Umweltministerin Schulze: „Ich will, dass es in 20 Jahren noch Landwirte gibt“

Bundesumweltministerin Svenja Schulze SPD.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze SPD.

Berlin. Frau Schulze, ist es nicht ein Jammer, dass die Grüne Woche in diesem Jahr nur digital stattgefunden hat? Sonst hätten Sie sich dort mit Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei einem Glas Riesling all ihre Streitthemen besprechen können…

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Hübsche Idee, aber eine Landwirtschaftsmesse ist ja nicht der Ort, wo Bundesministerinnen ihre politischen Differenzen klären. Julia Klöckner und ich reden sehr viel miteinander. Aber wir sind bei vielen Themen unterschiedlicher Meinung, da haben Sie Recht.

Sie fordern einen Systemwechsel in Landwirtschaftspolitik. Was stört sie am bisherigen System?

Unser Agrarsystem funktioniert nicht. Nicht für die Umwelt, nicht für die Tiere und auch nicht für die Landwirte. Wir importieren Soja aus Brasilien, für das dort Regenwälder abgeholzt werden. Damit mästen wir Millionen Schweine, deren Gülle unser Wasser belastet und deren Billigfleisch regionale Landwirtschaft hier und in ärmeren Ländern unter Druck setzt. Wir setzen auf Masse, und wir setzen auf billig. Davon müssen wir weg.

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Sie sagen den Schweinemästern, die Ställe müssen leerer werden?

Die Haltung muss besser werden. Und wir müssen die Tierhaltung wieder an die verfügbaren Flächen anpassen. Die EU investiert allein in Deutschland jährlich sechs Milliarden Euro in ein Agrarsystem, das Tierwohl oft missachtet, Gewässer belastet und Landwirte unter enormen Preisdruck setzt. Das will ich ändern.

Wie?

Fördergelder sollen sich nicht mehr an der Flächengröße der Betriebe bemessen, sondern stärker daran, was sie für den Umweltschutz leisten. Die deutschen Landwirte müssen mehr zum Schutz von Klima und Natur beitragen, daran führt kein Weg vorbei. Wir können mit der Natur nicht verhandeln. Übrigens gibt es schon heute viele Landwirte, die Gewässer sauber halten, Rückzugsräume für Tiere schaffen und den Humusaufbau in ihren Böden fördern. Ich will, dass dieser Einsatz belohnt wird.

Dass bei der Agrarförderung künftig auch ökologische Kriterien eine Rolle spielen sollen, ist doch längst entschieden. Worüber streiten Sie noch?

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Die Verhandlungen in Brüssel laufen weiter. Und ein nationaler Strategieplan, den die Landwirtschaftsministerin vorlegen muss, ist nicht in Sicht. Bislang habe ich von Frau Klöckner viele Fragen gehört, aber noch keine Ideen. Die Zeit drängt, die Landwirtschaftsministerin muss jetzt liefern. Ich habe dazu meine Vorschläge auf den Tisch gelegt.

Julia Klöckner wirft Ihnen vor, Sie wollten aus Bauern Landschaftsgärtner machen. Wollen Sie?

Unsinn. Ich will, dass es in 20 Jahren in Deutschland noch Landwirte gibt. Wenn wir weitermachen wie bisher, könnte das schwierig werden.

Jetzt übertreiben Sie…

Ich glaube nicht. Die Landwirtschaft darf sich nicht ihrer eigenen Grundlagen berauben. Nehmen Sie das Insektensterben, das zu einem großen Teil auf ausgeräumte Agrarlandschaften und den übermäßigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zurückzuführen ist. Ohne Insektenvielfalt gibt es keine stabile Ernte. Wenn das Insektensterben in diesem Tempo weitergeht, haben wir alle ein Problem – die Landwirte ganz besonders.

Versteht die zuständige Ministerin das nicht?

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Wir waren uns beim Insektenschutz schon einmal einig. Die Eckpunkte für das Aktionsprogramm Insektenschutz hat das gesamte Kabinett beschlossen. Frau Klöckner stellt das jetzt wieder in Frage, indem sie das Insektenschutzgesetz blockiert und die ebenfalls beschlossenen Beschränkungen beim Pflanzenschutzmitteleinsatz nicht konsequent umsetzt. Sie greift damit nicht nur mich an, sondern die gesamte Bundesregierung. Die Landwirtschaftsministerin ist hier im Interesse der Agrarlobby unterwegs, die aber vor allem die Interessen der Großbetriebe vertritt. Und natürlich werde ich darauf bestehen, dass wir wie beschlossen endgültig aus Glyphosat aussteigen.

Im Kern geht der Streit um den von Ihnen geforderten Schutz von Streuobstwiesen. Julia Klöckner fürchtet, dass strengere Regeln den Anreiz senken, dass solche Wiesen gepflegt oder angelegt werden.

Wir reden hier über extensiv genutzt Streuobstwiesen, die es schon längst gibt, und die immer weniger werden. Dort wird kein Obst für den Supermarkt oder die Lebensmittelindustrie produziert. Gerade deshalb sind die Wiesen für die biologische Vielfalt so wichtig. Und deshalb will ich diese Wiesen bundesweit unter Schutz stellen, damit sie nicht mehr zerstört werden können.

Was passiert, wenn Sie sich nicht einigen?

Ich bestehe darauf, dass das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart und im Kabinett beschlossen haben, jetzt auch umgesetzt wird. Wer sonntags die Biene für systemrelevant erklärt, muss auch montags etwas für ihren Schutz tun. Für viele Menschen ist das Thema Insektenschutz ein Herzensanliegen. Die CDU kann ja mal versuchen, denen im Wahlkampf zu erklären, warum sie am Einsatz von Glyphosat festhält und auch sonst wenig für den Artenschutz tut.

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Ein anderes Thema, das im Wahlkampf eine Rolle spielen könnte, ist das Fracking zur Schiefergasgewinnung. Das 2016 beschlossene Verbot soll in diesem Jahr vom Bundestag überprüft werden.

Aus meiner Sicht gibt es keinen Anlass, das Fracking-Verbot aufzuheben. Das Thema Fracking ist in Deutschland erledigt. Wir wollen es nicht, wir brauchen es nicht, und meine Prognose ist, dass es auch kein Fracking bei uns geben wird.

Macht Deutschland sich nicht einen schlanken Fuß, wenn es lieber Pipelinegas aus Russland importiert, als sich um die eigenen Förderung zu kümmern?

Wir werden nach dem Ausstieg aus Kohle- und Atomstrom für einen Übergangszeitraum Erdgas brauchen, ehe unsere Energieversorgung mit erneuerbaren Energien komplett klimaneutral werden muss. Deutschland selbst hat aber kaum noch eigene Erdgasressourcen, weshalb wir hier auf Importe angewiesen sind. Die Entscheidung zum Bau der Nord-Stream-Pipeline ist vor vielen Jahren gefallen. Die Pipeline ist fast fertig, und sie ist in einem rechtsstaatlichen Verfahren genehmigt worden. Ich hätte mir auch andere Entscheidungen vorstellen können. Würden wir aber das Projekt jetzt noch stoppen, würden wir mit Blick auf Verlässlichkeit rechtsstaatlicher Entscheidungen einiges an Porzellan zerschlagen und vermutlich in ein Klageverfahren laufen.

Wer mit Gas oder Öl heizt, muss seit diesem Jahr eine Klimaabgabe bezahlen. Umstritten ist, ob der Mieter oder der Vermieter dafür aufkommen soll. Sie haben mindestens eine 50/50-Regelung gefordert, die SPD-Bundestagsfraktion will die Kosten voll auf die Vermieter abwälzen. Sind die Abgeordneten mutiger als Sie?

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Wir alle wollen eine Lenkungswirkung. Wer über die Heizung entscheiden kann, soll einen Anreiz zur Modernisierung haben. Und das ist der Vermieter. Der konkrete Verbrauch an Heizöl oder Erdgas allerdings liegt in der Hand der Mieter. Wir brauchen deshalb einen Kompromiss. Darum habe ich 50/50 vorgeschlagen. Es gibt auch Ideen, die konkrete Aufteilung nach Energieeffizienz zu staffeln. Wenn sich das rechtssicher und praktikabel machen ließe, wäre ich dafür offen.

Was ist mit Mietern, die eine Gastherme haben und den Energieversorger direkt bezahlen?

Für die brauchen wir eine Lösung, das betrifft fünf Millionen Haushalte. Ich plädiere dafür, dass diese Menschen am Ende eines Jahres die Klimakosten ihrer Heizung anteilig dem Vermieter in Rechnung stellen.

Der CO2-Preis startet moderat, er wird sich aber in den nächsten Jahren schnell erhöhen. Wie wollen Sie verhindern, dass der Klimaschutz zur sozialen Frage wird?

Der CO2-Preis wurde eingeführt, um eine Lenkungswirkung zu entfalten – nicht um die Einnahmen des Staates zu erhöhen. Wir können und wir müssen das Geld zurück an die Menschen geben, gerade um die mit geringem Einkommen nicht zu verlieren. Noch gelingt uns der soziale Ausgleich über die Deckelung beim Strompreis, das erhöhte Wohngeld und die höhere Pendlerpauschale. Aber auf Dauer wird das nicht reichen. Ich habe eine Barauszahlung in Form eines Klimaschecks vorgeschlagen. Den Vorschlag finde ich immer noch gut, und ich habe noch keinen besseren gehört.

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