Polens oberste Richter sagen: EU-Recht verstößt teilweise gegen polnische Verfassung
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/Z2G4WO63RNFNREEX6ECZ5V6XEA.jpeg)
Das polnische Verfassungsgericht in Warschau (Archivfoto). Teile des EU‑Rechts sind laut einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts nicht mit der Verfassung des Landes vereinbar.
© Quelle: Czarek Sokolowski/AP/dpa
Brüssel. Ein schwerer Schlag gegen die gemeinsame Rechtsordnung in der EU: Das polnische Verfassungsgericht hat am Donnerstag entschieden, dass Teile des EU‑Rechts im Widerspruch zur polnischen Verfassung stehen. Damit schloss sich das Oberste Gericht Polens der Auffassung der Regierung an, wonach nationales Recht EU‑Recht brechen kann. Das Urteil dürfte den seit Jahren andauernden Streit zwischen Warschau und Brüssel anheizen.
Konkret ging es bei dem Verfahren darum, ob Bestimmungen aus den EU‑Verträgen, mit denen die EU‑Kommission ihr Mitspracherecht bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit begründet, mit der polnischen Verfassung vereinbar sind.
Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte das polnische Verfassungsgericht gebeten, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. März zu überprüfen. Darin hatten die obersten EU‑Richter festgestellt, dass EU‑Recht Mitgliedsstaaten zwingen kann, einzelne Vorschriften im nationalen Recht außer acht zu lassen, selbst wenn es sich um Verfassungsrecht handelt.
Laut EuGH könnte das Verfahren zur Besetzung des Obersten Gerichts in Polen gegen EU-Recht verstoßen. Dies würde bedeuten, dass der EuGH Polen zwingen könnte, Teile der umstrittenen Justizreform der nationalkonservativen PiS-Regierung aufzuheben.
In seinem Urteil erklärte das Oberste Gericht Polens nun aber: „Der Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen, verstößt gegen die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Regel, dass die Souveränität im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibt.“
Asselborn reagiert entsetzt
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn reagierte entsetzt auf das Urteil. „Das Urteil macht die Grundidee der europäischen Integration kaputt“, sagte Asselborn dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Das müsse Konsequenzen haben, so der dienstälteste Außenminister der EU weiter: „Es darf kein EU‑Geld mehr in Länder fließen, die aus der europäischen Rechtsordnung ausscheren.“ Die EU-Kommission müsse jetzt umgehend ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen einleiten, forderte Asselborn.
Unterstützung für seine Forderung bekam Asselborn aus dem Europaparlament. Der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund sagte: „Mit diesem Urteil verabschiedet sich Polen aus der europäischen Rechtsordnung. Sobald das Urteil rechtskräftig wird, muss es finanzielle Konsequenzen geben.“ Ohne europäische Rechtsordnung dürfe es keine Zahlung von EU‑Subventionen geben. „Auch die Bewilligung des Corona-Wiederaufbauplanes für Polen durch die EU-Kommission ist jetzt ein absolutes Tabu“, sagte Freund.
„Polen schlafwandelt Richtung EU‑Austritt“, sagte der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner. „Der Polexit ist nicht länger nur ein Hirngespinst der Rechtspopulisten in Polen, sondern leider reale Gefahr.“ Wer EU‑Recht nur nach eigenem Gutdünken einhalten wolle, könne nicht Mitglied der EU bleiben, so Körner. „Alle für Polen vorgesehenen EU‑Mittel müssen mit sofortiger Wirkung eingefroren werden.“
Die EU‑Kommission hat wegen der Justizreformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet und Klagen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht. Zudem hält die Behörde von EU‑Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits seit Wochen Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds zurück, die für Polen bestimmt sind. Sie sorgt sich, dass das Geld nicht genügend gegen Korruption geschützt ist.