Kanzlerkandidatin Baerbock betritt die Wahlkampfbühne
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Berlin: Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock gibt eine Pressekonferenz.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Ein kurze Berührung ist es nur, im Vorübergehen, eine freundliche, verbindende Geste. Annalena Baerbock legt Robert Habeck die Hand auf den Oberarm, als sie sich an ihm vorbei zum Rednerpult schiebt, sie streicht ein wenig darüber.
Sie ist jetzt Kanzlerkandidatin der Grünen, die erste überhaupt der Partei, mit 40 Jahren die jüngste, die die Republik je gehabt hat. Eine Völkerrechtlerin und Mutter zweier Mädchen im Grundschulalter tritt an, eine Niedersächsin mit Wohnsitz im brandenburgischen Potsdam und einstige Klimaexpertin der Bundestagsfraktion, die Frau, die bei ihrer Kandidatur zum Parteivorsitz vor drei Jahren gewarnt hat, sie sei mitnichten „die Frau an Roberts Seite“.
Nun ist Habeck eher der Mann an Baerbocks Seite. Er hat es gerade so verkündet, und er hat es dabei ein bisschen spannend gemacht. Vier Minuten hat seine Rede gedauert, nach zwei Minuten erst fiel der Satz: „So ist heute der Moment zu sagen, dass die erste grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sein wird.“
Er hätte es ja selbst gerne werden wollen, lange galt der studierte Philosoph und Jugendbuchautor als dominante Figur der Grünen. Aber manchmal, sagt Habeck, „führt gemeinsamer Erfolg dazu, dass einer einen Schritt zurücktreten muss“. Nach drei Jahren im Team mit Baerbock ist er jetzt die Nummer zwei, der Tag ist der von Baerbock, Habeck bleibt die Rolle des Conferenciers. Da kann man ruhig mal etwas streicheln.
„Die Bühne gehört dir“, sagt Habeck.
Positive Vokabeln
Baerbock geht ans Rednerpult, nimmt einen Schluck Wasser und verkündet zufrieden: „So beginnt heute ein neues Kapitel für unsere Partei.“ Und wenn es gut laufe, sei es auch ein neues Kapitel für das Land. Baerbock statt Merkel ist die Idee, und dabei setzen die Grünen auf die Stichworte Vertrauen und Zuverlässigkeit und jede Menge anderer positiver Vokabeln.
Die Grünen haben ihre Kanzlerkandidatur ohne sichtbaren Streit geklärt, für die Kanzlerschaft, sagt Baerbock, habe man auch „eine klare Idee“.
Veränderungen seien nötig. „Zukunft ist nichts, was so passiert. Man muss die Dinge in die Hand nehmen.“ Und die Dinge, die Baerbock meint, zählt sie auf: Kitas, Schulen, verbesserte Bedingungen für Pflegekräfte, Digitalisierung, Bürgerrechte, Europa und – natürlich die Klimapolitik. „Das ist die Aufgabe unserer Zeit, die Aufgabe meiner Generation“, sagt Baerbock.
Man müsse dabei die Pendler mitdenken, die Industriearbeiter und die Menschen mit geringem Einkommen. Ein „Angebot für die gesamte Gesellschaft“ sei das. Um noch weiter zu wachsen, müssen die Grünen auch bei anderen Bevölkerungsschichten punkten. In den Umfragen haben sich die Grünen an der SPD vorbei auf den zweiten Platz vorgearbeitet. Aber ein bisschen was fehlt eben noch bis an die Spitze. Und das ist zumindest eine sicherere Variante als eine Dreierkonstellation etwa mit SPD und FDP aus der Position als zweitstärkste Partei.
Ich werde weiterhin Mutter bleiben, auch als Spitzenpolitikerin. Meine Kinder wissen, wo mein Zuhause und mein Herz ist.
Annalena Baerbock,
Grüne-Kanzlerkandidatin
Aber darüber spricht Baerbock erst einmal nicht. Sie spricht überhaupt nicht über Koalitionskonstellationen, nur in der Pressekonferenz erwähnt sie kurz, dass man mit der SPD in sozialen Fragen durchaus Gemeinsamkeiten habe.
Erst mal muss sie aber ja auch sich selber präsentieren.
Sie wirke sehr kühl und glatt, so wird sie zuweilen beschrieben. Das kann man ergänzen, Baerbock versucht es also mit etwas Emotionen: Bei der Pariser Klimakonferenz, auf der knapp 200 Staaten 2015 erstmals weltweite CO₂-Reduktionsziele vereinbarten, habe sie ihre damals sechsmonatige Tochter im Kinderwagen dabei gehabt. Alle hätten gejubelt, und sie habe an die Zukunft des Babys gedacht und dass die als Erwachsene hoffentlich erlebe, dass es „klimagerechten Wohlstand“ gebe. Ein bisschen Sachvokabular, auch bei den Emotionen.
Und wie sehen die Töchter das jetzt eigentlich mit der Kanzlerkandidatur, wird sie in der Pressekonferenz gefragt: „Ich werde weiterhin Mutter bleiben, auch als Spitzenpolitikerin. Meine Kinder wissen, wo mein Zuhause und mein Herz ist.“
Bisher hat sie sich die Mittwochnachmittage freigehalten, das könnte ein bisschen schwieriger werden in den kommenden Monaten. Für die täglichen Schul- und Kita-Sorgen sei ihr Mann zuständig, so hat es Baerbock schon öfters erzählt. Die große Veränderung sei ihr Sprung in die Parteispitze gewesen, die Kanzlerkandidatur sei da jetzt nicht mehr so viel anderes.
Kritik in warmen Worten
Wahlkampf ist immer auch Distanzierung von der Konkurrenz, aber das ist gar nicht so einfach, wenn man eine „andere politische Kultur“ ankündigt wie Baerbock. Eine, „in der man sich wertschätzt, nicht gegeneinander arbeitet, sondern miteinander“, in der Auseinandersetzungen immer fair sind. Kritik verpackt sie also in warme, sorgenvolle Worte.
Aber, so viel auf Nachfrage in der an die Rede anschließenden Pressekonferenz dann doch: Man wisse gar nicht, was die Union inhaltlich wolle. „Die sind blank.“
Wie die Entscheidung lief
Wenn das stimmt, hätten die beiden es geschafft, drei weitere Wochen völlig stillzuhalten. Auch diese Disziplin haben sie anderen Parteien gerade voraus.
Was dann letztlich den Ausschlag gegeben hat, ist nicht zu erfahren. „Natürlich hat auch die Frage der Emanzipation eine Rolle gespielt“, sagt Baerbock. Einen Mann aufstellen, wenn eine Frau als Kandidatin bereitsteht – viele Grüne haben vor der Entscheidung eingeräumt, dass das ein Szenario gewesen wäre, das man gut hätte erklären müssen. Baerbock und Habeck haben stets betont, es liege nicht nur an der Mann-Frau-Frage.
Gerappelt hat es offenbar auch ein bisschen. „Es ist emotional für beide gewesen. Wir haben uns in diesem Prozess nicht geschont“, sagt Baerbock. Das sei aber auch irgendwie klar, weil man ja nicht darüber gesprochen habe: „Wer gießt als Nächstes die Blumen?“
Habeck sagt: „Wir beide haben uns vorbereitet, wir beide wollten es.“ Die Diskussionen seien lang und „manchmal auch schwierig“ gewesen. Und seine Empfehlung für Baerbock klingt wie eine Erinnerung an diese Gespräche. Sie sei „eine kämpferische, fokussierte, willensstarke Frau, die genau weiß, was sie will“.
Und das ist auch bei ihm noch mal die Gelegenheit für freundliche Grüße an die Union: „Ich wollte immer, dass Führung so gelebt wird, dass man aneinander wächst und sich nicht gegenseitig das Bein wegtritt.“
Was das Trampolinspringen lehrt
Aber was ist mit der fehlenden Regierungserfahrung? Vor acht Jahren ist Baerbock zum ersten Mal in den Bundestag eingezogen, davor war sie Grünen-Landesvorsitzende in Brandenburg und Mitarbeiterin der Fraktion. Baerbock spricht das in ihrer Rede selbst an: „Ich war noch nie Kanzlerin und auch nie Ministerin“, sagt sie. Und wischt das gleich wieder weg: „Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere.“ In einem Interview kurz vor Silvester hat sie dazu einmal gesagt: „Niemand ist als Kanzler vom Himmel gefallen.“
In einem anderen hat sie auf ihre Erfahrung als Trampolinleistungssportlerin in der Jugendzeit verwiesen: Wenn man was Neues lernen wolle, müsse man „den Mut haben, den Absprung zu schaffen“.
Der mit der Regierungserfahrung, der ehemalige schleswig-holsteinische Umweltminister und Vizeregierungschef Habeck, erklärt, er werde dieses Wissen jetzt dazu verwenden, die Übernahme der Regierungsverantwortung vorzubereiten. Und da gibt es in der Tat einiges zu tun, wenn man nach Jahren in der Opposition nicht so ins Stolpern geraten will wie die FDP vor rund zehn Jahren.
Die Grünen müssen nun über ihre Strategien für die Koalitionsverhandlungen nachdenken
Wie etwa kann es funktionieren, eine vermutlich deutlich gewachsene Fraktion zu organisieren und zusammenzuhalten? Unter den neuen Abgeordneten werden unter anderem viele Vertreter der Grünen Jugend sein, sie haben sich bei den Listenaufstellungen gute Plätze gesichert. Es sei eine der großen Herausforderungen, ihre Ansprüche auf die reine Lehre mit dem Kompromissbedarf in einer Bundesregierung zu vereinen, heißt es in der Partei.
Strategien für Koalitionsverhandlungen müssen überlegt werden, und dann auch die Frage, mit welchem Ministerium am meisten bewegt werden kann. Das Bundesfinanzministerium, das als Schaltzentrale für alle Entscheidungen gilt. Wie führt man das Umweltministerium aus seiner Randexistenz? Lässt es sich mit Wirtschafts- und Verkehrsressort zu einer Art Klimaministerium umbauen? Wäre es gut, wenn die Grünen zum ersten Mal auch das Innenministerium beanspruchen, um Flüchtlingspolitik und innere Sicherheit neu zu gestalten, oder lässt sich das kaum umsetzen, mit einem seit Jahren von der Union geführten Ministerium mit einem entsprechend gepolten Beamtenapparat?
„Wir werden diesen Wahlkampf gemeinsam führen. Die größte Kraft entwickelt man immer nur zusammen“, betont Baerbock.
Habeck ist da irgendwohin in die Kulisse verschwunden. Die Bühne gehört Baerbock. Die Grünen jubeln, den ganzen Tag.