Muslime in China: Fastenbrechen zwischen Spitzeln und Überwachungskameras
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Hui-Muslime beim Fest des Fastenbrechens an der Pekinger Niujie-Moschee.
© Quelle: Getty Images
Peking. Wer in Pekings größter Moschee zum Festtagsgebet möchte, muss zunächst einen Metalldetektor passieren und eine Leibesvisitation hinter sich bringen. Mehrere uniformierte Bereitschaftspolizisten überblicken das Geschehen, zudem haben sich einige Beamte in Zivil, leicht an ihren verkabelten Ohrsteckern zu erkennen, in die Menschenmenge gemischt.
Nach dem Sicherheitscheckpoint führt ein labyrinthartiger Gang in den steinernen Innenhof der Niujie-Moschee, auf dessen grünen Gebetsteppichen bereits Hunderte Gläubige Platz genommen haben.
„Salam Aleikum“, tönt eine männliche Stimme aus den übersteuerten Lautsprecheranlagen. Keine fünf Kilometer vom kommunistischen Regierungsviertel entfernt feiern Pekings Muslime das Ende des Fastenmonats Ramadan.
Wenn es in den Medien um Islam in China geht, dann sind meist die Uiguren in Xinjiang gemeint, wo Hunderttausende Muslime in Umerziehungs- und Straflagern interniert sind.
Knapp elf Millionen Chinesen zählen sich zur sogenannten Hui-Minderheit
Doch die zahlenmäßig größte Gruppe an Gläubigen genießt ungleich größere Freiheiten: Knapp elf Millionen Chinesen zählen sich zur sogenannten Hui-Minderheit. Auch wenn sie einen vom Sufismus geprägten Islam praktizieren und kein Schweinefleisch essen, sind sie ansonsten ethnisch sowie kulturell weitgehend assimiliert.
Gleichzeitig jedoch hat Xi Jinping, Chinas mächtigster Staatschef seit Mao Tsetung, die staatliche Kontrolle in sämtlichen Bereichen des sozialen Lebens grundlegend verschärft. Wie frei also schaut muslimischer Alltag im China der Gegenwart aus?
Es ist ein sonniger Maitag im Niujie-Viertel, chinesisch für „Rindergasse“. Über tausend Jahre, nachdem sich unweit des Pekinger Stadtzentrums erstmals Gläubige niedergelassen haben, erinnert die Gegend vor allem an touristische Folklore: Reisegruppen im Seniorenalter stehen Schlange vor Halal-Restaurants, die Lammspieße und Nudelsuppen anbieten.
In den Metzgereien hängen Männer mit weißen Gebetskappen riesige Rinder an Fleischhaken auf. Aus den schnörkellosen Häuserfassaden ragen geschwungene Dachsparren hinaus, offenbar um ihnen zumindest den Anschein von Historizität zu verleihen.
Omnipräsente Überwachung gehört längst zum Niujie-Viertel
Zur Normalität im Niujie-Viertel gehört längst auch die omnipräsente Überwachung: Wer die großspurig umzäunte Moschee passiert, wird unweigerlich von einem Dutzend Kameras erfasst. Eine mobile Polizeistation ist einen Steinwurf vom Eingang an der Straßenkreuzung geparkt. Bedrückender als die sichtbare Kontrolle ist jedoch die verinnerlichte Selbstzensur.
Wer scheinbar harmlose Fragen zum muslimischen Alltag im Viertel stellen möchte, wird von einst freundlichen Gesprächspartnern harsch zurückgewiesen: „Nein, nein, nein“, sagt ein Ladeninhaber, der gerade auf einem Plastikstuhl am Gehsteig Siesta hält: „Alles, was mit ethnischen Minderheiten zu tun hat, ist ein sensibles Thema.“
Nachdem er sich eine schwarze Schutzmaske übers Gesicht hochgezogen hat, fügt er vage hinzu: „Wer kann schon sagen, ob die Situation gut oder schlecht ist? Ich rate euch, mit niemandem hier im Viertel zu sprechen.“
Aus der kommunistischen Perspektive ist Religion immer eine Bedrohung.
Ma Haiyun,
Historiker an der Frostburg-Universität
Wer kritisch reden kann, sitzt zumeist im Ausland. „Aus der kommunistischen Perspektive ist Religion immer eine Bedrohung. Sie wollen jede soziale Bewegung zerstören, die die Leute mobilisieren kann“, sagt Historiker Ma Haiyun, der an der amerikanischen Frostburg-Universität zum Islam in China forscht. Für die Parteikader in Peking sei ein mahnendes Beispiel, dass die katholische Kirche in Polen mit zum Sturz der kommunistischen Regierung geführt hat.
Dabei gab es auch in der Volksrepublik China ein Zeitfenster beachtlicher religiöser Freiheit. Ma Haiyun, der in den frühen 70ern in der nordwestlichen Provinz Qinghai geboren ist, hat sie während seines Anthropologiestudiums in Peking selbst miterlebt: Auf dem Universitätscampus durften die Studierenden noch offen beten und fasten. Mit dem Amtsantritt Xi Jinpings hingegen habe ein „radikaler Umbau“ begonnen.
Wo einst Pekings wichtigster islamischer Buchladen war, ist heute ein hippes Co-Working-Space
Dieser schlägt sich auch im Stadtbild nieder. Wo einst Pekings wichtigster islamischer Buchladen stand, hat sich mittlerweile ein hippes Co-Working-Space eingenistet. Vor vier Jahren wurde der Publizist Ma Yinglong, Inhaber de Qingzhen-Buchhandlung, verhaftet und soll seither in Xinjiang interniert sein.
Nur einen Steinwurf von seinem ehemaligen Laden entfernt ragt nach wie vor ein Kirchturm in den strahlend blauen Himmel. Bei genauerem Hinsehen ein befremdlicher Anblick: Rostige Gitterstäbe versperren den Eingang, stattdessen hat sich in dessen Erdgeschoss eine Caféfiliale eingenistet. Wie zur Machtdemonstration ragt ein riesiger Fahnenmast mit China-Flagge vor dem Gebäude.
Staatschef Xi Jinping spricht von „Sinisierung“ der Religionen
Staatschef Xi Jinping bezeichnet dies stolz als „Sinisierung“ der Religionen. Auch in der Niujie-Moschee hat die Kommunistische Partei eine Glasvitrine mit Propagandapostern installiert, in der stolz über die Bemühungen berichtet wird, den Islam „chinesischer“ zu machen.
Eines der Fotos zeigt Imame in einem Klassenzimmer, darunter prangt der Schriftzug: „Die Verfassung und die Gesetzgebung erhalten Einzug in die Moschee“.
In versteckten Läden werden bei orientalischer Musik Korane und Hijabs verkauft
Wer dem langen Arm der Partei entkommen möchte, muss im Niujie-Viertel durch unscheinbare Hintereingänge schreiten. Nicht sichtbar für die Passanten auf der Straße, werden hier in versteckten Läden bei orientalischer Musik Korane und Hijabs verkauft, islamische Keramik und Wandkalender mit Bildern der Mekka-Wallfahrt.
An einem der Hauseingänge sitzt Frau Wang in ihrem spartanischen Immobilienbüro und empfängt Gäste mit Grüntee und einem freundlichen Lächeln. Die Enddreißigerin mit dem zartrosa Kopftuch lebt seit der Jahrtausendwende im Viertel, ihre Familie ist seit Generationen bereits muslimisch.
„Meine Tochter ist zunächst auch auf eine muslimische Grundschule gegangen, doch mittlerweile ist sie zu einer säkularen Mittelschule gewechselt“, sagt sie: „Die Bildung dort ist einfach besser.“ Probleme in der Nachbarschaft gebe es eigentlich keine, nur beim Verzehr von Schweinefleisch kommt es manchmal zu Konflikten mit Han-Chinesen.
Obgleich unser Gespräch keine „sensiblen“ Themen streift, betritt schon bald ein männlicher Arbeitskollege von Frau Wang das Büro. Er flüstert ihr leise ins Ohr, den Gästen nicht allzu viel zu erzählen. Frau Wang lächelt verlegen, doch einer solchen Mahnung hätte es ohnehin nicht bedurft: Im China der Gegenwart weiß wohl jeder nur allzu gut, worüber man besser nicht redet.