Sigmar Gabriel und Clemens Tönnies: Buhmänner unter sich
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Clemens Tönnies, Unternehmer, und der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD, rechts) nehmen an einer Pressekonferenz teil.
© Quelle: ---/dpa
Berlin. Schweinsfüße mag nicht jeder. Sie enthalten kaum Muskeln, dafür viel schwabbeliges Zeug. Zudem sehen sie unschön aus mit ihren Klauen. In Europa gibt es für Schweinsfüße kaum einen Markt. Auch wenn der französische Spitzenkoch Paul Bocuse sie gegrillt sogar zu seinen Lieblingsgerichten zählte. Allerdings ließ der sie vorher zehn Stunden köcheln, mit Wein und Gemüse.
In China indessen ist der Schweinsfuß allgemein beliebt, er gilt sogar als Delikatesse. Man fügt am Ende scharfe Gewürze hinzu. Diese etwas andere Sicht auf die Partie unterhalb der Haxe macht aus abgeschnittenen Tierteilen, die ohne Globalisierung der Märkte in Deutschland im Schlachtabfall landen könnten, ein hochprofitables Milliardengeschäft.
Um Schweinsfüße ging es, als der Fleischfabrikant Clemens Tönnies sich Anfang des Jahres telefonisch bei Sigmar Gabriel meldete. Ob der frühere Außenminister ihm vielleicht behilflich sein könne bei der Lösung eines Problems?
Zwischen den Behörden in China und Deutschland schaukelte sich damals gerade ein Streit hoch. Hintergrund war die wachsende Sorge vor einer Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest. Berlin pochte auf Anwendung von EU-Regeln bei der Fleischkontrolle, China verlangte die Beachtung spezieller eigener Normen, dies wiederum führte zu einem Grundsatzstreit über die gegenseitige Anerkennung lebensmittelrechtlicher Vorschriften.
Kleine Details und ein großer Fehler
“Das war ein bürokratisches Detail, aus dem ein Politikum zu werden drohte”, sagt Gabriel.
Als früherer Bundesminister kennt man solche Konstellationen – und hat keine Angst vor ihnen. Da Gabriel auch schon zwei Jahre kein Regierungsamt mehr hatte, inzwischen nicht mal mehr Abgeordneter war, sah er auch keine rechtlichen Probleme.
Gabriel sagte Tönnies, er werde sich kümmern – und machte in diesem Moment politisch einen der wohl größten Fehler seines Lebens.
Allen Ernstes erklärte sich nun der langjährige Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bereit, für einen Mann zu arbeiten, der schon damals wegen ausbeuterischer Methoden und rassistisch anmutender Sprüche auf viele Bundesbürger wirkte wie der Fürst der Finsternis.
Laut ARD-Magazin “Panorama” wurden als Vergütung 10.000 Euro pro Monat vereinbart, plus vierstelliges Zusatzhonorar für jeden Reisetag – die Summen werden von beiden Seiten weder bestätigt noch dementiert.
Damals ahnte Gabriel nicht, dass alles sogar noch schlimmer kommen würde mit Tönnies. Im Juni machte der Corona-Ausbruch im Schlachthof von Rheda-Wiedenbrück den Unternehmer endgültig zum “Buhmann der Nation”, wie Gabriel heute selbst analysiert. “An ihm macht sich alles fest.”
Allerdings wird jetzt auch Gabriel selbst zum Buhmann – vor allem in seiner eigenen Partei.
Ein SPD-Festtag ist vermasselt
“Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergibt sich aus unseren Grundwerten, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält”, erklären die neuen SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am Donnerstag in einem gemeinsamen Statement für das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
“Der Vorgang ist befremdlich und peinlich”, schimpft Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, ein Parteifreund und Landsmann Gabriels. Was die Sache aus sozialdemokratischer Sicht besonders ärgerlich macht: Eigentlich hätte dieser Donnerstag ein politischer Festtag für die SPD werden sollen.
Nach Jahren des Ringens mit der Union verabschiedet der Bundestag endlich die Grundrente. Und das, obwohl die für die Finanzierung eigentlich fest eingeplante Finanztransaktionssteuer noch lange nicht in trockenen Tüchern ist. Die SPD hatte so lange Druck gemacht, bis CDU und CSU eingeknickt sind. Die Sozialdemokraten sehen das als einen ihrer größten Erfolge in dieser Legislaturperiode.
Die Pressemitteilungen waren schon geschrieben, Jubelbilder im Fernsehen fest eingeplant – und dann kam Gabriel und machte seinen Parteifreunden einen Strich durch die Rechnung. Statt Stolz empfinden viele nun Scham. Es fallen Begriffe, die man nicht aufschreiben darf, weil sie den Straftatbestand der Beleidigung erfüllen. “Gabriel selbst”, knurrt ein Genosse, “wäre in einer solchen Situation ausgerastet.”
Über den Konflikt zum Konsens
Was hat den Mann aus Goslar dazu gebracht, sich als Sozialdemokrat so sehr zu versteigen? Schon seine Berufung in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank hatte vielerorts Kopfschütteln ausgelöst. Aber Tönnies? Und dessen Export von Schweinsfüßen? Geht es eigentlich noch unansehnlicher?
Typen wie Tönnies aber üben auf Typen wie Gabriel eine seltsame Anziehungskraft aus. Der SPD-Mann taxiert solche Leute, will sie fassen, sie knacken, mit ihnen am Ende einen Deal hinkriegen. In der Politik, zumal in der Außenpolitik, läuft das oft so. Über den Konflikt zum Konsens: Gabriel hat den Weg unzählige Male beschritten.
Als Bundeswirtschaftsminister im Jahr 2015 geriet Gabriel mit Tönnies heftig aneinander. Es ging um die Bezahlung der Mitarbeiter, auch um den hohen Anteil der Werkverträge und auch um die Unterkünfte. “Eine Schande für Deutschland” seien die Zustände in der Fleischbranche, donnerte Gabriel damals.
Gabriel griff Nahles ins Lenkrad
Jedoch habe er es immer für falsch gehalten, mit Tönnies nicht zu reden, sagt er heute.
Ein doppeltes Spiel? Gabriel deutet auf die anderen Umstände. Anders als heute sei damals die CDU/CSU nicht bereit gewesen, Werkverträge in der Fleischbranche zu untersagen. In schwierigen Gesprächen, auch mit Tönnies, der immerhin einige Beweglichkeit gezeigt habe, hätten die SPD-Minister damals zumindest erreicht, dass die Fleischbranche erstmals einen Mindestlohn einführt.
Gabriel griff damals der eigentlich für Löhne und Arbeitsbedingungen zuständigen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ins Lenkrad. Die allerdings erschien ihm allzu mutlos – nur weil die Union keine neuen Gesetze wollte.
Gabriel hatte schon die Hörner gesenkt zu seinem ganz eigenen Kampf. Er wollte vorführen, was alles geht, wenn Kerle wie er und Tönnies mal hinter verschlossener Tür die Ärmel hochkrempeln.
Die Branche sagte damals auch einen freiwilligen Abbau der Werkverträge zu. Doch im Laufe der Jahre tat sich wenig. Was blieb, war eine neue Nähe zwischen Tönnies und Gabriel.
Der SPD-Mann kam dem Fleischhändler überraschend sogar zu Hilfe, als der unter Rassismusverdacht geriet. Tönnies hatte im Jahr 2019 in einer öffentlichen Rede dazu geraten, 20 neue Kraftwerke in Afrika zu finanzieren – “dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren”.
Gabriel fand den Spruch “absolut daneben” und riet Tönnies damals, sich bei den afrikanischstämmigen Fußballspielern seines Vereins Schalke 04 zu entschuldigen. Gabriel selbst moderierte, ohne Medienbegleitung, ein solches Gespräch. Bis heute bleibt Gabriel bei seiner Linie: Wer Tönnies einen Rassisten nenne, der verniedliche den wirklichen Rassismus.
Wohin das diskrete Miteinander der beiden Buhmänner noch hätte führen können, weiß niemand. Im März hatte Gabriels Engagement für Tönnies begonnen, drei Monate später musste er es beenden, aus privaten Gründen: wegen einer schweren Operation, der er sich in der Berliner Charité unterzog. Es ging um einen Befund, über den Gabriel nicht öffentlich spricht, der aber unbehandelt Lebensgefahr bedeutete.
“Die letzte Rechnung an Tönnies jedenfalls war vom Mai”, betont Gabriel. Weitere wird er wohl nicht mehr schreiben. Schon oft hat er seine Partei gequält, seit die ihn entmachtet hat. Diesmal aber könnte eine Grenze überschritten sein. Wie oft hat Gabriel davor gewarnt, den Populismus stark zu machen? Der Tönnies-Vertrag aber ist geeignet, sämtliche Vorurteile der Politikverächter zu bestätigen.
Auf Schröders Spuren
Gabriel steht nun da wie einer, der keine Prinzipien hat. Der gegen ein entsprechendes Honorar jederzeit bereit ist, politische Werte über Bord zu werfen. Dem es am Ende nur um sich selbst geht. Oder anders ausgedrückt: Er hat sich nun in der SPD den gleichen Status erarbeitet wie Gerhard Schröder.
Mit dem Altkanzler hadert die SPD seit seinem Ausstieg aus der Politik. Erst ging es um die Agenda 2010 und um Hartz IV, dann um die Millionen aus Russland. Immer wenn die SPD gerade bereit war, ihren Frieden mit Schröder zu machen, brachte der die Genossen mit neuen Schlagzeilen wieder gegen sich auf.
Zum Beispiel im Bundestagswahlkampf 2017. Da hatte Schröder im Juni auf dem Bundesparteitag eine derart kämpferische Rede gehalten, dass die Partei drauf und dran war, ihm sein Engagement beim Pipelinekonzern Nord Stream zu verzeihen – und dann machte der Kreml im August bekannt, dass der Altkanzler in den Aufsichtsrat des Ölkonzerns Rosneft einziehen werde. Die Nachricht platzte mitten in die heiße Phase des Wahlkampfes. Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz tobte.
Schröder quittierte den Ärger seinerzeit mit einem Achselzucken. “Das ist mein Leben, nicht eures”, rief er den Genossen zu. Seit gestern ist auch dem Letzten klar geworden, dass Sigmar Gabriel die Sache ganz genau so sieht.