnt, was da auf uns zukommen wird“, sagt der Experte.

Fakt ist: Viele Branchen arbeitet bereits daran, entlang der gesamten Lieferkette den Lauf eines Produktes nachvollziehbar zu machen. Zum einen will sie sich mit moderner Technologie selbst schützen, zum anderen soll der Verbraucher die Echtheit des Produktes direkt erkennen können – ganz gleich ob es sich um ein Stück Fleisch, ein Turnschuh oder eine Pille handelt.

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Auch Medikamente können ausgedruckt werden

Doch der Kampf ist mühsam. Die Arzneimittelindustrie kämpft bereits seit Jahren mit Fälschern. Reinhard Hoferichter ist Apotheker beim Pharma-Riesen Sanofi in Frankfurt. Zugleich ist er Vorstandssprecher bei Securpharm, einer Organisation, die die technischen Voraussetzungen dafür schafft, dass Patienten in Apotheken keine gefälschten Arzneimittel erhalten. Ab Februar 2019 dürfen nach einer neuen EU-Fälschungsrichtlinie Pharma-Unternehmen nur noch Medikamente auf den Markt bringen, deren Packungen mit zwei Sicherheitsmerkmalen ausgestattet sind: einer individuellen Seriennummer sowie einem Schutz, anhand dessen erkennbar ist, ob die Packung bereits geöffnet wurde. „Apotheken müssen ab 2019 die Medikamente vor der Abgabe auf Echtheit überprüfen. Jede Packung wird zum Unikat und das schützt den Patienten vor Fälschungen. Für die Pharmabranche bedeutet das beträchtliche Investitionen, schließlich muss jede Produktionsstraße auf der Welt mit der neuen Technologie ausgestattet werden“, sagt Hoferichter. Dass mit 3D-Technologie künftig auch Medikamente gefälscht werden, hält der Experte für „theoretisch und praktisch machbar. Allerdings wird man die Schachteln mit den neuen Merkmalen nicht hinbekommen“, sagt Hoferichter. Viel größer sei die Bedrohung durch gefälschte Medikamente, die im Internet bestellt werden. „Dort sind die Hälfte aller Angebote Fakes.“

Der Zigarettenkonzern Philip Morris stellt in seinem Werk Berlin-Neukölln jährlich 55 Milliarden Zigaretten her, „manche Maschinen schaffen hier 1000 Schachteln pro Minute“, erklärt Manager Florian Müller, als er durch die laute Produktionshalle schreitet. Laut Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG sind heute 7 Prozent aller in Deutschland konsumierten Zigaretten in Deutschland geschmuggelt, die Schäden gehen in die Millionen. Kein Wunder, dass man sich bei Philip Morris schon seit Jahren um eine sichere Transportkette bemüht. „Wir wollen von der Produktion bis zum Kunden wissen, wo sich unsere Produkte befinden und dies können wir schon heute gewährleisten von der Schachtel über die Stange bis hin zum Karton. Durch unsere Sicherheitsmaßnahmen ist es uns bereits gelungen, den Schmuggel seit 2006 um 85 Prozent einzudämmen“, sagt Müller. Dabei arbeite man mit bewährten Zulieferern zusammen, die die Sicherheitsmerkmale – ganz ähnlich wie in der Pharmaindustrie – aufbringen. Individuelle Codes werden auf die Schachteln gedruckt, dann per Laser kontrolliert und im System gespeichert.

Ersatzteile für illegale Produktionslinien

„Schon bald soll auch der Kunde per App den Weg von der Produktion bis in den Handel nachverfolgen können“, sagte Müller, der die Tabakindustrie in der Vorreiterrolle sieht, was die sichere Lieferkette angeht.

Genau wie die Pharmaindustrie muss auch die Tabakindustrie bis 2019 eine neue Richtlinie umsetzen, die eine komplette Sicherung der Lieferkette vorschreibt. „Wir müssen dafür aber keine neuen Lösungen erfinden, denn wir haben in den vergangenen Jahren weltweit schon 150 Millionen US-Dollar ins Tracking and Tracing investiert. Die genutzten Technologien funktionieren und werden auch von den Strafverfolgungsbehörden für ihre Arbeit eingesetzt. Es muss jetzt nur noch von Händlern und Logistiker implementiert werden“, sagt Müller. Der 3-D-Druck ist in der Tabakindustrie nur mittelbar eine Gefahr. Zigaretten lassen sich schließlich nicht ausdrucken. Müller sieht dennoch neue Möglichkeiten für Fälscher, die sich bisher viel Mühe geben, alte Produktionsanlagen im Verborgenen aufzubauen. „Es ist denkbar, dass sich Fälscher mit 3D-Druckern Ersatzteile für ihre illegalen Maschinen herstellen.“

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Zoll gibt sich noch gelassen

Bei der Generalzolldirektion bleibt man trotz des prognostizierten Siegeszugs des 3D Druckers gelassen: „Zu mit 3D-Druckern hergestellten Plagiaten liegen hier weder konkrete Informationen noch Erkenntnisse zu Trends oder Entwicklungen bei Plagiaten vor. Es ist aber zu erwarten, dass diese Technologie auch immer mehr von Fälschern eingesetzt werden wird. Welche Waren mit 3-D-Druckern produziert werden, kann derzeit noch nicht abgesehen werden. Denkbar sind aber sämtliche Warengruppen, die aus Kunststoffen bestehen, wie zum Beispiel Spielzeug“, heißt es aus der Pressestelle.

Wenn man Professor Sinn aus Osnabrück Glauben schenken darf, dann sind die deutschen Strafverfolgungsbehörden gut beraten, beim Thema 3D, das Fluch und Segen zugleich sein kann, schnell mit Expertise rüsten.

Von Marco Tripmaker

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