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Tschentscher bei Lanz: „Wir fahren im Nebel, da muss man vom Gas gehen“

Hamburgs Erster Bürgermeister, Peter Tschentscher, bei einer Pressekonferenz.

Hamburgs Erster Bürgermeister, Peter Tschentscher, bei einer Pressekonferenz.

Berlin. Bund und Länder haben sich auf neue Corona-Beschlüsse geeinigt. Der Lockdown wird bis zum 7. März verlängert. Ein Inzidenzwert von 35 ist als neues Ziel ausgegeben. Über die Öffnung von Kitas und Schulen entscheiden die Länder. „Wie geht es eigentlich weiter mit unserem Leben?“, fragt Markus Lanz seine Gäste in der Sendung am Mittwochabend.

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Mit Peter Tschentscher, Hamburgs Erstem Bürgermeister, der Virologin Helga Rübsamen-Schaeff, Eva Quadbeck, stellvertretende Chefredakteurin des Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) und Leiterin des Hauptstadtbüros, sowie der Philosophin Svenja Flaßpöhler diskutiert Lanz die Ergebnisse des Corona-Gipfels. Hamburgs Bürgermeister gerät dabei immer wieder in die Defensive und findet keine überzeugenden Antworten.

Flaßpöhler sieht „Phase totaler Ungewissheit“

„Wir fahren im Nebel. Und da muss man vom Gas gehen, eher auf die Bremse treten, um Sicherheit zu bekommen“, begründet Peter Tschentscher die Beschlüsse des Corona-Gipfels und meint damit die Unsicherheit, wie Corona-Mutationen in Deutschland durchschlagen.

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Gleichzeitig räumt er ein, dass die Erwartungshaltung an die Politik, konkrete Beschlüsse zu fassen, die Entscheidungen von Bund und Ländern beeinflusst hat. Darum der neue Zielwert. „Weil ja insgesamt schon eine Erwartungshaltung besteht, dass man sagt, was ist denn eigentlich jetzt das Ziel?“ Das lautet jetzt: ein Inzidenzwert von 35 statt der bislang anvisierten 50. Anders ausgedrückt: Es braucht diese Zahl, damit es aussieht, als gebe es einen konkreten Plan. Das ist wichtiger als die Zahl an sich.

Bis jetzt wisse niemand, „was die Mutationen können“, sagt Philosophin Flaßpöhler. Trotzdem erstelle man „sehr fröhlich irgendwelche Kurven, die das irgendwie simulieren sollen“. Sie lasse das in „einer Mischung zwischen Irritiertheit, Besorgtheit und Wut zurück“.

Es werde noch mal deutlich, dass man sich in einer Phase totaler Ungewissheit befinde. Floßpöhler attestiert der Politik „Zahlenfetischismus“. „Eine Gesellschaft besteht aus mehr als Inzidenzwerten“, sagt sie. Die einzige „ein bisschen positive Nachricht“ sei es, dass es eine Perspektive bei den Kitas und Schulen gebe. Alles andere sei eine einzige Nebelwolke. Flaßpöhler fordert langfristige Konzepte, die mit Grundrechten vereinbar sind.

Die Auswirkungen der Mutationen

Die Einzige in der Runde, die Tschentscher zuweilen zur Seite springt, ist die Virologin Helga Rübsamen-Schaeff. „Ich glaube, dass wir deutlich besser dastehen als andere Länder“, sagt sie und verweist auf Frankreich, wo die Menschen mit Ausgangssperren leben müssen.

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Die Virologin verweist auf die horrenden Zahlen aus weiteren Ländern Europas, beispielsweise Portugal, wo 60 Prozent der Corona-Infektionen auf die Mutation zurückgehen. „Warum soll das ausgerechnet bei uns nicht passieren?“, fragt sie. Eine Studie aus den USA belege, dass die Impfstoffe gegen die Corona-Mutante weniger wirksam seien als gegen das ursprüngliche Virus.

Journalistin Eva Quadbeck kritisiert, man habe zu wenig an die Kinder gedacht. „Da ist für die Wirtschaft die Bazooka ausgepackt worden und für die Schulen Platzpatronen.“ Mit der Aussage, dass die Länder über die Öffnung der Schulen entscheiden – was dem entspricht, was ohnehin ihre Befugnisse sind –, sei man den Weg des geringsten Widerstandes gegangen.

Einzig die Entscheidung, jetzt mit den Jüngsten anzufangen, also die Öffnung der Kitas und Grundschulen, sei sinnvoll. Die Zahl 35 stehe im Papier, um konkrete Debatten darüber, wo man öffnet und wo nicht, zu verhindern, sagt Quadbeck. Eine Strategie erkennt die Journalistin nicht: „Wenn es die gäbe, hätten wir heute über Stufenpläne gesprochen.“

Tschentscher unsicher über Regelungen in Hamburg

Tschentscher muss sich gegenüber Lanz und Flaßpöhler immer wieder erklären. Dabei scheint er zuweilen nicht sattelfest zu sein, etwa als er behauptet, in Hamburg gebe es eine Maskenpflicht in Grundschulen. Lanz hakt nach: „Meines Wissens nach ist das nicht so.“ Tschentscher ist sich dann auch nicht mehr ganz sicher.

Ob bei einem Inzidenzwert von 35 der Lockdown aufgehoben werde? „Es gibt keinen Automatismus“, sagt er. Warum es in Deutschland, anders als in Österreich, noch keine Gurgeltests an Schulen gebe? „Wir brauchen die Zulassung für die Tests. Sie müssen natürlich zuverlässig sein“, so Tschentscher. „Warum ist etwas in Österreich zuverlässig, was bei uns nicht zuverlässig ist? Österreich ist doch keine Bananenrepublik“, fragt Lanz. Hamburgs Erster Bürgermeister kann dazu nicht schlüssig argumentieren.

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Svenja Flaßpöhler kritisiert „die Reduzierung von Menschen auf Virenträger“ und fordert, die Bevölkerung in die Lage zu bringen, sich selbst zu schützen – um dann wieder am öffentlichen Leben teilnehmen zu können. Mittels flächendeckender FFP2-Masken-Verteilung, Lüftungssystemen, digitaler Ausstattung der Gesundheitsämter, Schnelltests.

„Es hätte sehr, sehr viele Möglichkeiten gegeben. Da ist aber viel zu wenig passiert“, sagt sie. Sie glaube nicht, dass jeder Einzelne „immer so vernünftig ist und alles optimal umsetzt, dass man jeden allein laufen lassen kann“, hält Virologin Rübsamen-Schaeff dagegen.

„Wir sind seit einem Jahr in der Pandemie. Diese Sachen, die auf der Hand liegen, sind einfach nicht eingeführt worden. Stattdessen werden weiterhin Grundrechte entzogen. Ich finde das ungeheuerlich“, legt Flaßpöhler nach. „Im Sommer ist versäumt worden, das zu tun, was man hätte tun können. Das führt dazu, dass man jetzt nicht viel besser dasteht als vor einem Jahr“, schließt sich Quadbeck an. Lanz spricht das Schlusswort: Es sei das alte Dilemma.

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