Norbert Röttgen: „Die CDU ist in einem gefährlichen Zustand“
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CDU-Vorsitzkandidat Norbert Röttgen, hier bei einer Diskussionsrunde in der Parteizentrale, hält ein neues Klimakonzept seiner Partei für notwendig.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Berlin. Herr Röttgen, diese Woche wechselt die Regierung. Es endet die 16-jährige Amtszeit Merkels, und die CDU verliert die Regierungsmacht. Was bedeutet das für Sie?
Ein langer Zeitabschnitt geht zu Ende. Nach 16 Jahren steht die CDU vor einem Rollenwechsel. Aber ich verbinde damit nicht nur das Wort Ende, sondern vor allem auch die Chance zu einem Aufbruch. Ich habe mir schließlich etwas vorgenommen.
Sie wollen Parteichef werden. Was würden Sie von Merkel in die neue Zeit der CDU hinüberretten – und was würden Sie ändern?
Ich möchte, dass die CDU in Frieden ist mit der Zeit ihrer Regierungsverantwortung. Die SPD hat uns vorgelebt, was es bedeutet, wenn man das nicht schafft. Das erschüttert die Partei bis heute. Wir sollten das anders machen und mit Stolz sagen: Wir haben mit Angela Merkel an der Spitze Deutschland durch schwierige Zeiten geführt. Dann müssen wir aber auch feststellen, wie die Lage jetzt ist: Die CDU ist in der Opposition und als Volkspartei erstmals gefährdet.
Woran liegt das?
Es liegt an Versäumnissen der letzten Jahre, dass wir in diesen gefährlichen Zustand gekommen sind. Ich beschreibe es mal positiv: Wir müssen wieder Anschluss in der ganzen Bandbreite der Gesellschaft finden. Noch vor einem halben Jahr galt für die CDU ein Wahlergebnis von unter 30 Prozent als schlecht, bei der Bundestagswahl sind wir bei 19 Prozent angekommen.
Diese Analyse teilen alle drei Parteichefkandidaten. Was ist Ihr besonderer Ansatz?
Ich glaube, dass ich als Parteichef für viele gesellschaftliche Gruppen anschlussfähig wäre, die uns zuletzt nicht mehr gewählt haben. Ich vertrete klare Meinungen, ohne zu polarisieren – hinter mir könnte sich die ganze Breite der Partei versammeln. In meinem Profil ist für konservativ gesonnene Menschen eine Menge drin, aber genauso für die Christlich-Sozialen und die Liberalen. Mein Anspruch ist, dass wir in den großen Fragen unserer Zeit wieder geistig-intellektuell führend werden, und ich habe den unbedingten Willen, das zu erreichen.
Den unbedingten Willen zur Macht?
Den unbedingten Willen, dass die Partei, der ich seit 40 Jahren angehöre und die Deutschland wie keine andere geprägt hat, Volkspartei bleibt. Aber Macht gehört natürlich dazu, denn vier Jahre Opposition reichen.
In den vergangenen Jahren haben sich in der CDU vor allem die Konservativen beschwert, sie würden zu wenig berücksichtigt. Teilen Sie deren Eindruck?
Wenn Sie die Christlich-Sozialen bei uns fragen, dann werden Sie dort auch hören, dass soziale Themen nicht mehr richtig vorgekommen sind. Ich denke, wir müssen alle Bereiche stärken. Für konservative Themen wie die innere Sicherheit muss bei uns genauso Platz sein wie für das Soziale.
Ist nicht die Fähigkeit zur Polarisierung das, was von einem Oppositionsparteiführer erwartet wird?
Den Ruf nach Polarisierung und besonders harter Kante gibt es. Aber ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der CDU-Mitglieder mitbekommen hat, dass wir nicht an die AfD verloren haben, sondern an die SPD, die Grünen und die FDP, also in der Mitte. Und da schätzen die Menschen, meiner Überzeugung nach, klare Positionen, aber keinen Schaum vorm Mund.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Oppositionsarbeit?
In der Opposition müssen sich drei Dinge verbinden. Erstens: In einer Notlage, wie wir sie jetzt in der schlimmsten Phase der Pandemie haben, geht es um Gemeinsamkeit und Zusammenhalt. Zweitens: Wenn die Regierung Fehler macht, muss das scharf kritisiert werden, aber mit Argumenten, nicht nur mit plakativen Vokabeln. Und drittens müssen wir mit eigenen Inhalten zeigen, dass wir ein gutes Angebot für die Wählerinnen und Wähler haben.
Die Jungen werden der CDU überhaupt erst wieder zuhören, wenn wir glaubwürdig vermitteln, es mit der Klimapolitik ernst zu meinen.
Norbert Röttgen
Was heißt das für den Umgang mit der AfD?
Zu einer Partei, die Rechtsextremismus als Teil der eigenen Strukturen akzeptiert, kann es nur scharfe Abgrenzung geben. Wir lehnen Extremismus ab und auch Parteien, die Extremismus bejahen. Da gibt es in der CDU keine Kompromisse. Wer diesen Konsens infrage stellt, wird scharfen Widerstand erleben. Ich kann nur jedem raten, der an diesem Grundsatz zweifelt, sich vor Augen zu führen, dass die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler jede auch nur sprachliche Annäherung an die AfD nicht honoriert – im Gegenteil.
Apropos verbale Annäherung: Was halten Sie von dem von manchen in der Union benutzten Begriff „Links-Gelb“ für die Ampel?
Ich habe diesen Begriff bislang nicht verwendet und habe das auch nicht vor. Die Ampel bietet schon jetzt genug Anlass, sie in der Sache zu kritisieren.
Die CDU hat bei Jungwählern stark verloren. Wie wollen Sie das ändern?
Die Jungen werden der CDU überhaupt erst wieder zuhören, wenn wir glaubwürdig vermitteln, es mit der Klimapolitik ernst zu meinen. Dazu gehört eine ehrliche Bilanz dessen, was wir beim Klimaschutz geschafft und eben auch nicht geschafft haben. Unser Anspruch für die Zukunft muss sein, die Partei mit den besten Lösungen für die Klimatransformation zu sein. Außerdem müssen wir in der Kommunikation besser werden und die Medien nutzen, auf denen junge Leute unterwegs sind. Wir müssen in den sozialen Medien präsent sein, und zwar in der Sprache, die dort genutzt und verstanden wird.
Muss die CDU anschlussfähig werden für Fridays for Future?
Wir teilen sicher nicht alle Positionen. Aber was den Klimaschutz angeht, müssen wir diskussionsbereit sein und uns gegenseitig ernst nehmen.
Die CDU hat die Bedeutung und Wirkweise von sozialen Medien unterschätzt. Und das tun wir teilweise noch immer. Wir waren völlig hilflos gegenüber der großen Wirkung, die eine einzelne Person auf Youtube entfaltet hat. Wir müssen lernen, in den sozialen Medien zu Hause zu sein.
Muss man auf Homestories und Hundebilder setzen, wie Sie das auf Ihren Onlinekanälen tun?
Das ist die Kultur von sozialen Medien. Sie besteht auch darin, dass Persönliches und die Neugier der Menschen darauf nicht ausgeschlossen werden können. Wer glaubt, soziale Medien rein als Verkündungsplattform nutzen und sich dort nur als Politiker präsentieren zu können, der irrt. Es lässt sich nicht einfach die analoge Zeit mit einer neuen Technik fortsetzen.
Das heißt, Sie brauchen die Hilfe Ihres Hundes?
Crissy ist aktive Wahlkämpferin, ja.
Im Zentrum der Politik steht nach wie vor die Corona-Bekämpfung. Kommendes Jahr wird im Bundestag über eine Impfpflicht abgestimmt. Wie werden Sie abstimmen?
Ich war zunächst skeptisch gegenüber einer allgemeinen Impfpflicht. Ich bin davon ausgegangen, dass sich auch auf freiwilliger Basis eine Impfquote erreichen lässt, die ausreichend vor Infektionswellen schützt. Das ist aber nicht der Fall. Dadurch ist auch die gesellschaftliche Akzeptanz für eine Impfpflicht gestiegen, die man ja nicht gegen die Menschen durchsetzen könnte. Das hat auch bei mir zu einem Umdenken geführt: Ich werde im Januar im Bundestag für eine Impfpflicht stimmen. Die Zeit bis dahin sollten wir nutzen, um zu diskutieren und zu erklären, warum eine Impfpflicht nun doch nötig ist, nachdem sie lange ausgeschlossen wurde. Das kann man nicht einfach verkünden.
Halten Sie die Impfpflicht für rechtlich haltbar?
In der Abwägung zwischen der nicht unbeachtlichen Eingriffsschwere und Schadensabwägung für die Gesellschaft ist sie verfassungsrechtlich klar zu rechtfertigen. Die Nichtimpfung hat so viel Krankheit und Tod zur Folge. Der kritische Punkt war für mich bislang eher die Frage der Impffolgen. Mittlerweile ist klar: Es gibt durch die gigantische Zahl der Impfungen weltweit ausreichend Daten, die die Sicherheit der Impfung belegen.
Die Gegner der Impfpflicht argumentieren, sie spalte die Gesellschaft.
Die Spaltung dadurch, dass man es immer noch einer Minderheit überlässt, eine riesige Infektionswelle auszulösen, die die gesamte Bevölkerung trifft und einschränkt, wiegt deutlich schwerer.
Zur Außenpolitik: Die nächste Außenministerin heißt Annalena Baerbock. Was wird ihre dringlichste Aufgabe?
Ihre dringlichste Aufgabe besteht darin, eine handlungsfähige europäische Außenpolitik herbeizuführen. Wir dürfen uns nicht mit der europäischen Ohnmacht abfinden, wie sie nach dem US-Rückzug aus Afghanistan zu sehen war. Die EU muss in der Lage sein, ihre eigenen vitalen Interessen zu vertreten und notfalls auch robust zu verteidigen. Das tut kein anderes Land für uns, auch nicht die USA. An deren neuen Prioritäten – das eigene Land und China – wird sich so schnell nichts ändern.
Wir werden auf militärische Aggression gegen die Ukraine nicht mit einem eigenen militärischen Einsatz antworten. Das weiß Putin.
Norbert Röttgen
An der Grenze der Ukraine hat Russland Truppen zusammengezogen. Die Nato warnt. Rechnen Sie mit einem Krieg?
Ich weiß es nicht – und das allein sagt viel. Wladimir Putin zwingt die Ukraine durch eine massive Truppenkonzentration in der Grenzregion zum wiederholten Mal innerhalb kürzester Zeit, sich auf Krieg einzustellen. Rein militärisch könnte der jeden Tag stattfinden. Diese Einschüchterung belastet und destabilisiert das Land, weil kein normales ziviles und wirtschaftliches Leben mehr stattfinden kann. Auch das ist sicher eines der Ziele von Putin.
Was folgt daraus für den Westen außer: warnen, warnen, warnen?
Abschreckung, Abschreckung, Abschreckung. Die Nato wird keinen Krieg mit Putin führen. Wir werden auf militärische Aggression gegen die Ukraine nicht mit einem eigenen militärischen Einsatz antworten. Das weiß Putin. Aber er muss auch wissen, dass das, was wir stattdessen tun können, sein Land schwer treffen wird. Wir wollen Russland nicht isolieren. Aber wenn es zu einem Krieg käme, würde es sehr harte wirtschaftliche Sanktionen gegen das gesamte Regime geben.
Was bedeutet es, dass US-Präsident Joe Biden Russland jetzt vor schweren Konsequenzen warnt? Erwarten Sie einen militärischen Alleingang der USA?
Die USA unterstützen die Ukraine schon heute mit Waffenlieferungen. Im Falle eines Krieges würden sie das sicher intensivieren, aber dass die USA sich selbst militärisch beteiligen, nachdem sie gerade erst aus Afghanistan abgezogen sind, kann ich mir kaum vorstellen. Die wirtschaftliche Lage in Russland ist schon jetzt ziemlich verheerend, weitere Wirtschaftssanktionen würden Putin und sein System schwer treffen.
Wird notfalls die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 gekappt?
Ich habe Nord Stream 2 immer für ein falsches Projekt gehalten, das dazu dient, die Ukraine zu destabilisieren. Wenn es wirklich zu einem Krieg käme, halte ich es für unvorstellbar, dass die Pipeline noch ans Netz gehen kann. Gleichzeitig sage ich, dass alles, was genehmigt ist, von uns nicht zum Sanktionsgegenstand gemacht werden sollte. Deutschland hat sich leider in eine Situation gebracht, in der es inzwischen 50 Prozent seines Erdgases aus Russland bezieht.
Die USA liefern Waffen in die Ukraine. Sollte sich Deutschland auch dazu entschließen?
Die vergangene Regierung hat entschieden, nicht zu liefern. Von der neuen Regierung erwarte ich nichts anderes. Waffen für die Ukraine wird es also von Deutschland nicht geben.
Die Flüchtlinge an der belarussisch-polnischen Grenze haben das Thema Migration wieder in den Vordergrund geschoben. Rechnen Sie noch mit einer EU-weiten Migrationsstrategie?
Es ist nicht realistisch, mit einem EU-weiten Konzept zum Umgang mit Migration und der Integration und Aufnahme von Flüchtlingen zu rechnen. Umso wichtiger ist es, dass sich kooperationsbereite Staaten darum kümmern, mit Herkunfts- und Durchgangsländern von Migranten Abkommen zu schließen.
Die Ampelkoalition will, dass sich aufnahmebereite EU-Mitgliedsstaaten zusammenschließen.
Das sind keine neuen Ziele und wird ja im Grunde schon jetzt immer wieder so gehandhabt. Aber an der fehlenden Bereitschaft einer Mehrheit der Staaten, daran mitzuarbeiten, hat sich nichts geändert. Darin liegt das Problem.
Im Koalitionsvertrag findet sich auch die Forderung nach einer europäischen Seenotrettung.
Auch das ist vor allem mal ein Ziel, für das es in Europa keinen Konsens gibt. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass hinter dem Begriff ein Dilemma steckt: Es gibt die Pflicht, Menschen in Not zu helfen. Aber genauso ist es unsere Aufgabe, zu verhindern, dass sich diese Menschen überhaupt erst in Not begeben. Das muss zusammengedacht werden.