Wieder antisemitische Attacke in Berlin - Kritik von jüdischen Vertretern
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Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, fordert mehr Sensibilität für Antisemitismus-Fälle in der deutschen Justiz.
© Quelle: Hendrik Schmidt/dpa
München. Schon wieder hat es in Berlin einen antisemitischen Angriff gegeben. Dabei wurde ein 70-jähriger Mann am Montag in Berlin-Pankow von einem unbekannten Täter durch Schläge am Kopf und Kinn verletzt, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. Der 70-Jährige ging am Montagnachmittag auf der Busonistraße im Stadtteil Karow spazieren, als er von dem anderen Mann antisemitisch beleidigt wurde. Er wehrte sich verbal, woraufhin der Angreifer ihn schlug. Der 70-Jährige stürzte. Erst eine Passantin sorgte dafür, dass der Angreifer flüchtete. Der für politische Taten zuständige Staatsschutz der Kriminalpolizei ermittelt.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verurteilte die Tat scharf. „Es darf nicht sein, dass am helllichten Tag ein Spaziergänger antisemitisch beleidigt und dann geschlagen wird, wenn er sich verbal zur Wehr setzt. Das sind Geschehnisse, die in unserer Stadt angesichts unserer Geschichte einfach nicht passieren dürfen und die niemals zur Normalität werden dürfen.“ Der Vorfall sei ein Geschehen, „für das ich mich einmal mehr schäme“.
Kürzlich war bekannt geworden, dass das Ermittlungsverfahren wegen eines Angriffs auf einen Rabbiner eingestellt werden musste. Der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Yehuda Teichtal, war im Juli in Begleitung eines seiner Kinder von Männern auf Arabisch beschimpft und bespuckt worden. Bei den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwalttschaft gab es zwar Verdächtige, die Tat konnte ihnen aber trotz Handyauswertungen und Zeugenvernehmungen nicht eindeutig nachgewiesen werden.
Jüdische Vertreter beklagen Fehler bei Bekämpfung des Antisemitismus
Der Jüdische Weltkongress (WJC) und der Zentralrat der Juden in Deutschland haben nach dem Anschlag von Halle zudem Versäumnisse bei der Bekämpfung von Antisemitismus kritisiert. "Es stellt sich die Frage, wie konnte es so weit kommen", sagte der Antisemitismus-Beauftragte des WJC, Julius Meinl, am Dienstag nach einem Treffen der Sonderbeauftragten und Koordinatoren des WJC zur Bekämpfung von Antisemitismus in München. "Wir haben offenbar sehr viel falsch gemacht in der Erziehung seit 1945", fügte er hinzu.
Es sei einiges "dringend zu ändern", um den Boden für eine bessere Zukunft zu bereiten, betonte Meinl. Antisemitismus sei weiterhin ein globales Problem. Konkret forderte er unter anderem mehr Einsatz bei der Verbreitung und Durchsetzung der Antisemitismus-Definition des International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Bislang habe es in dieser Hinsicht auch an politischem Willen gefehlt.
Josef Schuster: Deutsche Justiz teils noch nicht sensibel genug für Antisemitismus-Fälle
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte, es mangle vor allem in der deutschen Justiz teils noch an Sensibilität für Antisemitismus-Fälle. So schritten die Gerichte bislang etwa nicht gegen antisemitische Slogans auf Demonstrationen der rechtsextremen Kleinpartei "Die Rechte" in Dortmund ein. Zugleich hätten der Anschlag von Halle ebenso wie das Wahlergebnis der AfD in Thüringen ein "nicht optimales Licht" auf die Bundesrepublik geworfen - die Entwicklungen seien auch beim Treffen in München breit diskutiert worden.
Meinl und Schuster lobten aber auch positive Entwicklungen. Noch vor einigen Jahren habe ein Großteil der Bevölkerung Antisemitismus für ein "Problem der Vergangenheit" gehalten, sagte Meinl. Mittlerweile sei das Problembewusstsein gewachsen. Schuster betonte, das Bundesinnenministerium habe sich nach der Bluttat von Halle "ernsthaft bemüht, den Sicherheitsbedürfnissen der jüdischen Gemeinden entgegenzukommen".
Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat sich besorgt über den zunehmenden Antisemitismus geäußert und erneut eine dauerhafte Absicherung der Präventionsarbeit gefordert. Sie werde sich künftig eng mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) abstimmen, sagte Giffey am Dienstag in Berlin. Im Zusammenhang mit dem Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus werde es auch darum gehen, rechtliche Rahmenbedingungen zu prüfen, um eine gesicherte Finanzierung der Präventionsarbeit zu erreichen, sagte die SPD-Politikerin.
Nach dem Willen Giffeys soll im Bundes-Modellprogramm "Demokratie leben" die Förderung der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus verstärkt werden. Für das Programm stehen nächstes Jahr insgesamt 115,5 Millionen Euro zur Verfügung. Sie wolle auch über 2020 hinaus die Finanzierung sichergestellt wissen, sagte die Ministerin.
Die Innenminister von Bund und Ländern hatten eine Woche nach dem Anschlag in Halle ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus vorgelegt. Auch der Bereich Prävention soll damit gestärkt werden soll. Es soll an diesem Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen werden. Giffey fordert ein Demokratiefördergesetz, um die Präventionsarbeit dauerhaft abzusichern. Eine Mehrheit in der Union lehnt das ab.
RND/epd