„Ich wollte ein gutes, sicheres Leben“: Mutmaßlicher Folterarzt von Homs in Deutschland
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Der Angeklagte Alaa M. (links) mit seinem Anwalt Ulrich Endres.
© Quelle: Boris Roessler/dpa Pool/dpa
Frankfurt/Main. Ein größerer Kontrast ist kaum denkbar. Zwischen dem, wie Alaa M. wirkt, und den monströsen Taten, die er begangen haben soll, scheinen Welten zu liegen. Geduckt, den Kopf unter einer Kapuze mit breitem Fellrand verborgen, so betritt er an diesem Morgen den Saal 165c des Frankfurter Oberlandesgerichts. Den Blick nach unten gerichtet, die Fingerspitzen von linker und rechter Hand aufeinander gelegt, so hört er der Anklage zu. Es geht um Mord, um Folter, aber Alaa M. schüttelt nur ein-, zweimal kaum merklich den Kopf. Sonst: keine Regung.
Dabei gehört das, was dem 37-Jährigen vorgeworfen wird, zum Grausamsten und Perfidesten, was Menschen einander antun können. Alaa M. ist Arzt – aber in syrischen Militärkrankenhäusern in Homs soll er sein Wissen 2011 und 2012 nicht genutzt haben, um zu helfen, sondern um Menschen, in denen er Gegner des von ihm bewunderten Präsidenten Assad sah, zu quälen, ja sie regelrecht seelisch und körperlich zu zerstören.
Der Stolz auf eine „neue Foltermethode“
Auch in der nüchternen Sprache der Juristen klingt noch kaum erträglich, wessen sich M. in Syrien schuldig gemacht haben soll. Den „Versuch, einen anderen seiner Fortpflanzungsfähigkeit zu berauben,“ wirft ihm die Generalbundesanwaltschaft unter anderem vor. Dahinter verbirgt sich, dass M. die Genitalien unter anderem eines 14- oder 15-Jährigen mit Alkohol übergossen und angezündet haben soll. Anschließend, heißt es, habe er sich der Erfindung einer „neuen Foltermethode“ gerühmt.
Einem körperlich starken aufbegehrenden Häftling soll der selbst eher schmächtige Alaa M. mithilfe von Wärtern vor den Augen anderer Insassen eine Todesspritze gesetzt haben. Einem epilepsiekranken Mann hat er laut Anklage eine tödliche Tablette verabreicht. Auf den eitrig-entzündeten Arm eines Häftlings soll er getreten haben, bevor er den Mann mit weiteren Tritten ins Gesicht traktierte. Operiert haben soll er teils ohne Narkose. Die Folter hatte System in den syrischen Militärkliniken, resümiert die Bundesanwaltschaft – und Alaa M. soll ein besonders williger Teil dieses Systems gewesen sein. Die Anklage umfasst 18 Punkte.
M. arbeitete als Orthopäde in Göttingen und Bad Wildungen
Dass es jetzt in Frankfurt zu dem Prozess kommt, liegt an ehemaligen Kollegen und Opfern, die M. 2020 enttarnten und beschuldigten. Der war fünf Jahre zuvor nach Deutschland gekommen, anders als die meisten syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge aber nicht über das Mittelmeer, sondern dank seiner begehrten Qualifikation auf ganz regulärem Weg über die deutsche Botschaft im Libanon. „Ich wollte nach Deutschland, um meine Ausbildung zu verbessern“, so sagt es M. jetzt vor Gericht, „und ich wollte ein gutes, sicheres Leben.“
Beides gelangt ihm: In Deutschland machte er seinen Facharzt als Orthopäde, fand Arbeit in Kliniken in Göttingen und Bad Wildungen. In Deutschland kam sein zweites Kind zur Welt, seine Eltern kamen nach, und 2020 verhandelte er mit Banken bereits über den Kredit für den Kauf eines Hauses, als die Ermittler ihn an einem Juniabend direkt bei der Arbeit festnahmen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft, weil die Richter aus einer Whatsapp-Nachricht an die syrische Botschaft in Berlin seinen Willen zur Flucht herauslesen.
Woanders gearbeitet? M. streitet Vorwürfe ab
Alaa M. allerdings hat die Vorwürfe bislang geleugnet. Er habe zur fraglichen Zeit an ganz anderen Kliniken in Syrien gearbeitet – und will dies mit Dokumenten belegen. In den Vorwürfen sieht er offenbar die Angriffe muslimischer Oppositioneller auf ihn, der zur christlichen Minderheit in Syrien gehörte.
Nach dem Prozess in Koblenz, der vergangene Woche mit „lebenslänglich“ für den Vernehmungschef aus Damaskus endete, nimmt sich die deutsche Justiz nun bereits zum zweiten Mal der Verbrechen des syrischen Regimes an. Zum ersten Mal steht jetzt ein Mann vor Gericht, der selbst unmittelbar an der Staatsfolter beteiligt gewesen sein soll. Es dürfte ein äußerst aufwendiger Versuch der Aufarbeitung werden: Zum Senat gehören fünf Richterinnen und Richter, drei weitere sitzen im Saal und halten sich bereit einzuspringen.
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„Wir wollen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“: Syrer demonstrieren vor dem Gericht für die Verfolgung der Verbrechen in ihrer Heimat.
© Quelle: Niels Babbel/dpa
„Der Prozess ist ein starkes Bekenntnis der deutschen Justiz zum Weltrechtsprinzip“, sagte Oberstaatsanwältin Anna Zabeck am Rande nach dem ersten Prozesstag – jenem Völkerrechtsprinzip also, wonach Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch in anderen Staaten verfolgt werden können. Für viele Syrerinnen und Syrer in Europa ist dieser Versuch ein Zeichen der Hoffnung.
Vor dem Gerichtsgebäude erinnerte der inzwischen in Paris lebende Journalist Sakher Edris mit großformatigen Fotos an verschwundene syrische oppositionelle Mediziner. Noch am Morgen habe er mit einer Mutter gesprochen, sagt er – die hofft, dass ihr Sohn tot ist, damit er jedenfalls die Folter in den syrischen Gefängnissen nicht mehr erdulden muss. „Wir wollen“, sagt Edris, „dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“
RND